Julia Eisentraut: „Kernfusion ist keine Antwort auf die Klimakrise“

Zum Antrag der FDP-Fraktion zur Fusionstechnik

Portrait Julia Eisentraut Februar 2023

Julia Eisentraut (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen! Der vorliegende Antrag der FDP zur Kernfusion ist nicht visionär, nicht innovativ und nicht zukunftsweisend. Der Antrag instrumentalisiert Erfolge in der Grundlagenforschung für billige Schlagzeilen. Sie ignorieren, dass sich Technologie nicht in die Wirtschaft transferieren lässt, wenn Wissenschaft die Grundlagenforschung nicht einmal beendet hat.

Der Antrag trägt dazu bei, dass Politik auf Basis gefühlter Wahrheiten gemacht wird statt auf Basis wissenschaftlicher Evidenz. Und er trägt zu einer Diskursverschiebung bei, bei der ein Weiter-so wie eine plausible Option erscheint, obwohl uns Stillstand in den Bereichen „Klimakrise“, „Infrastruktursanierung“, „demografischer Wandel“ und „Fachkräftesicherung“ zur Katastrophe führt.

(Beifall von den GRÜNEN und Raphael Tigges [CDU])

Die Vorstellung des Antrags setzt dem Ganzen aber die Krone auf. Sie stellen Ihr Anliegen in einem Atemzug mit Industriestrompreis, Klimakrise und Kohleausstieg 2030 vor, als würde es dazwischen irgendeine inhaltliche und zeitliche Korrelation geben. Fusionskraft kann, Stand heute, keinen relevanten Teil der Energieerzeugung liefern. Doch im Antragstext ist die Rede davon, was Fusionskraft ist, als wäre es eine real existierende und schnell verfügbare Option. Dem widerspreche ich deutlich. Weder heute noch in naher Zukunft kann Fusionskraft einen relevanten Anteil an der Energieerzeugung liefern.

(Beifall von den GRÜNEN und Raphael Tigges [CDU])

Auch die Absurdität des Antrags erkläre ich Ihnen gerne ausführlich:

Erstens. Die FDP ignoriert den Rat der Wissenschaft. Im Strategiepapier der Bundesforschungsministerin ist zu lesen, dass nicht nur die gerade in Deutschland und NRW gut verankerte und gut erforschte Magnetfusion gefördert werden soll. Sie fokussieren sich jetzt auch auf die Laserfusion. Begründung dafür ist ein Experiment aus den USA, das keine Energie erzeugt hat – nicht einmal annähernd. Wir reden von 90 % Energieverlust, wenn wir uns die gesamte Anlage anschauen. Das haben Ihnen Expert*innen aus der Wissenschaft auch hier in der Landtagsanhörung zur Kernfusion gesagt. Dafür braucht es dann auch keine satirische Überspitzung mehr.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zweitens. Sie lassen zum wiederholten Male unter den Tisch fallen, dass das Experiment aus einer Militärforschungseinrichtung stammt. An der NIF, der National Ignition Facility, soll unter anderem erforscht werden, wie die Bedingungen bei Explosionen von Atombomben sind. Dafür dienen auch die Laser. Führende deutsche Expert*innen sagen deshalb: Dort eingesetzte Technologien sind noch auf Jahre hinaus nicht für die zivile Energieerzeugung geeignet.

Drittens. Wie kann es sein, dass die FDP nicht einmal die Ebene kennt, auf der dieser Antrag zu stellen ist? Die Zuständigkeit für die passende Regelung liegt bei der Bundesforschungsministerin. Für die Forschung sind wir offen.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [fraktionslos])

Sollten diese Regelungen vorliegen, werden wir prüfen, was wir in NRW tun können. Sie haben aber anscheinend auch Ihr Selbstvertrauen eingebüßt, in der Ampel mit sinnlosen Vorstößen sinnvolle Politik verhindern zu können. Dieses eingebüßte Selbstvertrauen ist ein positives Zeichen für die Ampel.

Auch wenn es um das Forschungszentrum Jülich geht – es wird zu 90 % vom Bund gefördert –, sollten Sie vielleicht die Ebene kennen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Daher rate ich Ihnen: Machen Sie Ihre Hausaufgaben, und kehren Sie zu einer faktenbasierten Politik zurück. Ich gebe Ihnen als Anreiz gerne drei Beispiele unserer Zukunftskoalition, bei der sinnvolle wissenschaftliche Empfehlungen und wirtschaftlich-politische Entscheidungen Hand in Hand gehen. Das sind erstens der Aufbau des Quantencomputings am Standort Jülich, zweitens der Ausbau der erneuerbaren Energien auch im Rheinischen Revier und drittens der Hochlauf der grünen Wasserstoffproduktion. Auch das würden Sie wissen, würden Sie sich inhaltlich mit Ihrer wie unserer Politik auseinandersetzen, statt Fantasiegebilden hinterherzulaufen.

(Beifall von den GRÜNEN und Raphael Tigges [CDU])

Liebe Abgeordnete der FDP, Ihr Antrag macht mir aber auch mit Blick auf den Zustand unserer Demokratie Sorgen. Wissenschaftler*innen fragen mich, wie sie Politik heute noch beraten können. Bei solchen Anträgen weiß auch ich nicht, was ich noch sagen soll.

(Beifall von den GRÜNEN)

Gute Politik muss auf wissenschaftliche Evidenz setzen und Wissenschaftler*innen gegen Vereinfachung, Populismus, Stimmungsmache und Anfeindungen verteidigen. Wissenschaft und Forschung leisten entscheidende Beiträge zur Bewältigung der aktuellen Krisen.

Was macht die FDP stattdessen? Gleich zwei populistische Versprechen, nämlich gleichzeitig die Klimakrise und die Herausforderungen im Rheinischen Revier mit Kernfusion zu lösen. Damit präsentieren Sie eine vermeintlich einfache Lösung für alle Probleme. Dabei ist Kernfusion zurzeit keine existierende Option. Das ist ein Paradebeispiel für Populismus.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden nicht mit 1 Milliarde Euro dringend woanders benötigter Steuermittel auf eine Technologie setzen, bei der Expert*innen heute nicht sagen können, ob und wann sie kommt.

Im Verbundprojekt ITER werden zwischen 15 und 20 Milliarden Euro benötigt, um einen Demonstrator in der aussichtsreicheren Magnetfusion zu bauen. Es ist vermessen zu denken, dass die Wirtschaft eines einzelnen Bundeslandes das allein leisten kann, was wir in einem europäischen Verbundforschungsprojekt fördern.

Natürlich träumen wir alle davon, dass alle unsere Probleme – Klimakrise, Energiekrise, Infrastruktursanierung, Fachkräftemangel und demografischer Wandel – einfach so mit einem Fingerschnippen verschwinden. Auf dieser Basis machen wir als Zukunftskoalition aber keine Politik, und vor allem verwetten wir nicht unsere Zukunft und die Zukunft kommender Generationen darauf. Deshalb deutlich für Sie zum Mitschreiben: Kernfusion ist keine Antwort auf die Klimakrise, auch nicht auf die Energiekrise und den Kohleausstieg 2030.

Vor ein paar Wochen bei der Anhörung zu Kernfusion im Landtag waren sich auch alle Expert*innen einig: Kernfusion ist keine Antwort auf die Klimakrise. Wissenschaftler*innen haben jahrzehntelang technologieoffen an den erneuerbaren Energien gearbeitet und uns damit das Handwerkszeug zur Bewältigung der Klimakrise an die Hand gegeben. Deshalb ist der Ausbau der Erneuerbaren in NRW und die Transformation NRWs zur ersten klimaneutralen Industrieregion eine visionäre wie faktenbasierte Industriepolitik, die wir als Zukunftskoalition verfolgen.

Den Herausforderungen im Rheinischen Revier begegnen wir anders als Sie mit der notwendigen Ernsthaftigkeit. Wer Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik kann, stellt so einen Antrag nicht. Deutlicher als mit diesem Antrag können Sie nicht zeigen, dass Sie sich aus einer seriösen Wirtschafts-, Wissenschafts- und Innovationspolitik vollkommen verabschiedet haben.

Der Überweisung in den Ausschuss stimmen wir zu, weil es Gepflogenheit ist. Aber machen Sie bis dahin bitte Ihre Hausaufgaben, schauen Sie sich die Stellungnahmen der letzten Anhörung noch einmal an, und kehren Sie zu einer faktenbasierten Politik zurück!

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)