Jutta Velte: „Wir halten dies für eine eklatante Schieflage in Fragen der Demokratie“

Gesetzentwurf von SPD und GRÜNEN zum kommunalen Wahlrecht für Nicht-EU Ausländer*innen

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Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein Problem, das in mindestens 17 Ländern der Europäischen Union weitgehend unbekannt ist, darunter – Überraschung! – auch Ungarn. Denn dort gibt es schon lange das Wahlrecht für Drittstaatsangehörige. Bei uns gibt es das im kommunalen Wahlrecht nicht.
Viele Menschen, die dauerhaft in Deutschland wohnen, Steuern zahlen, das System der Sozialversicherungen stärken, ihre Kinder an der Bildung beteiligen, sich in Vereinen und Verbänden engagieren sowie ihren Beitrag zum Wohlstand dieses Landes und zu seinem Erfolg leisten, dürfen nicht wählen. Sie sind systematisch von der Teilhabe an demokratischen Wahlen ausgeschlossen. Noch nicht einmal in den Kommunen, dort, wo Demokratie besonders direkt erfahrbar ist und gelebt werden kann, haben sie das Recht auf demokratische Teilhabe. Wir halten dies für eine eklatante Schieflage in Fragen der Demokratie.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
In meiner Heimatstadt beispielsweise haben etwa 37 % bis 38 % der Nachbarinnen, der Einwohnerinnen einen Migrationshintergrund. Bezogen auf die Wahlberechtigten darf etwa die Hälfte der Eingewanderten wählen und damit mitbestimmen, weil sie EU-Staatsangehörige sind – ohne deutschen Pass –, die andere Hälfte nicht, weil sie aus Drittstaaten stammt. Damit ergibt sich ein enormes Ungleichgewicht, das auch in der Gestaltung kommunaler Politik durch die Parteien seinen Niederschlag findet.
Meine Damen und Herren, welchen Anreiz sollen Menschen haben, ihre Ideen einzubringen, wenn sie weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht haben, und welchen die Parteien und Fraktionen, die Belange von Migrantinnen in ihre Überlegungen und Programme einzubeziehen, wenn sie dafür keine Wählerstimmen bekommen können?
Die Wichtigkeit des kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-Ausländerinnen wird von einem überwiegenden Teil der Bevölkerung anerkannt; Herr Prof. Bovermann hat darauf hingewiesen. Einer repräsentativen Umfrage von infratest dimap im Auftrag des Landesintegrationsrates zufolge sprechen sich in Deutschland 59 % und in Nordrhein-Westfalen 62 % der befragten Wahlbevölkerung für ein kommunales Wahlrecht aus. Dies zeigt, dass das Problem den meisten gar nicht bewusst ist. Sie sagen: Selbstverständlich sollen unsere Nachbarn wählen können; denn sie leben ja an unserer Seite und sie gestalten unsere Kommunen mit.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Meine Damen und Herren von der CDU, auch Ihre Wählerinnen und Wähler sind zu über 50 % der Überzeugung, dass es ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer geben muss. Das heißt, es ist eigentlich für alle selbstverständlich und, wie ich eingangs schon ausführte, in den meisten Ländern Europas auch längst eingeführt. Das zeigt, dass eine Diskussion, wie wir sie hier noch weiter führen werden, nicht nur überfällig ist, sondern in Teilen der Argumentationslinie eher rückwärtsgewandt als nach vorne gerichtet.
Jetzt gibt es an vielen Stellen die Argumentation, die insbesondere die Kolleginnen von der CDU gerne aufbringen: Dann sollen die sich doch einbürgern lassen. – Ich will jetzt mal die ganze Diskussion um die Doppelstaatlichkeit außen vor lassen, weil ich nicht mehr so viel Zeit habe. Die Frage der Einbürgerung ist ja nicht ganz einfach. An dieser Stelle möchte ich einen CDU-Kollegen zitieren, der in einer Veranstaltung – da ging es um die Rechte und die Partizipation von Migrantinnen und Migranten – zur Frage der Einbürgerung gesagt hat, dass er – er lebte für längere Zeit in der Türkei – auf keinen Fall auf seinen deutschen Pass verzichten würde.
Das zeigt doch, wie schwierig es ist, die Einbürgerungsdebatte nach vorne zu bringen. Unter den vielen Resolutionen, die die Verfassungskommission erreicht haben, gab auch solche, die von allen Ratsfraktionen unterschrieben waren, auch CDU und FDP-Ratsfraktionen.
Herr Wolf, die schönste Rede zum kommunalen Wahlrecht und dazu, dass wir es nun endlich einführen sollten, habe ich von meinem FDP-Ratskollegen in Remscheid gehört, der sich für die freiheitlichen Werte der FDP in diesem Zusammenhang sehr intensiv stark gemacht für das kommunale Wahlrecht geworben hat.
(Michael Hübner [SPD]: Was?)
Deswegen freue ich mich auf die Diskussion. Ich glaube, wir müssen sie dringend führen. Ich bin gespannt, wie die Argumente demnächst noch gelebt werden. Der Überweisung stimmen wir zu. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)