Julia Eisentraut: „Diesen Sexismus in den IT-Berufen dürfen wir nicht hinnehmen“

Zum Antrag der FDP-Fraktion zu Frauen in IT-Berufen

Portrait Julia Eisentraut Februar 2023

Julia Eisentraut (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen! Du bist hier falsch; hier wird Informatik gelesen. – Das war der erste Satz, den ich 2009 zu hören bekommen habe, als ich meinen Hörsaal das erste Mal betreten habe. Ich bin trotzdem geblieben.

Jahre später saß ich mit Tutoren zusammen, die sagten: Die Abgabe kann nicht gut sein. Die ist so ordentlich geschrieben, das muss eine Frau gemacht haben. – Ich saß mit Kollegen beim Essen, die sagten: Wann immer eine Frau mich nervt, stelle ich mir vor, sie ist vergewaltigt worden oder ihr Mann sei gerade gestorben. – Da sage ich ganz klar: Diesen Sexismus in den IT-Berufen dürfen wir nicht hinnehmen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Wir werden nur dann Frauen und Mädchen für IT-Berufe begeistern und gewinnen können, wenn wir sie dort auch mit Respekt behandeln. Auch das ist eine der großen Leerstellen, die dieser Antrag meiner Meinung nach gerade lässt, denn das Problem ist: Er konzentriert sich auf die Begeisterung von Mädchen für dieses Feld.

Und ja, Begeisterung für das Berufsfeld ist wichtig. Ich habe selbst als Schülerin von vielen dieser Maßnahmen profitiert. Ich war bei „Jugend forscht“, bei Girls’ Days, in Schülerlaboren und habe immer wieder erfahren, wie toll es ist, Informatik zu machen. Diese Begeisterung hat mich letztendlich auch zum Studium gebracht.

Aber wir wissen: Bis zu einem gewissen Alter gibt es keinen Geschlechterunterschied in der Begeisterung für MINT-Berufe oder für die IT. Setzen dann in der Pubertät Geschlechterklischees ein, dann sieht man bei Mädchen ein deutlich absinkendes Interesse, während es bei Jungs eher gleich bleibt. Und diese sinkende Begeisterung kann man nicht einfach mit mehr Bewerbung des Faches lösen, wie es der Antrag vorschlägt.

Der Antrag hat aber noch eine Schwachstelle. Schon 2012 hat die Gemeinsame Wissenschaftsministerkonferenz evaluiert, was Maßnahmen für mehr Frauen in den MINT-Berufen bringen. Sie hat festgestellt: 98 % der ergriffenen Maßnahmen haben mit Begeisterung, Empowerment, „Nächte der Wissenschaft“ usw. zu tun. Nur 2 % gehen eine Strukturveränderung in den IT-Berufen, in der Informatik, im Studium, in der Ausbildung tatsächlich an. Man hat festgestellt, dass diese Maßnahmen nicht dafür geeignet gewesen sind, den Anteil an Frauen in den Informatikberufen signifikant zu steigern.

Mehr als ein Jahrzehnt später ist klar, dass wir immer noch einen viel zu niedrigen Anteil von Frauen in MINT-Berufen haben. Da kann ich Ihnen ganz klar sagen: Immer mehr von den gleichen Maßnahmen, wie Sie sie im Antrag vorstellen, werden nicht helfen, Frauen in die Informatik zu bringen.

(Beifall von den GRÜNEN – Franziska Müller-Rech [FDP]: Was schlagen Sie denn vor?)

Die Gemeinsame Wissenschaftsministerkonferenz hat schon 2012 etwas vorgeschlagen, was sich in vier Worten zusammenfassen lässt: Strukturen statt Frauen ändern. – Dazu haben wir als Koalition 2022 erste Vorschläge vorgelegt, die die Landesregierung gerade nach und nach abarbeitet.

Natürlich werden wir uns im Rahmen der Ausschussberatungen auch intensiv mit den vielen Beschlusspunkten für die Schule, die Sie vorgeschlagen haben, beschäftigen. Aber wir wünschen uns, dass wir es schaffen, einen ganzheitlichen Blick auf das Thema zu werfen. Denn Sie haben recht: Wir brauchen mehr Frauen in den IT-Berufen, und dafür müssen wir dort die Strukturen anpassen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)