Lena Zingsheim-Zobel: „Jede entfallende Unterrichtsstunde ist eine zu viel“

Zu Anträgen der Fraktionen von SPD und FDP zur Unterrichtsversorgung

Portrait Lena Zingsheim-Zobel

Lena Zingsheim-Zobel (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen! Unser Bildungssystem steht aktuell ohne Zweifel vor einer immensen Herausforderung mit weitreichenden Folgen: dem Lehrkräftemangel.

Schüler*innen erleben als Folge daraus tagtäglich Unterrichtsausfall. Es gibt nicht genug Lehrkräfte, um Krankheits- und Fehltage der Kolleg*innen auszugleichen. Manchmal gibt es nicht einmal genug Lehrkräfte, um die reguläre Stundentafel abzudecken. Dem setzen die Schulen in ihrem eigenen Gestaltungsfreiraum durch schulinterne Curricula nach Abwägung etwas entgegen.

Zur alltäglichen Praxis gehört, dass Schulleitungen und Kolleg*innen alles versuchen, um jede Stunde, die gegeben werden kann, auch zu erteilen. Dahinter steckt, dass alle, die im System Schule arbeiten, den Schüler*innen den Unterricht bieten wollen, den sie für gute Bildung brauchen, und dass Unterricht niemals leichtfertig ausfällt. Dieses Engagement und der Arbeitsaufwand für das System, der dahintersteckt, werden in dieser Statistik nicht deutlich.

Die Zahlen, die das Ministerium vorgestellt hat, zeigen, dass etwa jede fünfte Unterrichtsstunde nicht wie geplant stattfindet. Diese Zahl ist alarmierend und verdeutlicht die Dringlichkeit, diesen Problemen wirkungsvoll zu begegnen.

Liebe SPD, damit komme ich zu Ihrem Antrag. Ich teile Ihre Besorgnis über den Unterrichtsausfall und den Lehrkräftemangel. Deshalb ist die Fortschreibung des Handlungskonzepts Unterrichtsversorgung so wichtig. Ein-Fach-Lehrkräfte, ein erleichterter Seiteneinstieg, eine moderne Lehrer*innenausbildung – all das sind doch Dinge, die schon zur Debatte stehen und die die Ministerin bereits im Ausschuss angedeutet hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Marcel Hafke [FDP]: Andeutungsministerin!)

In diesem Konzept sind auch jetzt schon kurz-, mittel- und langfristig wirkende Maßnahmen festgehalten, um die Unterrichtsversorgung sicherzustellen.

Auch der neu vorgestellte Sechspunkteplan des Fortbildungskonzepts kann dazu beitragen, dass Lehrkräfte sich besser auf die Herausforderungen im Schulsystem vorbereiten können und somit Unterrichtsausfall reduziert werden kann.

Ja, man muss sich auch die Feinheiten anschauen. Die aktuelle Unterrichtstatistik erfasst auch außerschulische Aktivitäten als Unterrichtsausfall. So ist Ihre Unterrichtstatistik angelegt, liebe FDP. So ist Ihr Bildungsverständnis oder vielmehr Ihr Nichtbildungsverständnis. Solche Aktivitäten sind keine Bildungsausfälle – dies haben wir in unserem Antrag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung noch einmal aufgegriffen –; ganz im Gegenteil: Lernen muss nicht nur im Klassenraum stattfinden.

Wir wissen längst, dass wir mit einem ganzheitlichen Bildungsbegriff der Lebensrealität junger Menschen viel gerechter werden. Lernen kann genauso gut und manchmal sogar noch viel besser an außerschulischen Lernorten stattfinden, zum Beispiel durch den Besuch einer Gedenkstätte, das Erkunden eines Bauernhofs oder den Besuch von Metabolon, also von Entsorgungszentren, die ressourcenschonendes Wirtschaften erlebbar machen.

Überspitzt könnte man also sogar sagen: Je höher der Prozentsatz von Unterricht in besonderer Form in dieser Unterrichtstatistik ist, desto erfolgreicher arbeiten Lehrkräfte und Schulen. – Das gehört zwar nicht zum eigentlichen Gegenstand dieser Debatte. Aber ich finde, dass wir auch einmal weiter und über den Tellerrand hinaus denken müssen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die Innovationskraft vor Ort ist enorm. Mit der Erneuerung der Ausbildungsordnung für Berufskollegs haben wir in Nordrhein-Westfalen den Weg für digitalen und hybriden Unterricht frei gemacht, sodass das Lernen neu gedacht und auf die Bedürfnisse unserer Zeit angepasst werden kann. Das alles ist Unterricht; das alles ist ganzheitliche Bildung auf der Höhe der Zeit.

Nein, damit beschönige ich keinesfalls die Unterrichtstatistik; natürlich ist jede entfallende Unterrichtsstunde eine zu viel. Aber, liebe SPD, auch das gehört zur Wahrheit dazu.

Wir müssen also gemeinsam und konstruktiv daran arbeiten, die Qualität und Chancengleichheit im Bildungssystem zu gewährleisten. Liebe SPD, wenn wir jetzt anfangen, einen Flickenteppich der Lösungsansätze zu stricken, dann bringt das nur noch mehr Unsicherheiten in das System. Wir lehnen Ihren Antrag deshalb heute ab.

Liebe FDP, damit komme ich zu Ihrem Antrag. Das Handlungskonzept zur Unterrichtsversorgung für gescheitert zu erklären und der Landesregierung Versagen vorzuwerfen, ist meiner Ansicht nach ziemlich einseitig. Ja, die Zahlen sind besorgniserregend. Aber das ist doch nicht wirklich überraschend. Neu ist, dass die Landesregierung die erfassten Zahlen öffentlich macht. Schulministerin Gebauer hatte nicht den Mut, die Ergebnisse im vierten Quartal der letzten Erhebung zu veröffentlichen. Also Vorsicht bei dem Versuch, die schwierige Situation jetzt der aktuellen Ministerin zuzuschieben! Und das rechtfertigt ganz und gar nicht, das gesamte Konzept für gescheitert zu erklären.

Die detailreiche Erhebung der Unterrichtstatistik – so ist es angelegt – ist schließlich erst für das vierte Quartal vorgesehen. Das sollten Sie, liebe Frau Müller-Rech, wissen. Jetzt machen Sie Wind aufgrund von ersten Zahlen, die die Ministerin zusicherte. Wenn Sie alle Zahlen haben wollen, dann geben Sie den Schulen das Jahr über die Möglichkeit, ihre Erhebungen aufzuzeigen. Dann können wir weitersprechen.

Der Lehrkräftemangel ist genauso wenig wie der Unterrichtsausfall von heute auf morgen entstanden. Die Probleme sind über lange Zeit gewachsen und müssen daher langfristig gedacht angegangen werden.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Dann können Sie doch mal anfangen!)

Sie können nicht über Nacht gelöst werden. Nur so können wir sicherstellen, dass jede Schülerin und jeder Schüler die bestmögliche Bildung erhält. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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