Jutta Velte: „Mit diesem Antrag bekennen wir uns auch zur Vielfalt in diesem Land“

Antrag von SPD, Grünen und Piraten zum Staatsangehörigkeitsrecht

Jutta Velte (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist jetzt etwas ungewöhnlich. Wir sind etwas eher dran als sonst. Ich freue mich aber, dass ich jetzt zu Ihnen sprechen darf.
Ich spreche zu einem Antrag, der uns als Grünen und insbesondere mir persönlich sehr am Herzen liegt. Denn es geht um sehr viele junge Menschen in diesem Land, die darunter zu leiden haben, dass sie der Optionspflicht unterliegen, dass sie sich bis zu ihrem 23. Lebensjahr entscheiden müssen, ob sie die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern, ihrer Großeltern, ihrer Familien annehmen, ob sie ihre Wurzeln annehmen oder ob sie sich für die Staatsangehörigkeit des Landes entscheiden, in dem sie aufgewachsen sind, in dem sie sich sozialisiert haben, in dem sie Freunde gefunden haben, dessen Sprache sie sprechen, wo ihr Zuhause ist und in dem sie sich gesellschaftlich auf allen Ebenen, auch auf der politischen, betätigen wollen.
Das ist eine schwierige Entscheidung für die jungen Leute, eine schwierige Entscheidung für alle, die davon betroffen sind. Diese Entscheidung war schon bei ihrer Erfindung im Jahre 1999 höchst umstritten. Es ist ein deutscher Sonderweg, vor allem auch in der Hinsicht, dass EU-Angehörige dieser Wahlpflicht überhaupt nicht unterliegen. Sie können zwei Pässe haben wie auch der frühere Ministerpräsident in Niedersachsen. Das schließt die politische Teilhabe nicht aus. Da ist auch die schwierige Entscheidung nicht erforderlich.
Es gibt also in Deutschland eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: diejenigen, die zwei Pässe haben – das ist über die Hälfte –, und diejenigen, die nur über einen Pass verfügen dürfen.
Wir sagen in diesem Antrag: Wir möchten mit dieser Praxis Schluss machen. Ich glaube, dass wir in Nordrhein-Westfalen auf diesen Antrag sehr stolz sein können. Wir können stolz darauf sein, denn wir sind das Land der Vielfalt. Mit diesem Antrag bekennen wir uns auch zu der Vielfalt in diesem Land.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Simone Brand [PIRATEN])
Wir fordern mit diesem Antrag nicht mehr und nicht weniger als die Anerkennung der Lebensleistung derer, die zum Beispiel in den 50er-Jahren eingewandert sind, bei Opel gearbeitet haben, das Werk mit aufgebaut haben, die jetzt in derselben Situation stehen wie alle anderen auch, die in diesem Land mitgewirkt haben.
In diesem Sinne hoffen wir, dass wir durch die Veränderungen, die wir anregen – das sind sehr weitreichende Veränderungen – zu einer Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts kommen. Zum Beispiel geht es um die Frage, ob Fristen angerechnet werden können. Wenn zum Beispiel Menschen in Deutschland studieren, dann wird die Studienzeit nicht darauf angerechnet, ob sie in Zukunft die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen können oder nicht. Nach dem Studium müssen sie praktisch acht Jahre draufsatteln.
Andersherum: Wenn ein Mensch 17 Jahre in Deutschland als Asylbewerber gelebt hat, endlich sein Verfahren durchbekommen hat, muss er weitere acht Jahre warten, bis er die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen kann. Das halten wir für falsch. Wir glauben, dass die Zeiten vorher, die in diesem Land verbracht worden sind, die zur Sozialisation in diesem Land beigetragen haben, angerechnet werden müssen. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir Erleichterungen für die Menschen schaffen müssen, die hier leben, arbeiten, wohnen und ihr gesellschaftliches Teilhaberecht ausüben wollen.
Ich möchte kurz darauf eingehen – es hat im Vorfeld Verwirrung gegeben –, dass einige bei diesem Antrag nicht mit dabei sind. Ich möchte dabei auch auf die stete Weigerung der CDU eingehen, sich einem solchen Antrag anzuschließen. Nicht nur, dass Sie dadurch die Lebenswirklichkeit in diesem Land ignorieren, nicht nur, dass Sie es sich sparen können, in Sonntagsreden von der Frage der Willkommenskultur, von den Bürgerrechten zu sprechen, von all diesen Dingen, von Facharbeitern zu sprechen – das können Sie sich in Zukunft sparen.
Ich bitte Sie inständig, dafür Sorge zu tragen, dass das Ganze nicht in menschenfeindliche Äußerungen ausartet, wie wir sie letzte Woche von Herrn Laumann gehört haben, der von falsch verstandener Toleranz gesprochen hat, der davon gesprochen hat, Menschen auszuweisen, die eigentlich das Recht haben, hier zu sein – wie auch immer man dazu steht.
Mit einer weiteren Mär bitte ich Sie aufzuräumen. Meine Damen und Herren von der CDU, Sie tun immer so, als sei die Einbürgerung sozusagen der Höhepunkt eines Einwanderungslebens. Nein, die Einwanderung ist ein Teil gelungener Integration. Aber es ist nur ein Teil davon. Die Integration geht weiter, die Teilhabe geht weiter. Es geht weiter in die Gesellschaft. Es geht um Teilhabe, und es geht um eine Katalysatorfunktion, …
Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin, Ihre Redezeit!
Jutta Velte (GRÜNE): … die die Einbürgerung für die Menschen hat, die in diesem Land ihre Rechte und Pflichten als deutsche Staatsbürger und als ausländische Staatsbürger wahrnehmen wollen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)