Jutta Velte: „Es geht nicht um Fachkräfte, nicht um Armut, sondern um Menschen.“

Antrag der Piraten zur Willkommenskultur in NRW

Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Streben nach Glück gehört zu den Grundfesten der amerikanischen Verfassung, und das aus gutem Grund. Die frühen weißen Amerikaner wollten dem Elend der Verfolgung, der Diskriminierung, der Repressionen und der Chancenlosigkeit in ihren Herkunftsländern entkommen. Sie nahmen viele Strapazen auf sich in der Hoffnung, in Freiheit zu leben und nach ihrem eigenen Glück streben zu können. Für viele hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt, doch das ist eine andere Geschichte.
Heute reden wir wieder einmal über die europäische Binnenwanderung. Die europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eine der großen Errungenschaften der Europäischen Union. Sie eröffnet allen Europäerinnen und Europäern die Chance, nach ihrem Glück zu streben, wo auch immer sie die Möglichkeit sehen, Arbeit und Auskommen zu finden, ein besseres und ein gutes Leben zu führen. Sie ist ein wichtiger Baustein für die europäische Integration, das Zusammenwachsen der Menschen. Individuell geht es um Freiheit, um Chancen, um Glück.
Aus der Sicht von Deutschland geht es auch um knallharte ökonomische Interessen; das haben die Vorredner ja auch erwähnt. Angesichts der demografischen Entwicklung ist schon lange klar: Wir brauchen Einwanderung.
Allein deshalb war bei den Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaftsorganisationen angesichts der aktuellen Zahlen – ein Wanderungsüberschuss von fast 70.000 Menschen in NRW – deutliche Erleichterung zu spüren. Und so irritiert waren die Vertreterinnen der Wirtschaft von der aktuellen Debatte aus dem finsteren Bayern – da greife ich gerne das auf, was Frau Brand gesagt hat –, dass Sie sich sogar zu einer gemeinsamen Erklärung der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften genötigt sahen, um dem dringenden Wunsch nach einer positiven Beschreibung der EU-Binnenwanderung im Sinne einer Willkommenskultur Ausdruck zu verleihen. Ein seltenes Ereignis!
Dass unter denen, die nach Deutschland kommen, auch Menschen sind, die wie die frühen weißen Amerikaner aus Verhältnissen stammen, die geprägt sind von Diskriminierung, Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe, Verfolgung, Gewalt und Armut, ist ein Teil der europäischen Gemeinschaft. Diese Menschen haben dasselbe Recht, ihr Glück zu suchen wie andere auch.
Gleichwohl entstehen spezifische Problemlagen in manchen Städten, nämlich dort, wo sich viele von ihnen ansiedeln, nämlich dort, wo auch die kommunalen Finanzen nicht mehr ausreichen. Und da, liebe Simone Brand, finde ich, dass man es allein bei einer Beschreibung einer Willkommenskultur nicht belassen kann. An der Stelle muss man handeln.
(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP] – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Nun aber Willkommenskultur einzufordern vor dem Hintergrund, dass wir im Integrationsausschuss eine Anhörung zu dem Thema planen, um die Willkommenskultur besser zu machen, ist schon seltsam.
(Beifall von Serap Güler [CDU])
Und uns nach den vielen Diskussionen, die wir auch im Integrationsausschuss und auch sehr einvernehmlich im Ringen um den richtigen Weg geführt haben, vorzuwerfen, wir hätten uns damit nicht beschäftigt, das finde ich schon peinlich.
Und nach unserem Positionspapier zu sagen „All das kommt plötzlich“, gefällt mir überhaupt nicht.
Wir in Nordrhein-Westfalen gehen manchmal im Konsens, manchmal auch in der Auseinandersetzung einen anderen Weg. Wir versuchen, Lösungen zu finden, um da, wo die Not groß ist, zu helfen und zu unterstützen. Denn es geht nicht um Fachkräfte, nicht um Armut, sondern um Menschen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn es um Menschen geht, müssen wir uns damit beschäftigen, dass es ihnen gut geht und sie hier ihr Glück finden können. Da ist jeder investierte Cent wichtig.
Von daher kann man nur an den Bund und die EU nur appellieren, finanzielle Unterstützung zu leisten. Ich sehe doch, dass die Kommunen das gut im Griff haben. Die Kommunen sind mit ihren Hilfen vor Ort; die Menschen, die vor Ort arbeiten, bringen Fantastisches zuwege. In Duisburg gab es eine großartige Musik- und Theateraufführung. All das ist wichtig für Integration und Willkommenskultur.
Dafür braucht man aber auch Mittel, die wir zur Verfügung stellen. Wir erwarten selbstverständlich vom Bund, das Seinige dazu beizutragen, dass endlich ein Aktionsplan vorgelegt wird. Wir erwarten mehr Geld vom Bund – die haben nur 63 % der Mittel, die zur Verfügung stehen, abgerufen –, damit wir unsere Kommunen und die Menschen vor Ort dabei unterstützen können, ihre Aufgaben zu erfüllen und die Integration voranzutreiben.
In diesem Sinne bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen. Die Willkommenskultur werden wir ohnehin im Ausschuss besprechen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN)