Matthi Bolte: „In unserem Land werden Freiheit und Privatheit der Bürgerinnen und Bürger geschützt“

Antrag der PIRATEN zu Bodycams bei der Polizei

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Matthi Bolte (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist schon auf eine gewisse Weise beeindruckend, mit wie viel Verve die Redner der Opposition Zerrbilder zeichnen.
Da ist zunächst das Zerrbild des Kollegen Herrmann, der uns einen Überwachungsstaat skizziert hat, den es ja bei nüchterner oder zumindest halbwegs nüchterner Betrachtung so in Nordrhein-Westfalen nicht gibt. Es ist gut so, dass es ihn nicht gibt; denn in unserem Land werden Freiheit und Privatheit der Bürgerinnen und Bürger geschützt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dann gibt es noch das Zerrbild des Kollegen Golland, der uns von einem Land erzählt hat, in dem man sich nicht mehr auf die Straße traut. Da ist das einzige Mittel, das Ihnen einfällt, eine Politik nach dem Motto: Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten, und die einzig wahre Reaktion ist leichte Artillerie für jeden Streifenpolizisten.
Herr Golland, so können wir doch nicht für die innere Sicherheit in diesem Land arbeiten. Ich will Ihnen gerne noch mitgeben: Wer Koalitionsverträge lesen kann, Herr Golland, ist klar im Vorteil. Denn die Kennzeichnungspflicht – die individualisierte Kennzeichnung für alle Polizei-beamtinnen und Polizeibeamten in geschlossenen Einheiten – steht im Koalitionsvertrag, den Bündnis 90/Die Grünen und die SPD im Jahr 2012 miteinander geschlossen haben. Das ist so, und das wird so umgesetzt.
(Zurufe von der CDU)
Diese Koalition arbeitet ruhig und gelassen ihren Koalitionsvertrag ab. Entsprechend wird es eine Initiative für die Einführung der Kennzeichnungspflicht geben.
Zu Ihrer populistischen Forderung nach Strafverschärfung – das habe ich Ihnen immer wieder in unseren Debatten über Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gesagt – muss ich Ihnen entgegnen: Da helfen uns auch Scheinlösungen wie solche populistischen Strafrechtsverschärfungen nicht weiter. Wir wissen aus der kriminologischen Forschung – auch Sie sind möglicherweise in der Lage, sachliche Erkenntnisse zur Kenntnis zu nehmen – …
(Dirk Schatz [PIRATEN]: Nein, ist er nicht! – Torsten Sommer [PIRATEN]: Er kann ja noch nicht einmal zuhören! – Weitere Zurufe)
– Da werden richtigerweise Zweifel angemeldet. Aber potenziell wären Sie vielleicht in der Lage, Erkenntnisse aus der kriminologischen Forschung zur Kenntnis zu nehmen und in diesem Zusammenhang zu registrieren, dass die meisten Straftaten, über die wir sprechen, nach wie vor im Affekt geschehen, und dass es deswegen Unsinn ist, über Strafrechtsverschärfungen zu schwadronieren.
(Beifall von den GRÜNEN – Torsten Sommer [PIRATEN]: Ganz genauso Unsinn wie die Bodycams!)
Wir als regierungstragende Fraktionen haben in diesem Haus immer eine klare Haltung artikuliert. Diese Haltung lautet, dass es erstens derzeit keine gesetzliche Grundlage für die Ein-führung Bodycams in Nordrhein-Westfalen gibt, dass wir uns aber zweitens die bisherigen Modellversuche in den anderen Ländern durchaus anschauen. Das tun wir sehr genau. Auf dieser Basis kann man dann entscheiden, ob ein eigener Versuch in Nordrhein-Westfalen – der eben eine eigene gesetzliche Grundlage bräuchte – Sinn ergäbe.
Entscheidend bei dieser Prüfung ist für uns, lieber Kollege Golland, dass ein tatsächlicher Sicherheitsgewinn für die eingesetzten Beamten und eine Deeskalation in den kritischen Einsatzsituationen nachweisbar sind. Das ist der Unterschied zu dem hessischen Modellversuch, den Sie, Herr Golland, schon wieder zitiert haben. Und es ist schon wieder falsch.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE] und Hans-Willi Körfges [SPD] – Sigrid Beer [GRÜNE]: Schon wieder falsch, jau!)
Jeder, der sich einen Modellversuch anschaut, wird sich doch fragen: Wie haben sich die Bedingungen in dem Modellversuch verändert, während er durchgeführt wurde? Beim Modellversuch in Hessen war es nicht so, dass man gleiche Bedingungen beibehalten hat, während sich nur durch den Einsatz der Bodycams etwas änderte, sondern es sind außerdem mehr Kräfte eingesetzt worden. Es gab mithin ein anderes Einsatzkonzept.
Deswegen sind zwar die Zahlen aus Hessen erfreulich, weil wir es gut finden, wenn weniger Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten angewandt wird; aber diese Zahlen sind nicht in-struktiv für die Frage, ob man bei uns Bodycams einführen sollte oder nicht. Insofern ist es Unsinn, was Sie da immer bezüglich des hessischen Modellversuchs erzählen.
(Beifall von den GRÜNEN und Hans-Willi Körfges [SPD])
Man darf durchaus zur Kenntnis nehmen, dass es aus den Modellversuchen auch Rückmeldungen von eingesetzten Beamtinnen und Beamten gibt. Danach fühlen sie sich einerseits sicherer, wenn sie eingesetzt sind; andererseits sprechen einige Erfahrungsberichte davon, dass es weniger Solidarisierungseffekte gibt. Das heißt also, dass sich weniger Unbeteiligte einmischen, wenn Beamtinnen und Beamte in eine Lage hineingehen, um sie klären. Diese Erfahrungsberichte nehmen wir durchaus zur Kenntnis; man muss sie nicht ignorieren, wenn man die Diskussion sachlich führen will.
In dieser Debatte gibt es auch – die habe ich hier immer vorgetragen – gewichtige Kontraargumente. Denn eines muss klar sein: Wenn solche Kameras eingesetzt werden, darf das nicht zu einem Vertrauensverlust in die Polizei führen. Vielleicht haben wir da einfach eine unterschiedliche Sichtweise auf Polizei.
(Lothar Hegemann [CDU]: Das ist das Problem! – Gregor Golland [CDU]: Das ist ein Misstrauen gegenüber der Polizei! – Weitere Zurufe)
– Lieber Kollege Golland, das ist sehr gut so, dass wir diese unterschiedliche Sichtweise haben.
(Gregor Golland [CDU]: Sie haben Misstrauen gegenüber der Polizei!)
Für uns Grüne ist völlig klar, dass sich die Polizei den Bürgerinnen und Bürgern nicht zuerst mit Misstrauen nähern sollte, sondern mit Offenheit. Wir wollen, dass Bürgerinnen und Bürger unbefangen und offen auf Polizistinnen und Polizisten zugehen können. Wir wollen, dass dieses Vertrauensverhältnis nicht gefährdet wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ein weiterer Punkt. Bodycams müssen tatsächlich einen Beitrag zur Eigensicherung der Beamtinnen und Beamten sowie zur Gefahrenabwehr leisten. Das habe ich Ihnen auch schon erklärt, Herr Golland. Hören Sie einmal zu, Herr Golland, vielleicht lernen Sie dann etwas.
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Oh! – Zuruf von Minister Ralf Jäger)
Verfassungsrechtlich gibt es eine eindeutig geklärte höchstrichterliche Rechtsprechung, die besagt: Strafverfolgungsvorsorge ist nicht Ländersache. – So einfach ist das. Und darauf bezog sich meine Einlassung in der letzten Runde, als Sie die Einführung von Bodycams beantragt haben: Wir dürfen Bodycams nicht zur Strafverfolgungsvorsorge einführen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ein weiterer Aspekt, weshalb ich mich eben bei Ihrem Wortbeitrag gemeldet habe: Es ist völliger Quatsch, dass Bodycams an den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht irgendetwas geändert hätten.
(Lothar Hegemann [CDU]: Das wissen Sie doch gar nicht!)
Sie haben eben erzählt, mit Bodycams hätte man einen besseren Überblick über die Lage bekommen.
(Lothar Hegemann [CDU]: Natürlich! – Gregor Golland [CDU]: Und mit 60 Polizeibeam-ten mehr hätte man auch einen besseren Überblick!)
Herrgott noch mal – wie groß soll den ein Polizist sein, der eine Kamera auf der Schulter hat und dadurch Übersichtsaufnahmen anfertigt? Wollen Sie Giraffen mit Bodycams ausstatten, oder was soll dieser Quatsch?
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Matthi Bolte (GRÜNE): Um es abschließend klarzustellen: Jede Polizistin und jeder Polizist, die oder der im Einsatz verletzt wird, ist eine oder einer zu viel. Darauf sollten wir nicht mit Scheinsicherheit reagieren, sondern mit echten und wirksamen Konzepten. Darüber sind wir als regierungstragende Fraktionen jederzeit bereit, zu sprechen. Das tun wir. Dann sollten wir diese Debatte endlich einmal versachlichen. – Schönen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

Erneute Wort-Meldung:
Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte voller Begeisterung auf meinen Kollegen Lürbke gewartet. Er wollte jetzt offensichtlich nicht sprechen. Das macht aber nichts.
Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil insbesondere Sie mich ein Stück weit dazu motiviert haben, Herr Kollege Hegemann, und zwar mit dem zweiten Teil Ihres Wortbeitrags, der von einer sachlichen Auseinandersetzung für Ihre Verhältnisse gar nicht so weit entfernt war. Sie haben richtigerweise gesagt: Wir brauchen nicht über Symbolpolitik zu sprechen; wir brauchen hier nicht über Scheinlösungen zu sprechen.
Herzlich willkommen in der Realität in Nordrhein-Westfalen unter einer rot-grünen Landesregierung! Unter diesem Motto, dass wir eben nicht symbolpolitische Lösungen brauchen, dass wir nicht Scheinlösungen brauchen, haben wir nämlich seit 2010 konsequent daran gearbeitet, dass Polizistinnen und Polizisten in ihrem Einsatz vor Gewalt und vor Übergriffen geschützt werden, und zwar mit wirksamen Konzepten und nicht allein mit Symbollösungen.
(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] und Michael Hübner [SPD])
Wir haben eine landesweite Befragung zum Thema „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“ in Auftrag gegeben und zahlreiche Handlungsempfehlungen daraus umgesetzt. Wir haben die bessere Vor- und Nachbereitung von Einsätzen realisiert. Wir sind bei der stärkeren Verankerung von Deeskalation und Vorbereitung auf Konfliktsituationen in der Aus- und Fortbildung aktiv geworden.
Alle diese Konzepte helfen uns doch viel mehr – das sieht man, wenn man sich die Situation einmal sachlich und nüchtern anschaut – als die Betrachtung der Frage: Hat der Polizist eine Kamera auf der Schulter, oder hat er keine Kamera auf der Schulter?
Gleichwohl ist es wichtig, dass wir darüber viel mehr reden. In der rechtlichen Bewertung, die wir ja auch vor uns haben, wenn wir die Modellversuche auswerten, muss der Gewinn für die Eigensicherung von eingesetzten Beamtinnen und Beamten nämlich die einzige Richtschnur sein. Als Landesgesetzgeber haben wir nun einmal eine klar zugeordnete Zuständigkeit, und zwar für das Thema „Gefahrenabwehr“ und, was Polizeiausstattung angeht, für das Thema „Eigensicherung“.
Wie ich klar gesagt habe, werden wir uns die Modellversuche anschauen bzw. schauen wir uns die Modellversuche schon an. Auf dieser Basis müssen wir dann alle miteinander eine Abwägung vornehmen. Ich fand es beim Kollegen Lürbke durchaus gelungen, immer zu fragen: Wie groß ist auf der einen Seite der Grundrechtseingriff, und wie groß ist auf der anderen Seite der Gewinn für die Eigensicherung? Dann muss man gemeinsam in eine Diskussion kommen: Ist das jetzt verhältnismäßig, oder ist das nicht verhältnismäßig?
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Lürbke ist ein guter Mann!)
Da hilft es uns durchaus, wenn wir uns einmal mit den vorhandenen Erfahrungsberichten auseinandersetzen. Herr Kollege Hegemann hat das eben angezweifelt. Ich habe schon in meinem ersten Wortbeitrag sehr deutlich gesagt, dass wir uns natürlich mit dem auseinandersetzen, was an inhaltlichen Aussagen mit den Erfahrungsberichten zurückkommt.
Der erste Block in den Erfahrungsberichten ist: Wir fühlen uns sicherer. – Der zweite Block ist, dass es zu weniger Solidarisierungseffekten kommt; das heißt, dass sich Einsatzsituationen durchaus deeskalieren, wenn Polizisten entsprechend ausgestattet sind.
Das muss man ins Verhältnis bringen. Dann würde es auch sehr genau darauf ankommen, unter welchen Bedingungen man da möglicherweise in einen Versuch käme. Wir können das aber durchaus auch auf Grundlage der Versuche in Rheinland-Pfalz, Hessen und anderen Ländern miteinander auswerten und schauen: Wo sind diese Fragestellungen gelöst worden, und wie sind diese Fragestellungen da auch miteinander abgewogen worden? Aus meiner Sicht ist das nicht so kompliziert.
Aus meiner Sicht ist es aber auch nicht kompliziert – das richte ich insbesondere an die Adresse des Kollegen Hegemann –, wenn man auf der einen Seite diese Erfahrungsberichte zur Kenntnis nimmt und auf der anderen Seite immer wieder betont, dass es durchaus berechtigte Gründe gibt, skeptisch zu sein, ob diese Kameras nun wirklich das Allheilmittel sind oder nicht. Es gehört zu einer demokratischen Auseinandersetzung nun einmal dazu, die Argumente abzuwägen.
Nichts anderes habe ich eben ausgeführt und mir abschließend gewünscht, dass wir endlich auf einer fundierten Grundlage mit Daten und Fakten, also mit Versuchsergebnissen, Ergebnisberichten und Erfahrungsberichten, hier in den Austausch kommen, …
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.
Matthi Bolte (GRÜNE): … weil es für den Schutz von Polizistinnen und Polizisten in ihrem Einsatz immer noch besser ist, wenn hier eine fundierte Debatte geführt wird, als wenn wir hier Verdikte austauschen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)