Jutta Velte: „Teilhabe heißt auch Wahlrecht – und vor allem Wahlrecht da, wo ich lebe, wo ich arbeite, wo ich mich einbringe.“

Antrag der Piraten zum kommunalen Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger

Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kommunalwahlrecht ist seit vielen Jahren, nämlich seit 1992, Bestandteil politischer Diskussionen.
Eines der schönsten Erlebnisse in meiner gesamten bisherigen politischen Laufbahn hatte ich, als in meiner Heimatstadt im Integrationsausschuss besprochen wurde, ob wir uns als Integrationsausschuss der Stadt Remscheid an einer Resolution der LAGA NRW zugunsten des Kommunalwahlrechts beteiligen wollten. Es war eine sehr intensive Debatte – im Übrigen auch mit den CDU-Kolleginnen und ‑Kollegen, Herr Biesenbach. Obwohl ich schon seit vielen Jahren Integrationspolitik betreibe, hatte ich vorher noch nicht erlebt, dass sich Menschen – Drittstaatsangehörige, wie es formal immer heißt – so intensiv und mit so viel Leidenschaft an einer politischen Diskussion beteiligt haben.
Diese Menschen haben gesagt: Ja, das gehört zu uns. Wir wollen da, wo wir leben – die Kampagne hieß auch so ähnlich: „Hier, wo ich lebe, will ich wählen!“ –, die Politik beeinflussen; wir möchten in unserem Stadtteil alles selber mitgestalten. – Das ist eine ganz wesentliche Sache. Von diesen Menschen sind auch sehr viele in den politischen Prozess eingestiegen. Sie fanden das toll. Wir haben die Debatte dann über die Resolution hinaus weiterführen können.
Das Ganze läuft jetzt schon seit über 20 Jahren. Ich denke, es wäre langsam an der Zeit, diese Debatte auch einmal vernünftig zu führen – und sie nicht unter dem Aspekt zu führen, den Sie hier immer einbringen, Herr Biesenbach, dass die Staatsangehörigkeit die Krone aller Integrationspolitik sei. Vielmehr ist doch Teilhabe das Wesen der Integrationspolitik. Teilhabe heißt auch Wahlrecht – und vor allem Wahlrecht da, wo ich lebe, wo ich arbeite, wo ich mich einbringe.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir diese Debatte hier noch einmal aufgreifen und sie auch im guten Sinne kontrovers führen.
Zu Ihren Vorstellungen, was alles in Stein gemeißelt sei, ist zu sagen: In den vergangenen Jahren und vor allem im letzten Jahr haben wir ja gesehen, dass vieles, was in Stein gemeißelt zu sein schien – wie Ihre Einstellung zur Homo-Ehe und andere Dinge –, sich auch geändert hat.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin Velte, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biesenbach zulassen?
Jutta Velte (GRÜNE): Ich habe doch gehofft, dass er mir eine Zwischenfrage stellt.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Peter Biesenbach (CDU): Frau Kollegin, wenn Sie das möchten, mache ich das gerne. – Wie wollen Sie denn damit umgehen, dass es aus Sicht der Verfassungsrechtler – bis auf wenige Ausnahmen ist das unbestritten – nicht durch eine Änderung des Grundgesetzes geht?
All die Änderungen, die Sie angesprochen haben, waren nicht durch die Ewigkeitsgarantie von Art. 79 GG in Stein gemeißelt. Dass aber die Souveränität nur von Deutschen oder Art. 116 GG Gleichgestellten ausgeführt werden kann, ist unstreitig. Ich will gar nicht weiter zitieren, wann man das lernt. Die Frage: „Wie wollen Sie damit umgehen?“, beantworte ich, dass es nach Ansicht der Verfassungsrechtler so nicht geht.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Abgeordnete, bitte schön.
Jutta Velte (GRÜNE): Ich denke schon, es wäre wesentlich, wenn die Parlamentarierinnen und Parlamentarier zusammenhalten würden, um die ominöse Zwei-Drittel-Mehrheit zu bekommen. Das hängt nur an der CDU. Die FDP hat 2001 einen Antrag gestellt. Die Grünen und die Linke haben Anträge gestellt, und die Piraten stellen Anträge. Eigentlich, Herr Biesenbach, beschäftigt sich das gesamte politische System mit Ausnahme der CDU mit der Fragestellung. Vielleicht kann man 20 Jahre nach der ersten Diskussion mal schauen, ob man nicht andere Wege und Bekenntnisse zur Vielfalt in unserem Land findet.
Zum Antrag der Piraten: Wir freuen uns sehr darauf, über den Antrag diskutieren, weil wir es aus den verschiedensten Gründen, seit die Partei der Grünen besteht, für wesentlich halten, mehr Teilhabe für Ausländerinnen und Ausländer zu ermöglichen. Denn wir finden es wichtig. Die EU, Herr Biesenbach, hat es auch empfohlen, Nicht-EU-Bürger auch kommunal über das Wahlrecht partizipieren zu lassen. Ich halte das Thema für wichtig, und ich hoffe, dass wir eine sehr gute und spannende auch verfassungsrechtliche Diskussion führen. Ich will mal schauen, ob Herr Biesenbach als Einziger diese Meinung vertritt oder ob wir noch ein paar andere finden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

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