Martina Maaßen: „Die systematische Anwerbung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist der falsche Weg; denn sie werden in ihrem Heimatland gebraucht.“

Antrag der FDP zum Fachkräfte- und Ausbildungsbedarf

Martina Maaßen (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 5,5 Millionen Jugendliche und junge Erwachsene in Europa wollen endlich ihr eigenes Leben beginnen. Stattdessen sind sie Leidtragende einer Krise, die sie nicht selbst zu verantworten haben. Fast ein Viertel der unter 25‑Jährigen der Eurozone haben derzeit keinen Job. Ihr Leben ist geprägt von Perspektivlosigkeit. Ihre Zukunft ist in Gefahr. Es droht eine verlorene Generation. Ihre Chancenlosigkeit geht uns alle etwas an.
(Minister Guntram Schneider: Das stimmt!)
Merkels harter Sparkurs hat in Europa die Jugendarbeitslosigkeit verschärft.
(Beifall von den GRÜNEN – Walter Kern [CDU]: Das stimmt nicht!)
– Doch, das stimmt. – Im Zuge der Finanzkrise hat dies zu empfindlichen Haushaltskürzungen mit weitreichenden sozialen Verwerfungen geführt.
Der in der letzten Woche professionell initiierte „Gute-Taten-Gipfel“ war Wahlkampfshow pur. Die mit viel Tamtam angekündigten EU-Gelder zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit waren keine wundersame Geldvermehrung, Herr Kern. Das nun bereitgestellte Geld schlummerte bereits in den EU-Töpfen.
Meine Damen und Herren, der Antrag der FDP-Fraktion greift wichtige Themenfelder auf. Er hat für uns Grüne jedoch eine inhaltliche Ausrichtung, die wir nicht teilen, ja sogar problematisch finden.
Herr Alda, zum einen gilt: Gäbe es in Südeuropa keinen Mindestlohn, erfolgte in dieser Krisensituation ein freier Fall in den Niedriglohnsektor.
(Ulrich Alda [FDP]: Immer noch besser als gar keine Arbeit!)
– Nein. Es ist überhaupt nicht zu vertreten, Leute in den Niedriglohnsektor zu drängen und dann hier öffentlich zu behaupten, das sei gute Arbeit.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Dagegen möchte ich mich entschieden verwehren. Ich finde es ein Trauerspiel, dass die FDP immer noch so denkt. Das ist beschämend. Ehrlich gesagt, nervt mich das total.
(Ulrich Alda [FDP]: Mich auch!)
– Sorry; dann kommen wir da nicht überein. Das müssen wir aber auch nicht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die systematische Anwerbung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist der falsche Weg; denn sie werden in ihrem Heimatland gebraucht.
(Minister Guntram Schneider: So ist es! Sehr gut!)
Durch Anwerbung entziehen wir dem Arbeitsmarkt der Herkunftsländer schulisch und beruflich gut qualifizierte junge Erwachsene – Fachkräfte, die benötigt werden, um die Wirtschaft in der Heimat wieder in Schwung zu bringen. Es ist aber von gesamteuropäischer Bedeutung und Verantwortung, diese Abwärtsspirale im Heimatland zu unterbrechen und nicht zu forcieren.
Junge Erwachsene mit einer bewussten und wohlüberlegten Abwanderungsentscheidung finden in NRW jedoch schon Unterstützungsangebote, zum Beispiel über das Landesanerkennungsgesetz, die Kommunalen Integrationszentren, die Beratungsangebote zur beruflichen Entwicklung sowie die Fachkräfteinitiative NRW.
Aber auch bei uns ist nicht alles rosig. Im europäischen Vergleich verfügt Deutschland zwar über eine niedrige Jugendarbeitslosenquote.
(Beifall von Walter Kern [CDU])
– Sie brauchen noch nicht so früh zu klatschen, Herr Kern. Das Kritische kommt ja noch.
(Walter Kern [CDU]: Das ist so!)
– Ja, es ist so. Bei uns ist trotzdem nicht alles prickelnd. Das lege ich Ihnen gleich dar. –Im letzten Jahr wurden nämlich nicht mehr, sondern weniger Ausbildungsplätze besetzt. Auch in diesem Jahr können wir nicht jeder Bewerberin einen Ausbildungsplatz anbieten. Trotz Fachkräftemangel und guter Konjunktur bilden nämlich nur rund 20% unserer Betriebe aus.
Darum könnten Sie sich einmal kümmern, weil doch Ihre Kontakte zur Wirtschaft so gut sind. Dafür könnten Sie sich einsetzen.
Rund 260.000 junge Menschen landen Jahr für Jahr in unseren Warteschleifen im Übergangssystem, ganz zu schweigen von den jungen Menschen – das möchte ich noch einmal deutlich betonen –, die als Asylbegehrende, Flüchtlinge und Geduldete in skandalöser Weise von unserem Arbeitsmarkt ferngehalten werden. Dies können auch wir nicht tolerieren.
Eine Anwerbung ist nur bedingt auf Freiwilligkeit gegründet. Sie ist geprägt von sozialer Not und Perspektivlosigkeit. Eine nicht freiwillige und nicht bewusste Entscheidung kann auch im sogenannten gelobten Land zu sozialen und persönlichen Problemen weitab von der Herkunftsfamilie führen. Systematische Anwerbung birgt immer auch die Gefahr einer besonders starken Abwanderung von Hochqualifizierten.
Wir Grünen sperren uns nicht, gerade arbeitslosen jungen Menschen aus Ost- und Südeuropa Chancen zu ermöglichen. Wir müssen jedoch einen echten europäischen Arbeits-, Ausbildungs- und Hochschulraum schaffen mit einer Anerkennungsgarantie für beruflich Ausgebildete.
(Walter Kern [CDU]: Das ist doch passiert!)
– Ja, das ist wunderbar. Dann haben wir eine Gemeinsamkeit. Wir sprechen darüber im Ausschuss ja auch noch.
Auch lässt sich ein duales Berufsbildungssystem nicht über Nacht in anderen Ländern einführen. Dies setzt prosperierende Betriebe voraus, die ausbilden können und wollen, die Ausbildungsverträge schließen und Vergütungen zahlen können. Es wird also eine intakte Wirtschaft gebraucht. Genau daran fehlt es in den europäischen Krisenländern.
Junge Fachkräfte sind uns im Sinne zirkulärer Migration herzlich willkommen. „Zirkulär“ bedeutet, dass zeitgleich in die Erholung der Wirtschaft der Herkunftsländer investiert werden muss, um dort mittelfristig wieder neue Jobs entstehen zu lassen, bei denen dann die berufliche Erfahrung aus Deutschland hilfreich ist.
Der Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit in Europa muss auf allen Ebenen höchste Priorität haben und darf sich nicht in Symbolpolitik erschöpfen. Die Krisenbewältigungspolitik der EU muss Jugendarbeitslosigkeit endlich in den Mittelpunkt des Handelns rücken. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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