Matthi Bolte: „Den Fortschritt in der Debatte verdanken wir Edward Snowden“

Antrag der Piraten zur Anhörung von Edward Snowden

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss eingangs, glaube ich, den Kollegen Heinrichs ein bisschen beruhigen, indem ich sage: Man kann sich seine Fans hier im Hause nicht aussuchen! – Dann passiert so was.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Jahr 2013 stand natürlich unter dem Eindruck des NSA-Skandals; das steht völlig außer Frage. Dieser Skandal ist ein riesengroßer Überwachungsskandal, wenn nicht der größte Überwachungsskandal in der Geschichte. Noch zu Beginn dieses Jahres war es allenfalls Gegenstand von Verschwörungstheorien, dass es eine schrankenlose, anlasslose Ausforschung unser aller Kommunikationsverhalten geben könnte. Inzwischen wissen wir es besser. Mittlerweile ist das Gegenstand von fachlichen Debatten.
Ohne Zweifel ist richtig: Diese Debatten würden wir nicht führen, hätte es nicht die Enthüllungen von Edward Snowden gegeben. Das verdient unseren Dank, und das verdient unsere Anerkennung.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Diese Enthüllungen haben in den vergangenen Monaten vieles bewegt. Kollege Kern hat ein Urteil aus den USA von dieser Woche angesprochen. Heute erst hat das Weiße Haus den Bericht einer Expertenkommission vorgelegt; das werden Sie möglicherweise auch schon zur Kenntnis genommen haben. Darin sind bemerkenswerte Punkte enthalten. Einen Satz der Expertinnen und Experten aus dem Weißen Haus, der schon in den Medien zitiert wurde, fand ich bemerkenswert. Er lautet: Wir kommen zu dem Schluss, „dass einige der Befugnisse, die nach dem 11. September geschaffen oder ausgeweitet wurden, fundamentale Interessen bei der individuellen Freiheit, der Privatsphäre und beim demokratischen Regieren unzulässig opfern“.
Wer hätte vor kurzer Zeit gedacht, dass die Vereinigten Staaten zwölf Jahre nach 9/11, in denen gerade die heimische Sicherheit immer über alles gestellt wurde, endlich wieder zu einem Punkt kommen, an dem über das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit nachgedacht, neu debattiert wird? Da ist offensichtlich ein grundlegender Bewusstseinswandel in Gang gekommen. Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren, dass dieser Bewusstseinswandel auch in konkretes gesetzgeberisches Handeln umgesetzt wird.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Es gibt viele weitere Bereiche, zu denen die Expertenkommission Vorschläge macht: Zum Beispiel soll der Einbau von Backdoors in vermeintlich sichere Produkte beendet werden. Die NSA soll nicht mehr die Befugnis haben, Verschlüsselungsstandards zu unterminieren. Der Foreign Intelligence Surveillance Court soll reformiert werden. Die Aktivitäten der US-Dienste im Ausland sollen grundlegend reformiert werden.
Meine Damen und Herren, das soll aber nicht heißen, dass bei der NSA jetzt alles gut wird; es wäre auch vermessen, das zu erwarten. Im Gegenteil! Es wird auf die konkrete Umsetzung ankommen. Aber – das ist mir in dem Zusammenhang wichtig – es gibt offensichtlich Veränderungen. Es gibt endlich die Bereitschaft in den Vereinigten Staaten, über Konsequenzen aus dem NSA-Skandal nachzudenken, anstatt ewig abzuwiegeln. Das ist ein Fortschritt, der hoffentlich über den Tag hinausreichen wird.
Ich sagte es eingangs: Den Fortschritt in der Debatte verdanken wir Edward Snowden. Er war bereit, ein weitgehend selbstbestimmtes Leben aufzugeben, um die Menschheit, die Bevölkerung der Vereinigten Staaten, der westlichen Hemisphäre über die Vorgänge zu informieren, die ihm aufgefallen sind, nämlich dass in seinem Zuständigkeitsbereich geltendes Recht gebrochen wird. Er hat dafür einen großen Schritt gemacht und ist zudem bereit, für den weiteren Aufklärungsprozess zur Verfügung zu stehen.
Ich hoffe in dem Zusammenhang, dass es tatsächlich möglich sein wird, diesen Zeugen im Europäischen Parlament anzuhören. Im Moment gibt es durchaus Versuche, genau das zu verzögern. Die Modalitäten einer solchen Anhörung sind noch vollständig offen.
In Ihrem Antrag allerdings – dazu will ich jetzt gerne kommen –
(Zurufe von den PIRATEN: Ah!)
ist zum einen eine Selbstverständlichkeit formuliert. Es ist selbstverständlich, dass die Landesregierung, sollte es eine solche Anhörung Edward Snowdens im LIBE-Ausschuss des Europäischen Parlaments geben, diese verfolgen und auswerten wird.
Zum anderen finde ich den dritten Punkt in Ihrem Antrag, das Europäische Parlament aufzufordern, passgenaue Fragen zu stellen, schon ziemlich krass. Wie anmaßend ist es denn, wenn wir als Landtag das demokratisch gewählte Europäische Parlament auffordern, anständige Fragen zu stellen und seine Arbeit vernünftig zu machen?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe – das sage ich ganz offen –, zumindest was die grüne bzw. die EFA-Fraktion im Europäischen Parlament angeht, großes Vertrauen in die Kolleginnen und Kollegen, dass sie der Aufgabe nachkommen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)