Matthi Bolte; „Die Wiedereinführung bedroht die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit“

Zur Aktuellen Stunde "Vorratsdatenspeicherung"

Matthi Bolte (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Kollege Kruse, ich habe Ihren Antrag für die Aktuelle Stunde doch mit einer gewissen Verwunderung zur Kenntnis genommen. Wir haben daraus erkannt: Sie finden die Vorratsdatenspeicherung gut. Sie können Zeitungen lesen. Und Sie können ein paar Zitate aus den letzten Jahren zusammenstellen. Das ist eine beachtliche Leistung, die gleichwohl nicht in eine brauchbare inhaltliche Position mündet.
Nach zwei eindeutigen höchstrichterlichen Urteilen, deren Hürden der vorliegende Gesetzentwurf absehbar reißen wird, sind solche Jubelarien, wie wir sie heute von der CDU gehört haben, mit Sicherheit nicht angebracht.
Auch nicht angebracht ist, lieber Kollege Lürbke, sich auf ein derart hohes Ross zu setzen, wie Sie es heute getan haben.
(Marc Lürbke [FDP] befindet sich im Gespräch mit Dr. Gerhard Papke [FDP].)
– Guten Tag, Herr Kollege Lürbke. Guten Morgen!
(Zurufe von der FDP)
Denn Sie waren zu Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung in Nordrhein-Westfalen für die Onlinedurchsuchung verantwortlich, die krachend vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist – und das zu Recht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Lieber Kollege Kruse, genauso wenig ist es angebracht, sich an dieser Stelle über etwas zu wundern, was in einer Demokratie selbstverständlich ist: Dass Vertreter unterschiedlicher Parteien in einer Sachfrage unterschiedliche Auffassungen vertreten, ist in einer Demokratie nichts Ungewöhnliches.
(Beifall von Gudrun Elisabeth Zentis [GRÜNE] und Eva Voigt-Küppers [SPD])
Dass wir in diesem Haus, das über den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht unmittelbar zu entscheiden hat, immer offen gesagt haben, dass wir darüber unterschiedliche Auffassungen haben, überrascht Sie mit Sicherheit am heutigen Morgen auch nicht mehr.
Zur Sache: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist eine politische Binsenweisheit, dass man Politik vom Ende her denken muss. Man muss die Dinge vom Ende her denken. Wenn ich mir gerade vor dem Hintergrund der Jubelarie des Kollegen Kruse heute Morgen anschaue, welchen Gesetzentwurf die CDU vorgelegt hat, frage ich mich doch: Von welchem Ende her haben Sie da gedacht?
(Zuruf von Theo Kruse [CDU])
Haben Sie von dem Ende her gedacht, das der Gesetzentwurf der Großen Koalition in Berlin nehmen wird, falls er eines Tages tatsächlich im Bundesgesetzblatt stehen sollte? Das Ende ist doch klar. Es ist entweder das Bundesverfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof.
(Beifall von den GRÜNEN)
Diese beiden Höchstinstanzen haben die Versuche zur Vorratsdatenspeicherung jeweils schon abgeräumt: das Bundesverfassungsgericht die deutsche Regelung, der EuGH die ihr zugrunde liegende Richtlinie. Ich bin mir beim Blick auf den Gesetzentwurf der Großen Koalition sicher: Sie werden es noch einmal tun. Dafür ist die Wahrscheinlichkeit denkbar hoch.
Gerade weil diese beiden Gerichte die Vorratsdatenspeicherung nicht per se verworfen haben, aber die Hürden doch im Sinne des Grundrechtsschutzes angelegt haben, ist der europäische Gesetzgeber tatsächlich schlauer als die Bundesregierung, weil er auf einen neuen Anlauf verzichtet hat.
Meine Damen und Herren, an einer Stelle hatte Herr Kollege Kruse tatsächlich recht.
(Theo Kruse [CDU]: Na, Gott sei Dank!)
Die Grünen lehnen – und das ist keine Neuigkeit – die Vorratsdatenspeicherung ab.
(Zuruf von den PIRATEN: Ein bisschen!)
Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung widerspricht nicht nur einem der zentralen Grundrechte, nämlich dem Grundrecht auf Datenschutz und auf informationelle Selbstbestimmung. Sie bedroht die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit. Sie ist eine unverhältnismäßige Einschränkung der Kommunikationsgrundrechte. Sie stellt Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht. Der Generalverdacht ist in der Tat Gift für das Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat.
Alles das wird noch getoppt, wenn – das hat der Kollege Schulz eben richtigerweise angesprochen – der Bundesinnenminister bereits in diesen Tagen – der Gesetzentwurf ist noch nicht mal durch den Bundestag; die Tinte des Füllers des Bundespräsidenten darunter ist noch nicht trocken, weil es eben noch keinen Beschluss gibt – darüber schwadroniert, was man mit diesen Vorratsdaten noch alles machen könnte.
(Dietmar Schulz [PIRATEN]: So ist es!)
Denn die Vorratsdaten sind ja schon da. Welche Straftatbestände kann man denn noch da-runter fassen? Das ist doch ein Hohn gegenüber allen Beteuerungen, dass es enge Grenzen und knappe Speicherfristen geben soll.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Meine Damen und Herren, die Vorratsdatenspeicherung spricht auch den Erfahrungen Hohn, die wir mit den Snowden-Enthüllungen machen mussten. Wie wollen Sie eigentlich – das frage ich die großen Befürworter in diesem Haus – die Sicherheit der Datenmassen garantieren, die da auf Vorrat gespeichert werden sollen? Massenspeicherung schafft doch ein erstrangiges Angriffsziel für Geheimdienste und für sonstige illegale Aktivitäten.
Besonders wild wird es dann tatsächlich noch einmal bei den Berufsgeheimnisträgern. Das ist einer der zentralen Punkte, über die wir debattieren. Wie soll der Schutz von Berufsgeheimnisträgern garantiert werden? Deren Daten sollen gespeichert werden, aber sie dürfen nicht abgerufen werden.
Abgesehen davon, dass dies eine der verfassungsrechtlichen Achillesfersen des Entwurfs der Bundesregierung ist, illustriert diese Regelung einfach auch den Irrsinn des Vorhabens. In der Logik der Bundesregierung muss man die Daten von Berufsgeheimnisträgern nämlich speichern, also einen grundrechtswidrigen Verstoß gegen den Datenschutz ins Gesetz schreiben, damit man nicht gegen den Datenschutz verstößt. Das ist so gnadenlos absurd, dass man, selbst wenn man es wie die CDU mit den Grundrechten nicht so wichtig findet, tatsächlich körperliche Schmerzen empfinden müsste, wenn man einen solchen Gesetzentwurf liest.
(Zurufe von der CDU und der FDP)
Das Ganze zeigt: Der vorliegende Gesetzentwurf ist – nicht, wie das in der Debatte gerne diskutiert wird – aus unserer Sicht kein gelungener Kompromiss. Er ist das systematische Ausreizen aller Korridore, die das Bundesverfassungsgericht und der EuGH noch gelassen haben. Um diese Korridore auszureizen, nimmt die Große Koalition dann auch in Kauf, zum Teil darüber hinauszugehen.
Das alles zeigt mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur der Antrag, den die CDU-Fraktion heute vorgelegt hat, ist nicht zu Ende gedacht; das ganze Vorhaben der Vorratsdatenspeicherung ist nicht zu Ende gedacht. Am Ende ist es völlig klar, wie das ausgehen wird. Es wird Ihnen auf Ihre eigenen Füße fallen. Dann werden wir tatsächlich noch einmal darüber reden müssen, wer heute gejubelt hat. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN)