Mario Krüger: „Wir reden von mehr als 20 Milliarden Euro, die den Kommunen direkt oder indirekt über den Landeshaushalt zur Verfügung gestellt werden.“

Gemeindefinanzierungsgesetz 2016

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Mario Krüger (GRÜNE): Meine Damen, meine Herren! Herr Präsident! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! – Wo ist er? Ach, da hinten steht er. – Herr Nückel, ich weiß nicht, wo Sie vorhin waren, als Sie ausgeführt haben. Offensichtlich waren Sie aber auf dem besagten Trümmerfeld, von dem Sie gerade gesprochen haben, denn anders lassen sich Ihre – Klammer auf, wirren, Klammer zu – Ausführungen nicht erklären.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Nückel, ich würde Ihnen empfehlen, sich mit dieser Vorlage auseinanderzusetzen und sich die Zahlen zu vergegenwärtigen, die Gegenstand dieser Vorlage sind. Unser Innenminister Ralf Jäger hat dazu gerade einiges gesagt. Wir sprechen von einer verteilbaren Finanzausgleichsmasse in Höhe von 9,98 Milliarden €. Das bedeutet ein Plus von 370 Millionen €. Geschuldet ist das nicht nur den sprudelnden Steuereinnahmen, sondern wir haben wie in früheren Jahren – Sie haben das in Ihrer Regierungszeit nicht gemacht – die Grunderwerbsteuer einbezogen sowie die von Ihnen seinerzeit vorgenommene Befrachtung wieder entsprechend kompensiert. In diesem Jahr macht das alleine 410 Millionen € mehr aus.
Wenn Sie des Weiteren diese beiden Faktoren – Einbeziehung der Grunderwerbsteuer plus Herausnahme der schwarz-gelben Befrachtungen seit dem Jahr 2010 – bis zum Jahr 2016 aufaddieren, ergibt das wiederum 2,2 Milliarden € zusätzliche Mittel, die wir über den kommunalen Finanzausgleich den Kommunen zugutekommen lassen.
Damit ist aber längst nicht die Messe gelesen. Das Thema „Stärkungspakt Stadtfinanzen“: Selbstverständlich kann man sich darüber streiten, inwieweit man strukturstarke Gemeinden zur Finanzierung des „Stärkungspaktes Stadtfinanzen“ heranzieht. Aber Sie sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass 70 % der Gelder, die wir dort einspeisen, insgesamt 5,76 Milliarden €, sprich 4 Milliarden €, originär aus dem Landeshaushalt zur Verfügung gestellt werden. Und das unterscheidet uns von der damals abgewählten schwarz-gelben Landesregierung. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!
Und wenn Sie Vergleiche anstellen, dann sollten Sie aber auch noch mal das eine oder andere dazu erläutern. Ich will das gerne an dieser Stelle machen. Die Entwicklung der Kassenkredite, wie sie eben vorgetragen worden ist, ist ohne Zweifel eine, die uns mit Besorgnis erfüllt – ohne Zweifel.
Essen: mehr Kassenkredite als die Kommunen in den Bundesländern Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg zusammen, und zwar um den Faktor drei mehr als in den drei genannten Bundesländern.
Aber worauf ist das zurückzuführen? – Wenn Sie mit den Beteiligten sprechen, zum Beispiel mit dem Kämmerer der Stadt Bottrop – Stärkungspaktkommune –, dann sagen die Ihnen: Das, was wir an Konsolidierungserfolgen erreicht haben, wird beispielsweise aufgefressen durch die von uns zu leistenden Mehraufwendungen für die Flüchtlingsunterbringung.
Wo ist denn die Bundesregierung, die sich insoweit ihrer Verantwortung stellt und ihren Teil zur Bewältigung der im Zusammenhang mit dem Zustrom von asylsuchenden Flüchtlingen anfallenden Kosten trägt? – Sie ist nicht da!
Wir haben seinerzeit deutlich gemacht, dass wir erhebliche Mehraufwendungen beispielsweise bei den Eingliederungshilfen haben: Mehr als 200/250 Millionen €, je nachdem, welches Jahr Sie zugrunde legen, Kostenanstieg bei den beiden Landschaftsverbänden Westfalen-Lippe bzw. Rheinland, finanziert über entsprechende Umlagen zulasten der Kommunen. Wo ist das Eingliederungsgesetz mit Kostenentlastungen von 5 Milliarden €, die in früheren Jahren wortreich angekündigt worden sind? Bis heute gibt es keinen entsprechenden Entwurf. Man vertröstet uns auf 2018.
(Beifall von den GRÜNEN)
Anderes Thema: Wir beschäftigen uns nicht erst seit wenigen Jahren mit der kommunalen Finanzsituation, Stichworte: Gewerbesteuer und deren Schwankungen. Schauen Sie sich einmal an, wie hoch die Einnahmen der Stadt Essen aus der Gewerbesteuer in früheren Jahren im Vergleich zu heute waren: Sie sind regelrecht abgestürzt. Warum? Das Gewerbesteueraufkommen fokussiert sich nur noch auf wenige Unternehmungen.
Wer hat seinerzeit eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen gefordert – die Einbeziehung von Freiberuflern, die Einbeziehung von Architekten, Ingenieuren, Ärzten? – Das waren Grüne. Wo war die FDP? Sie hat sich dagegen ausgesprochen. Sie wollten das nicht.
(Zuruf von Thomas Nückel [FDP])
Sie haben das seinerzeit mit Vehemenz abgelehnt und dafür Sorge getragen, dass wir im Rahmen einer entsprechenden Reform der Gewerbesteuer hier keinen einzigen Schritt weitergekommen sind.
(Norwich Rüße [GRÜNE]: Herr Nückel, das überrascht Sie auch nicht! – Thomas Nückel [FDP]: Eine völlig andere Systematik!)
Kosten der Unterkunft: Wir haben einen stetigen Anstieg bei den Kosten der Unterkunft oder, anders formuliert, bei der Finanzierung im Bereich des Arbeitslosengeldes II. Wer ist nicht bereit, einen größeren Beitrag zu leisten? – Die Bundesregierung. Und wir als Land – das ist Ihre Aussage – sollen das sozusagen eins zu eins entsprechend ersetzen. Wir können das nicht, allein schon nicht mit Blick auf die heutige Haushaltsdebatte, mit Blick auf auf die momentane Neuverschuldung und darauf, welchen Entschuldungspfad wir zu Recht einschlagen wollen.
Sie reden davon – da greife ich gerne die Ausführungen von Herrn Nettelstroth auf –, der Verbundsatz von 23 % müsse angehoben werden. – Ich würde mich freuen, wenn uns das gelingen würde. Man muss aber auch sagen: 1 % Anhebung Verbundsatz kostet etwa 500 Millionen €. Wenn man Verhältnisse aus dem Jahre 1981 heranziehen will – da hatten wir 28,5 % –, greife ich die Worte von Michael Hübner auf: Dann kostet uns das etwa bei 5,5 % rund 3 Milliarden €. Dann geben Sie auch eine Antwort, wie Sie das finanzieren wollen. Diese Antwort bleiben Sie schuldig.
(Thomas Nückel [FDP]: Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Dann lösen Sie das Problem!)
Jetzt gucken wir uns mal die Situation in anderen Bundesländern an. Da wird immer gesagt: Die anderen Bundesländer machen das viel, viel besser als Nordrhein-Westfalen. Schauen wir uns deswegen deren Verbundquoten an: Niedersachen 15,5 %, Rheinland-Pfalz 21 %, Saarland 20,6 %, Sachsen-Anhalt 18 %, Schleswig-Holstein 17,83 % und Ihr Paradebeispiel Bayern, bezogen auf die Frage, in welchem Umfang die Kommunen an dem Steueraufkommen beteiligt werden, legt einen Verbundsatz von 12,75 % zugrunde.
Herr Nückel, Herr Nettelstroth, Sie sollten zur Kenntnis nehmen: Es gibt kein Bundesland, das bezogen auf die Verbundquote, besser ist als Nordrhein-Westfalen mit 23 % – keines. Wenn wir die bayerischen Verhältnisse übertragen und die Verbundquote auf 12,75 % absenken würden, dann würden wir eins zu eins mehr als 4 Milliarden € sparen und könnten dann ohne Probleme, Ralf Jäger, die Mehraufwendungen bei der Eingliederungshilfe eins zu eins übernehmen. Wir könnten die Mehraufwendungen bei der Flüchtlingshilfe übernehmen, und zwar eins zu eins. Das ganze Thema „Inklusion“ könnten wir komplett abräumen. Aber letztendlich ist das nichts anderes als linke Tasche/rechte Tasche.
Ich würde Ihnen, wollen Sie das vergleichen, empfehlen, die richtigen Vergleichsmaßstäbe anzusetzen. Und wenn Sie vergleichen, dann tun Sie mir einen Gefallen: Schauen Sie sich einmal den jährlich im Mai veröffentlichten Bericht an, der Auskunft darüber gibt, welch zusätzlicher Aufwendungsersatz in diesem Zusammenhang den Kommunen über diverse Landesprogramme noch zur Verfügung gestellt wird. Da sind wir nämlich bei weiteren 9,5 Milliarden €.
Das heißt in der Summe: 10 Milliarden € Gemeindefinanzierungsgesetz plus „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ plus die verschiedenen Landesprogramme. Wir reden von mehr als 20 Milliarden €, die den Kommunen direkt oder indirekt über den Landeshaushalt zur Verfügung gestellt werden. Das sind rund 30 %.
Thema „Hauptansatzstaffel“: Wir haben lange darüber diskutiert im Rahmen verschiedener Kommissionen. Wir haben Gutachten eingeholt, gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden. Selbst der Verfassungsgerichtshof bescheinigt, dass die gewählte eine richtige Herangehensweise ist. Sie ist angemessen.
Nun könnte man sagen, die NRW-Leute beschreiten mal wieder ihren eigenen Weg. Schauen wir uns einmal an, wie es in den anderen Bundesländern aussieht. Auch hier werden Sie feststellen: Alle arbeiten mit dem Instrument der Hauptansatzstaffel. Wenn Sie sich die Spreizung anschauen: in Nordrhein-Westfalen 100 % bzw. bei 615.000 Einwohnern 139 %. In Bayern liegt sie zwischen 112 % bis 150 %, Niedersachsen geht bis auf 180 %, Sachsen bis auf 190 %. Offensichtlich sind wir da auf einem guten Weg, wenn wir in ähnlicher Art und Weise die Verteilung der Kommunalfinanzen unter anderem abhängig machen von der Größe der Städte.
Gleiches Thema beim Soziallastenansatz: Sie haben es über Jahre hinweg versäumt, in diesem Zusammenhang eine Aktualisierung der Grunddaten vorzunehmen. Wir verzeichnen, wie Sie zu Recht ausgeführt haben, einen Anstieg bei den Sozialaufwendungen. Das bildet sich auch über einen entsprechenden Soziallastenansatz ab. Das komplett infrage zu stellen, macht deutlich, dass Sie sich offensichtlich immer noch auf einem Trümmerfeld diverser Gedanken bewegen – das haben Sie vorhin so beschrieben – und nicht wissen, wie Sie damit umzugehen haben.
Insofern freuen wir uns auf die Debatte, die wir in den entsprechenden Ausschüssen zu führen haben. Wie das Ganze ausgehen wird, kann ich Ihnen heute schon sagen: Wir werden an unserem kommunalfreundlichen Kurs festhalten, und ich empfehle Ihnen: Schauen Sie sich einmal an, wie dieser Kurs in den entsprechenden Mitteilungen des Städte- und Gemeindebundes, des Städtetages und Landkreistages bewertet wird. Sie finden dort erhebliche Unterschiede zu der Herangehensweise, wie sie seinerzeit Schwarz-Gelb an den Tag gelegt hat. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

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