Jutta Velte: „Integration fordert die Zivilgesellschaft heraus; sie fordert die Politik heraus“

Antrag von SPD und GRÜNEN zum Integrationsplan für NRW

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Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kuper, es ist schön, dass Sie doch noch irgendwie die Kurve bekommen haben. Als Sie Ihre Rede angefangen haben, haben Sie ja etwas typisch Deutsches gemacht, nämlich mit Defiziten begonnen. Da haben wir schon gedacht, dass Sie jetzt ein Stück weit am Thema vorbei reden würden. Aber es ist doch noch einmal gut gegangen, und Sie haben auch das Thema des heutigen Morgens – Integration, in die Zukunft denken, in die Zukunft entwickeln – in den Mittelpunkt Ihrer Rede gestellt haben.
Vielleicht noch eine Korrektur: Gesetze zum Thema „Teilhabe und Integration“ haben wir schon länger. Vielleicht ist das in Ihrer Zeit als Bürgermeister nicht so richtig bei Ihnen angekommen. Aber wir haben ein Teilhabe- und Integrationsgesetz. Das finden wir auch gut so. Es ist in diesem Haus auch einstimmig verabschiedet worden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Deswegen können wir da relativ gut miteinander ins Gespräch kommen, denke ich.
„Integration ist anstrengend“, sagt Prof. Dr. El-Mafaalani von der Ruhr-Universität Bochum. Und er weiß, wovon er spricht; denn er ist einer der führenden Integrationsforscher in Nordrhein-Westfalen.
Weiter sagt er: Integration fordert heraus. Sie fordert die Zivilgesellschaft heraus; sie fordert die Politik heraus; sie fordert uns alle ein Stück weit heraus. Natürlich fordert sie auch eine Menge von den Menschen, die sich in unsere Gesellschaft integrieren wollen und integriert werden wollen.
Aber – da habe ich eigens den Teilhabe- und Integrationsbericht des Landes Nordrhein-Westfalen mitgebracht – Integration lohnt sich. Das zeigt dieser Bericht wirklich sehr deutlich. In den letzten Jahrzehnten haben wir sehr viele Menschen in Nordrhein-Westfalen aufnehmen können. Das war gut so. Was wäre NRW denn ohne die vielen ehemaligen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter, ohne die vielen Aussiedlerinnen und Aussiedler? Das wäre nicht vorstellbar. Zumindest wäre nicht vorstellbar, was aus uns geworden wäre, wenn diese Menschen nicht ihre Kraft, ihr Engagement, ihr Wissen, ihre Kenntnisse, ihre Aufstiegsbereitschaft oder ihre Aufstiegsdynamik – das sage ich einmal mit Blick auf Herrn Lindner – in unsere Gesellschaft eingebracht hätten.
Wir würden jetzt nicht nur vom Fachkräftemangel sprechen; wir würden von einer Fachkräftekrise sprechen. Die Sozialversicherungssysteme sähen katastrophal aus – die Steuereinnahmen im Übrigen auch. Die Gesellschaft wäre insgesamt etwas älter. Eine ältere Gesellschaft – damit möchte ich keinem zu nahe treten – hat auch eine gewisse geringere Dynamik. Solche negativen Auswirkungen kann man in manchen Ländern ja betrachten, zum Beispiel in Japan, das sich beharrlich weigert, Einwanderung zuzulassen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aus den Anträgen von CDU und FDP wird klar, dass sie diese Erkenntnis durchaus teilen und diese Erfolge NRWs ebenfalls sehen.
Aus der langen Geschichte der Einwanderung nach NRW wissen wir aber auch, welche Fehler wir gemacht haben. Zu lange haben wir uns als Gesellschaft geweigert, uns als Einwanderungsland zu verstehen. Zu lange haben wir es in der Vergangenheit versäumt, die Strukturen unserer Verwaltung, unserer Wirtschaft und unseres Bildungssystems fit zu machen für diese Entwicklung, für diese Einwanderungsgesellschaft. Wir haben ja noch nicht einmal kommunales Wahlrecht für diejenigen, die lange hier leben.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Wir schließen sie konsequent von der politischen Teilhabe aus. Zudem steht ein Einwanderungsgesetz bis heute noch aus.
Solche wichtigen Schritte wie auch doppelte Staatsbürgerschaft scheitern immer wieder an der CDU.
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
– Herr Laschet, bleiben Sie ruhig. Jetzt habe ich auch einmal ein Lob für Sie. Es ehrt die NRW-CDU, dass sie zumindest in Teilen – wir ignorieren einmal den Rest – konstruktiver als ihre Bundesschwester mit diesen Themen umgeht. Es ist Herr Laschet, der immer wieder dafür sorgt – und natürlich auch Frau Güler.
Nie da gewesen! Diesen Ausspruch kann man jetzt immer wieder hören und lesen. So viele Menschen kommen! Flüchtlingskrise! Da wird mit großen Zahlen operiert – Zahlen, die, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, alarmieren, die vielleicht Ängste schüren. Aber was bedeuten sie? Sie bedeuten, dass sich eine Stadt mit 100.000 Einwohnern um 1.500 Neubürgerinnen oder Neubürger kümmern muss. Das ist keine Krise. Das fordert die Verwaltungen heraus, ja. Das sorgt aber auch dafür, dass die Verwaltungen – da schaue ich Herrn Kuper an, der sich gerade angeregt unterhält – sich vielleicht auch einmal von alten Zöpfen und alten Wegen trennen müssen.
(Zuruf von André Kuper [CDU])
Das bedeutet, dass die Verwaltungen an der einen oder anderen Stelle neue Strukturen erfinden müssen. Das – jetzt möchte ich doch einmal ein großes Lob für Verwaltungen auf der Landesebene und auf der kommunalen Ebene aussprechen – können sie auch.
(Beifall von den GRÜNEN und Norbert Römer [SPD])
Hier ist schon viel erwähnt worden. Wir brauchen natürlich eine Neuorganisation von Schnittstellen. Wir haben uns jahrelang nicht darum gekümmert, wie sich Integrationskurse mit Arbeitsmarktangeboten verzahnen und wie sich Bildungs- und Weiterbildungsangebote mit Aufstiegschancen verzahnen. Darum haben wir uns nicht gekümmert. Stimmt! Das machen wir jetzt besser. Dafür haben wir diesen Antrag auch eingebracht.
Wir können stolz sein, weil wir es ja auch gemeinsam beschlossen haben. Wir können alle insgesamt stolz darauf sein, dass wir die Kommunalen Integrationszentren haben, immerhin in 50 Kreisen, Kommunen und kreisfreien Städten unseres Landes. Denn die können jetzt unsere Kommunen bei den vielen Aufgaben, die auf uns zukommen, bei der Organisation des Ehrenamtes, bei der Organisation des Seiteneinstiegs, bei der Organisation von Arbeitsmarkt- und Bildungszugängen, intensiv unterstützen, und das ist gut so, weil sie das Knowhow haben und in die Kommunen ein sehr, sehr großes und wichtiges Wissen einbringen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber all diese Veränderungen – und Gesellschaft verändert sich nun einmal permanent – brauchen auch Mittel. Sie brauchen Unterstützung und Menschen, die diese Veränderungen vorantreiben. Das Land bringt einiges an diesen Mitteln auf den Weg. Der Minister hat das ja gesagt, er hat erklärt, wie viel dieses Land dazu beiträgt. Aber – da schaue ich auch Herrn Stamp an – wir brauchen auch den Bund.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Schön, dass Sie mit der FDP im Bund rechnen!)
Das ist kein Schwarze-Peter-Spiel; denn die Frage der Integration von Geflüchteten, von Menschen, die zu uns kommen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die der Bund genauso verantwortlich ist wie das Land Nordrhein-Westfalen, jede einzelne Kommune und jeder einzelne Bürger in diesem Land.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
„Nie dagewesen“ heißt es aber auch, wenn – und das möchte ich gerne anfügen – es um die Willkommenskultur in unserer Gesellschaft geht. Nie dagewesen sind die freundlichen Gesichter derjenigen, die sich Tag für Tag um die Neuhinzugekommenen kümmern, ihnen Obdach gewähren, bei Ämtergängen helfen, ehrenamtlich Deutschkurse anbieten, sich um Kinder und die Familien kümmern und vieles mehr einbringen, damit Integration gelingen kann.
Nie dagewesen sind aber auch die Allianzen zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, zivilgesellschaftlichen Organisationen, die alle gemeinsam bereit sind, das ihrige zu einer gelingenden Integration beizutragen.
Es gibt – und das können wir, meine Damen und Herren, täglich lesen – aber auch die anderen Stimmen, die der Menschen, die unsicher sind, ob und wie die derzeitige Lage zu bewältigen ist, die, die sich vor Veränderungen fürchten, auch und weil gerade die Bundespolitik und insbesondere Horst Seehofer aus Bayern diese Ängste schüren.
Diese Töne vermitteln nicht das, was das Gebot der Stunde ist: Zuversicht und Vertrauen in die öffentlichen Systeme. Sie vermitteln zuallererst das Gefühl, überfordert zu sein. Vielleicht sind sie es auch in Bayern. Aber eine Lage nicht zu überblicken, kann und darf nicht dazu führen, mit immer neuen und immer radikaleren Forderungen die Öffentlichkeit zu verwirren. Hier gilt es – das ist ausdrücklich an den Bund gerichtet –, seine Arbeit zu tun und die Menschen auf diesem Weg mitzunehmen. Konkrete Politik ist hier gefordert und nicht ein Wettstreit um die absurdeste Forderung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Damit schüren wir nur Ressentiments, und zwar gegen alle, die schon lange hier leben, hier arbeiten, hier lernen. Wenn Sie sich mit vielen Migrantinnen und Migranten der ersten Stunde, Alteingewanderten, unterhalten, dann sehen Sie, was diese Debatte auch mit Blick auf diese Menschen anrichtet. Und es gibt die – die andere Gruppe –, die sich mit menschenfeindlichen Sprüchen, mit demokratiefeindlichen Aussagen Luft machen, die meinen, Menschenfeindlichkeit sei in diesem Land salonfähig. Dabei richtet sich ihr Wirken gegen Arbeitslose, Obdachlose, Homosexuelle, Sinti und Roma, Behinderte, Musliminnen, Geflüchtete. Wenn wir über Demokratieverständnis und die Förderung desselben reden, dann gilt es, auch diese Gruppen in den Blick zu nehmen. Da haben Sie ja völlig Recht, meine Damen und Herren von den Piraten.
Aber die Verdoppelung der Mittel der Landeszentrale für politische Bildung reicht da nicht. Wir müssen die Initiativen gegen Rechts verstärken, und das machen wir auch. Wir fördern die Beratungsstelle für die Opfer rechter und rassistischer Gewalt, wir fördern die mobilen Beratungsstellen gegen Rechts, und wir geben für die Aussteigerberatung NinA viel Geld aus. Man kann darüber streiten, ob das reicht. Aber stolz können wir sein auf die Arbeit der genannten Stellen. Da wir die Landeszentrale bereits mit mehr Mitteln versehen, werden wir Ihren Antrag an der Stelle auch ablehnen.
Meine Damen und Herren, Politik muss Zuversicht vermitteln. Das sagte die Flüchtlingsbeauftragte der Stadt Düsseldorf, Miriam Koch, auf dem Integrationspolitischen Kongress der grünen Landtagsfraktion. Dort wurde auch deutlich, wie viele sich diesen Satz zu Herzen nehmen, auch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Herr Kuper.
Mit dem vorliegenden Entwurf machen wir einen Vorschlag. Zumindest freuen wir uns über die Anträge der Opposition, auch wenn wir nicht alle Forderungen teilen. Lassen Sie uns gemeinsam ringen, lassen Sie uns streiten um den besten Vorschlag, um den besten Weg. Lassen Sie uns gemeinsam eine Integrationsoffensive starten, sozusagen eine Integrationsoffensive 4.0 wagen. Lassen Sie uns die Herausforderungen gemeinsam angehen – für uns Land. Wir alle sind NRW! – Ich danke Ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)