Martina Maaßen: „Wir arbeiten unter anderem an einer Regelsatzerhöhung, an der Aussetzung von Sanktionen und an einem Mindestlohn“

Sozialbericht der Landesregierung

Martina Maaßen (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht des Sozialministeriums ist nicht geschönt. Er zeigt in ungeschönter Deutlichkeit, wie sich die Lebenslagen in Nordrhein-Westfalen darstellen. Es ist schon viel über Niedriglohn, Leiharbeit, Zeitverträge, Minijobs, Werkverträge und Befristungen als Ursachen für Armut gesagt worden. Sozialromantik, Herr Preuß, ist das nicht. Es ist die Realität.
Ich möchte hier insbesondere auf die prekäre Lebenssituation der Menschen eingehen, die vom Bezug des Arbeitslosengeldes II leben müssen. Auch möchte ich aus Gründen der Selbstkritik nicht verschweigen, dass Grüne ihren Anteil daran hatten; aber wir arbeiten daran. Wir arbeiten unter anderem an einer Regelsatzerhöhung, an der Aussetzung von Sanktionen und an einem Mindestlohn.
Herr Preuß, Prekariat als positiven Einstieg in den Arbeitsmarkt zu definieren, ist schäbig. Einmal wieder enttäuscht der CDA-Flügel in der CDU-Fraktion.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich hoffe darauf, dass ich in dieser Legislaturperiode noch das eine oder andere „C“ und das eine oder andere „A“ erkennen kann. Ich würde mich darüber freuen.
Frau Middendorf, ich glaube, dass Sie es nötig haben, einen SGB-II-Einführungskursus zu besuchen;
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
denn das Bildungs- und Teilhabepaket ist leider – das wollten wir als Grüne nicht – ein individueller Anspruch. Es kommt bei den Menschen einfach nicht an. Das haben wir im Land nicht zu verantworten, sondern Sie mit Ihrer schrecklichen Gesetzgebung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir wollten in Strukturen und nicht in die individuelle Antragstellung investieren. Dann hätten wir dieses Problem nicht, und dann wären die Mittel verausgabt worden. So sieht es aus.
Lassen Sie mich zum Sozialbericht zurückkommen. Im Jahr 2010 haben mehr als 1,6 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen Hartz-IV-Leistungen bezogen. Besonders erschreckend ist jedoch, dass 40 % der erwerbsfähigen Leistungsbezieher seit mindestens vier Jahren Arbeitslosengeld II bekommen. Menschen in verfestigtem Leistungsbezug sind häufiger Frauen, Ältere und Personen mit niedrigem Qualifikationsniveau.
Was bedeutet das für diese Menschen? Ein Leben am Rande der Gesellschaft, ein Leben am Existenzminimum.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Menschen, die es aus unterschiedlichsten Gründen auf dem Arbeitsmarkt schwer haben, in unserer Gesellschaft nicht gewollt sind. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wie will man das denn mit Hartz IV machen, wenn für Gaststättenbesuche 7 €, für Kultur, Freizeit und Unterhaltung 39 € sowie für Busfahrkarten rund 19 € zur Verfügung stehen, die günstigste Monatskarte aber bereits 30 € kostet? Soziale Teilhabe wird hier durch statistische Größen bestimmt, soziale Teilhabe ist nur noch eine Rechengröße.
Ein Regelsatz von 374 € monatlich ermöglicht keine soziale Teilhabe, sondern ein Leben mit Suppenküchen, Tafeln und sozialen Warenhäusern. Überall wird propagiert, dass Bildung – soziale und berufliche Bildung – der Schlüssel zur Teilhabe in unserer Gesellschaft ist. Hierfür stehen für einen Erwachsenen jedoch gerade einmal 1,39 € im Monat zur Verfügung. Eine Hilfeempfängerin kann sich nach fünf Monaten Ansparphase vielleicht ein Taschenbuch für 7 € kaufen. Nach 21 Monaten ist vielleicht ein Fachbuch drin. Sogenannte arbeitsmarktferne Personen, meine Damen und Herren, finden bei Frau von der Leyen weder Geld noch eines ihrer medialen Zeitfenster.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Auch in 2013 kürzt die Arbeitsministerin weiter den Eingliederungstitel für Langzeitarbeitslose. Wir in NRW setzen etwas dagegen. Mit unserem Modellprojekt „Sozial-Integrativer Arbeitsmarkt“ haben wir eine bundespolitische Debatte ausgelöst. Immer mehr Bundesländer schließen sich uns an. Im Bundesrat wird zurzeit intensiv darüber beraten. Selbst bei der FDP ist der Passiv-Aktiv-Transfer kein Fremdwort mehr. Wir wollen Arbeit finanzieren, und zwar gute Arbeit, eine öffentlich geförderte Arbeit im ersten Arbeitsmarkt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Meine Damen und Herren, hinter jeder Statistik, jeder Berechnungsgröße und jeder Betroffenenzahl stehen einzelne Menschen. Was ihnen neben all dem Geschilderten auch fehlt, ist das Mittendrin, das Dabeisein, die Wertschätzung von uns allen. Dazu sollten wir beitragen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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