Manuela Grochowiak-Schmieding: „Lassen Sie uns an einer gleichberechtigten Teilhabe und Selbstbestimmung für alle auf einem Weg in eine wirklich tolerante, offene und verantwortungsbewusste Gesellschaft arbeiten“

Gemeinsamer Antrag für die Einrichtung eines Hilfsfonds für Psychiatrieopfer

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Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vorgeschichte des Heimerziehungsfonds ist von meinen Vorrednern ausreichend dargestellt worden, denke ich. Darauf möchte ich jetzt nicht weiter eingehen.
Lassen Sie mich allerdings noch einmal Folgendes fokussieren: Vom Heimerziehungsfonds ausgeschlossen als Antragstellerinnen und Antragsteller und somit auch als Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger wurden Menschen mit Behinderung. Das ist mit nichts zu erklären und zu begründen – es sei denn, dass diese Menschen wissentlich und bei vollem Bewusstsein diskriminiert werden sollten; denn das Ausmaß des durch Gewalt und Missbrauch empfundenen Leids ist unabhängig davon, ob Menschen mit oder ohne Behinderung leben.
(Beifall von der CDU und den PIRATEN)
Daher ist der Beschluss, den wir heute fassen werden, richtig. Damit stellen wir das erlittene Unrecht, das Menschen mit Behinderung in Einrichtungen für Behinderte, in der Psychiatrie und in anderen Heimen erlitten haben, mit dem Leid der ehemaligen Heimkinder gleich. Auch sie sollen Entschädigung in Form von Rentenausgleichszahlungen oder Sachleistungen erhalten.
Nordrhein-Westfalen wird seinen Beitrag hierzu leisten, Herr Burkert, da bin ich mir ganz sicher. Es reicht aber nicht, dass Nordrhein-Westfalen dies allein tut, sondern das muss bundesweit geschehen, im Verbund mit den Kirchen und natürlich auch mit dem Bund und den anderen Ländern gemeinsam. Ich denke, dass Sie das auch wissen. Es reicht also nicht, wenn Nordrhein-Westfalen hier alleine handelt. Hier sind alle gefordert. Das Ganze muss jetzt schnell umgesetzt werden. Da sind wir einer Meinung, denke ich.
So weit, so gut, meine Damen und Herren. – Ich möchte die Gelegenheit aber auch nutzen, den Blick noch einmal auf die Gesellschaft zu richten, die derartiges Unrecht zulässt. Lassen Sie es mich einmal kurz skizzieren: Da kommen Kinder in eine Einrichtung der öffentlichen Hand oder der Kirche. Mitunter treffen sie dort auf Personal, das sie körperlich – also psychisch und physisch – misshandelt oder gar sexuell missbraucht. Als Jugendliche müssen sie schuften bis zum Umfallen – ohne Lohn.
Heute wissen wir, dass dies keine Einzelfälle waren. Vielmehr geht die Zahl der Opfer in die Tausende. Und die Gesellschaft hat nichts bemerkt, hat nicht entsprechend gegengesteuert?
Werfen wir einen Blick in die heutige Zeit, mehrere Jahrzehnte später. Wie ist die Situation da? Menschen werden halb totgeprügelt; viele schauen zu. Gaffer behindern Rettungsdienste bei ihrer Arbeit; niemand jagt sie weg. Erst gestern haben wir von den Medien folgende Schlagzeilen präsentiert bekommen: Jeden Tag sterben in Deutschland zwei Kinder; totgeprügelt, gequält, verdurstet, verhungert. – Und wir alle haben nichts bemerkt? Sind wir denn ein Volk von Sinnesgeschädigten? Oder sind wir einfach nur feige und bequem?
Was treibt Menschen dazu, andere zu quälen und zu demütigen? Ist es eine eigene repressive Erfahrung? Oder ist es einfach der Wille, Macht auszuüben und sich dabei gut zu fühlen? Tatsächlich erleben wir anhand solcher Gewalttaten Auswüchse einer Gesellschaft. Immer noch werden auch bei uns Unterschiede und Verschiedenheiten allgemein als gut oder schlecht, als schwarz oder weiß beurteilt und bewertet. Menschen werden immer noch an den Rand der Gesellschaft gedrängt; sie werden diskriminiert. Gleichberechtigung, das Miteinander auf Augenhöhe, gelingt zumeist lediglich in der eigenen Peer Group. Individualismus, der nur auf Kosten anderer zu eigenem Wohlbefinden führt, ist schädlich für unsere Gesellschaft. Das müssen wir uns doch vor Augen führen.
Wir entscheiden heute einmütig, über alle Fraktionsgrenzen hinweg – und das finde ich wirklich erfreulich –, Menschen mit Behinderung, denen als Kindern oder Jugendlichen in Einrichtungen Unrecht geschehen ist, zu entschädigen. Das ist gut und das ist auch richtig.
Damit künftige Generationen nicht ähnliche Entscheidungen treffen müssen, lassen Sie uns ebenso einmütig an einer gleichberechtigten Teilhabe und Selbstbestimmung für alle auf einem Weg in eine wirklich tolerante, offene und verantwortungsbewusste Gesellschaft arbeiten. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD, der FDP und den PIRATEN)

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