Matthi Bolte: „Ein Mensch, der überwacht wird, ist niemals frei“

Antrag der Piraten zur Vorratsdatenspeicherung

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage der Vorratsdatenspeicherung beschäftigt uns ja nun zum fünften Mal innerhalb von knapp anderthalb Jahren. Ich habe gerade schon wahrgenommen: Sie möchten das gerne weiterhin so halten.
Es hat sich in dieser Zeit einiges getan. Das muss man konstatieren.
Der Europäische Gerichtshof hat die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung im vergangenen Jahr für mit den europäischen Grundrechten unvereinbar erklärt und verworfen. Er hat insbesondere festgestellt, dass es unzulässig ist, die komplette Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen. Seine zentrale Begründung war, dass die Richtlinie eine Speicherung ohne Differenzierung, ohne Ausnahme und ohne Einschränkung vorsah.
Genau dieses Vorgehen war jahrelang eines der Kernargumente der Kritikerinnen und Kritiker der Vorratsdatenspeicherung. Und das war gut so; denn ein Mensch, der überwacht wird, ist niemals frei.
Heribert Prantl sprach damals in einem Kommentar, den ich immer noch für bemerkenswert halte, vom „Ende der Maßlosigkeit“. Ich hätte mir gewünscht, dass er recht behalten hätte.
Fast genau ein Jahr später legen der Bundesjustizminister und der Bundesinnenminister nun ein Leitlinienpapier – noch keinen Gesetzentwurf – vor, mit dem die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nun doch wiederbelebt werden soll – ohne Not, denn eine Europäische Richtlinie steht nicht in Aussicht.
Auch wenn die Speicherfristen nun verkürzt werden sollen, so bleibt es doch bei der generellen Speicherung, bleibt es bei dem Generalverdacht. Man darf sich da nicht täuschen lassen: Die Leitlinien sind nicht unbedingt ein Kompromiss zwischen Sicherheit und Datenschutz, sondern sie sind die Ausreizung der Spielräume, die die Urteile von BVerfG und EuGH gelassen haben. – Das ist aus grüner Sicht ein Problem.
Neben dieser grundsätzlichen Problematik ist auch der Schutz der Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger – Hans-Willi Körfges hat das eben als eine ganz besondere Baustelle der Leitlinien angesprochen – unzureichend geregelt. Darüber gibt es schon jetzt Verunsicherung. Die Verunsicherung in den Verhältnissen zwischen Geheimnisträgern und ihren Mandantinnen, Patientinnen und Klientinnen tritt bereits ein, wenn Daten gespeichert werden, und nicht erst, wenn sie ausgewertet werden.
Mit ihrem Vorstoß zieht die Bundesregierung keine Konsequenzen aus dem größten Überwachungsskandal der Geschichte. Sie höhlt das Label „Datenschutz made in Germany“ aus.
Meine Damen und Herren, wer sich die politischen Beschlüsse meiner Partei anschaut, der wird sofort sehen, dass Bündnis 90/Die Grünen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ablehnen.
Die Sozialdemokraten haben inzwischen in verschiedenen Gliederungen ähnlich lautende Beschlüsse gefasst. Ungeachtet dessen gibt es bei der Sozialdemokratie auf der Bundesebene aber auch einen Beschluss pro Vorratsdatenspeicherung.
Es lässt sich tatsächlich nicht leugnen, dass wir zwei Parteien sind, die in dieser Sachfrage unterschiedlicher Auffassung sind. Das kommt in den besten Familien und sogar in Koalitionen vor. Es wäre schlimm, wenn es in einer Demokratie anders wäre.
Und weil das normal ist, meine Damen und Herren, wenn Parteien Koalitionen bilden, haben wir für diesen Fall klare Verfahren: Da, wo es tatsächlich etwas zu entscheiden gibt, nämlich im Bundesrat, enthält sich das Land, wenn in der Koalition keine Einigkeit über das Abstimmungsverhalten besteht. Das haben wir hier oft genug erzählt.
Noch viel wichtiger ist aber: Wir sind noch nicht an diesem Punkt. Bevor es so weit kommt, muss die Bundesregierung erst einmal einen Gesetzentwurf vorlegen. Der geht dann in die Fachausschüsse und in den Bundesrat. Es gilt das Ressortprinzip, die Ministerinnen und Minister können ihre Positionen dazu festklopfen. Dann gibt es eine Bundestagsabstimmung. Wenn der Entwurf dann noch einmal in den Bundesrat kommt, dann – das kann ich Ihnen versichern – werden wir Grüne für unsere Positionen werben und streiten. Ich freue mich über jeden Sozialdemokraten, ich freue mich über jeden Liberalen, ich freue mich über jeden Piraten und über alle anderen, die uns dabei unterstützen.
Wir haben heute eines ganz deutlich gehört, nämlich dass bei der CDU, die sich ja immer modernisieren will, in dieser Frage wie überhaupt beim Schutz der bürgerlichen Freiheitsrechte Hopfen und Malz völlig verloren ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Gregor Golland [CDU]: Das Gegenteil ist der Fall!)
Das hat der Kollege Golland gerade eindrücklich bewiesen.
Lieber Kollege Lürbke, Sie werden gleich das Hohelied der Bürgerrechtler bei der FDP singen. Wir haben es uns schon mehrfach erzählt, aber ich will das gerne noch einmal hervorkramen: FDP-Innenminister Ingo Wolf hat damals in diesem Haus die Onlinedurchsuchung im Landesverfassungsschutzgesetz beschließen lassen. Das hat Karlsruhe Ihnen um die Ohren geschlagen, und zwar völlig zu Recht.
(Marc Lürbke [FDP]: Frau Leutheusser-Schnarrenberger!)
Deswegen müssen wir uns von Ihnen da keine Ratschläge einholen.
(Marc Olejak [PIRATEN]: Mehr Fehlerkultur!)
Wir können diese Debatte – das wurde schon angekündigt – sehr gern fortsetzen. Das ist das Schöne an der Demokratie. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)