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Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Inklusion ist ein Menschenrecht. Ich denke, wir alle haben eine Vorstellung davon, wie unser Leben aussehen soll. Wir arbeiten daran, dass unsere Wünsche, Ziele und Träume Wirklichkeit werden.
Es ist ein durch unser Grundgesetz verbrieftes Recht, dass jeder Mensch sich frei entfalten darf. Die Freiheit jeder Person ist unverletzbar, die Würde aller Menschen unantastbar, und alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht sind an diese Grundrechte gebunden. Das alles gilt selbstverständlich auch für Menschen mit Behinderung. Ja, Inklusion ist ein Menschenrecht.
(Beifall von den GRÜNEN und von Frank Herrmann [PIRATEN])
Realität und Lebensalltag sehen allerdings für viele betroffene Menschen anders aus. Tagtäglich müssen sie um ihr Recht auf Unterstützung kämpfen, Barrieren überwinden – und das ist in einem reichen und zivilisierten Land wie Deutschland nicht weiter hinnehmbar.
Spätestens seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2009 besteht die Verpflichtung, gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Behinderung zu gewährleisten. Dies versprach die Bundesregierung zu tun, und zwar mit einem Bundesteilhabegesetz.
Ich muss nicht weiter auf die Genese dieses Gesetzentwurfes hinweisen; die kennen wir alle. Der Kollege Neumann hat es eben auch schon erwähnt: Wir haben bereits im letzten Jahr hier im Landtag mit einem Beschluss deutlich gemacht, welche Mindestanforderungen wir an ein Bundesteilhabegesetz stellen. Leider finden sich nicht alle diese Forderungen im Gesetzentwurf wieder. Auch die Sozial- und Behindertenverbände haben ihrerseits durch eine Vielzahl von Protestaktionen gegen den vorgelegten Gesetzentwurf aufmerksam gemacht und verdeutlicht, wo wesentliche Regelungen deutliche Einschränkungen der Selbstbestimmung und Teilhabe zur Folge haben werden.
An einigen Stellen gibt es zugegebenermaßen Verbesserungsbedarf. Das betrifft zum Beispiel die Frühförderung in der Arbeitswelt. Wesentliche Regelungen dieses Gesetzentwurfes widersprechen jedoch in eklatanter Weise dem Grundgesetz und auch den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.
An erster Stelle ist die Zugangsregelung zur Unterstützungsleistung der Eingliederungshilfe zu nennen. Nur wer in fünf von neun definierten Lebensbereichen Unterstützungsbedarf hat oder persönliche Assistenz in drei von neun benötigt, soll demnach Unterstützungsleistungen erhalten. Dies kommt einem Ausschluss all derjenigen aus dem Unterstützungssystem gleich, die in den Augen des Gesetzgebers nicht behindert genug sind. Das ist defizitorientiert, das ist diskriminierend. Es ist schlichtweg absurd. Hier muss der Gesetzentwurf geändert werden
(Beifall von den GRÜNEN)
Das Wunsch- und Wahlrecht wird dadurch unterlaufen, dass Assistenzleistungen von mehreren Betroffenen gemeinsam in Anspruch genommen werden sollen, Stichwort Poolen. Auch hierzu gab es eben schon Ausführungen. Natürlich gibt es Bereiche, wo das sinnvoll erscheint und sich bestimmt auch umsetzen lässt. In intimen Lebensbereichen und in der Lebensgestaltung jedoch darf eine gemeinsame Leistungsunterbringung nicht gegen die Zustimmung der Betroffenen laufen. Hier müssen die Betroffenen selbst entscheiden können.
Das Wunsch- und Wahlrecht wird unterlaufen durch den Kostenvorbehalt, der vorschreibt, dass Leistungsanbieter mit Preisen im unteren Drittel der Angebote eingesetzt werden dürfen. Hiermit besteht tatsächlich die Möglichkeit, Menschen mit hohem Assistenzbedarf zwangsweise in stationären Einrichtungen unterzubringen, weil dies als angemessen erscheint und vor allen Dingen billiger zu haben ist. Das ist diskriminierend, und das ist das Gegenteil von personenzentrierter Leistungserbringung. Hier besteht klarer Änderungsbedarf.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Auch bei der Schnittstelle Eingliederungshilfe und Pflege soll es Verschlechterungen statt Verbesserungen für die Betroffenen geben. Nach diesem Gesetzentwurf sollen viele der Menschen mit Behinderung, die in Wohngemeinschaften leben, weniger Geld aus der Pflegekasse erhalten als andere Pflegebedürftige. Das ist diskriminierend und wird auch von Verfassungsrechtlern als verfassungswidrig beurteilt. Auch hier besteht Änderungsbedarf.
Pflege soll nach dem Gesetzentwurf im häuslichen Bereich Vorrang vor Eingliederungshilfe haben und umgekehrt im außerhäuslichen Bereich. Die Leistungen der Pflege- und Eingliederungshilfe unterscheiden sich aber elementar, und sie dürfen nicht alternativ angeboten werden, sondern müssen gleichberechtigt nebeneinander stehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch hier sind Änderungen am Gesetzentwurf nötig.
Nach wie vor wird das Einkommen zur Leistungserbringung von Unterstützungsmaßnahmen herangezogen.
(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)
– Ich habe noch ein paar Sätze.
Die Erleichterungen durch den BTHG-Entwurf würden nur für wenige gelten und unterliegen in einem komplizierten Berechnungsverfahren. Das hat zur Folge, dass Menschen, die Unterstützungsbedarf haben, praktische Beseitigung von Barrieren und die notwendige Unterstützung zur Teilhabe aus eigener Tasche finanzieren müssen. Das ist diskriminierend und widerspricht den Grundsätzen gleichberechtigter Teilhabe und Selbstbestimmung.
Die Bundesregierung weigert sich schlichtweg, sich ebenfalls konsequent an den Kosten zur Eingliederungshilfe zu beteiligen.
(Zuruf von Ulrich Alda [FDP])
Hier muss der Bund mehr Verantwortung übernehmen. Ein Bundesteilhabegesetz muss die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung verbessern.
Es muss die Vorgaben des Grundgesetzes befolgen und die Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention befolgen. Es muss in wesentlichen Punkten geändert werden. Denn der bisherige Entwurf der Bundesregierung entspricht nicht diesen Forderungen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Wie viele Seiten sind es denn noch, Frau Kollegin? Denn die anderen Kolleginnen und Kollegen haben auch noch ein paar Sätze.
(Heiterkeit)
Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE) TC „Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE)“ f C l „5“ : Letzter Satz.
(Beifall)
Wir fordern die Landesregierung auf – ein Satz – …
Vizepräsident Oliver Keymis: Na!
Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): … sich im Bundesrat für diese Änderungen einzusetzen. Erst mit diesen entsprechenden Änderungen würde der BTHG-Entwurf zustimmungsfähig werden.
Meine Damen und Herren,
(Heiterkeit)
lassen Sie uns heute hier als Land Nordrhein-Westfalen ein wichtiges Zeichen setzen, ein gemeinsames Zeichen. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN)