Jule Wenzel: „Mit dem Stärkungspakt ist klar: In keiner Beratungsstelle geht das Licht aus“

Zum Antrag der SPD-Fraktion auf eine Aktuelle Stunde zum Stärkungspakt Armut

Portrait Jule Wenzel (c) M Laghanke

Jule Wenzel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wir debattieren heute über den „Stärkungspakt NRW – gemeinsam gegen Armut“. Er ist Teil der ersten Tranche von Maßnahmen, die mit dem Krisenbewältigungsgesetz zur Abminderung der Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine Ende letzten Jahres aufgelegt wurden.

Da in Ihrem Antrag zur Aktuellen Stunde ganz grundsätzlich die Frage gestellt wurde, wie die Mittel des Stärkungspakts ausgegeben werden können, möchte ich die Rahmenbedingungen hier auch öffentlich noch einmal in Kürze skizzieren.

(Lena Teschlade [SPD]: Ja klar, die Träger sind zu doof!)

Mit dem Stärkungspakt hat das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales rund 150 Millionen Euro in die Hand genommen, um diejenigen zu unterstützen, die am meisten unter den krisenbedingten Steigerungen bei Energie- und Lebensunterhaltungskosten leiden, also eben die von Armut betroffenen Menschen in unserem Land. Durch Härtefallregelungen oder kommunale Verfügungsfonds können Bürger*innen unterstützt werden, sei es zur Vermeidung von Energiesperren, Überschuldung oder Wohnungsverlusten. Er fördert außerdem unsere soziale Infrastruktur, von den Beratungsstellen über die Obdachlosenhilfen bis hin zu den Tafeln, eine Lücke, die der Bundesgesetzgeber bei seinen Entlastungspaketen offengelassen hatte.

Mit dem Stärkungspakt ist klar: In keiner Beratungsstelle geht das Licht aus.

(Lena Teschlade [SPD]: Ah!)

Steigerungsbedingte Mehrkosten können geltend gemacht werden. Das MAGS hat außerdem in seinen Richtlinien auf Nachfrage noch einmal ganz deutlich gemacht: Auch der Personalbedarf in den Programmen, etwa durch steigende Nachfrage nach Beratung und anderen Angeboten, kann übernommen werden.

Jetzt kommt’s, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Endlich!)

An einem Punkt bei Ihrem Antrag bekomme ich Kopfschmerzen – große Kopfschmerzen:

(Zuruf von Kirsten Stich [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD)

Sie sprechen eine der größten Herausforderungen des Stärkungspaktes an, nämlich, dass die Mittel auf 2023 begrenzt sind. Das sagt auch der Artikel aus der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, den Sie zitieren, und das sagt mir auch Dirk Tänzler im persönlichen Gespräch. Das ist die größte Herausforderung bei diesem Paket. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Ja, so ist es. Das ist schade.

(Sarah Philipp [SPD]: Das ist schade? – Sven Wolf: Schade? – Weitere Zurufe von der SPD)

Aber denken wir doch einmal an das letzte Jahr zurück. Dann sehen wir ganz deutlich, warum Sie in dieser Debatte nicht ehrlich sind. Seinerzeit haben wir hier im Landtag breit diskutiert, wie wir die Menschen in unserem Land entlasten können. Uns als regierungstragenden Fraktionen war sofort klar: Das ist eine außergewöhnliche Situation, in der wir sofort agieren und zusätzliches Geld bereitstellen müssen. Denn diese Krise muss doch abgemildert werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Moment, sprechen wir von der gleichen Regierung, die nichts hingekriegt hat? – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Zunächst wollte die Landesregierung einen ähnlichen Weg wie die Bundesregierung gehen, liebe SPD und FDP, und die übrigen Restmittel des Coronarettungsschirmes in den allgemeinen Haushalt transferieren. Das wäre eine Möglichkeit gewesen, diese Mittel auch über das Haushaltsjahr 2023 hinaus einzusetzen.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Aber da war hier im Parlament ja was los, mein Gott.

(Zurufe von Jochen Ott [SPD] und Kirsten Stich [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD – Unruhe – Glocke)

Sie haben mit der Verfassungsklage gedroht, vom Tatbestand des Verfassungsbruchs gesprochen. Weg war die Einigkeit, wie es sie noch zu Zeiten des Coronarettungsschirms gab.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von der SPD: Ach, so ist das jetzt! – Zurufe von André Stinka [SPD] und Christian Dahm [SPD]: Das haben Sie doch verursacht! – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Lassen Sie mich Ihren haushaltspolitischen Sprecher Stefan Zimkeit aus der Plenarsitzung am 23.11.2022 zitieren:

„Lassen Sie uns gemeinsam die notwendigen Bedarfe für eine solche Unterstützung feststellen und den Landtag das dann im Rahmen der Haushaltsberatungen 2023 durch Erklären der Notlage, die gegeben ist, einfach als Sondervermögen oder als Schuldenaufnahme im Haushalt umsetzen. Das ist der rechtlich vorgesehene […], das ist der mögliche Weg.“

Zitat Ende.

(Zuruf von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

Gut. Das hat die Landesregierung mit dem Krisenbewältigungsgesetz dann auch getan.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Das hat die Spielräume enger gemacht. Denn die Erklärung der Notlage konnte unter den volatilen Gegebenheiten nur auf ein Jahr begrenzt werden.

(Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

So kommen wir dann zur Fristsetzung auf das Haushaltsjahr 2023, über die Träger der sozialen Infrastruktur zu Recht klagen.

Aber dann haben Sie ja noch etwas gemacht: Schlussendlich folgte öffentlich die 180-Grad-Wende, indem Sie eine weitere Verfassungsklage eingereicht haben, die das Sondervermögen und die Erklärung der Notlage infrage stellt.

(Lena Teschlade [SPD]: Jesus Christus!)

Sie sind auf einmal die größten Fans der Schuldenbremse, liebe SPD.

(Beifall von den GRÜNEN – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Uns geht es um die armen Menschen! – Zuruf von Kirsten Stich [SPD] – Glocke)

Nun sprechen Sie davon, dass die Landesregierung kein Geld in die Hand nehmen will, um in dieser Krisenlage Menschen in Armut zu unterstützen,

(Zuruf von der SPD: Nur dafür!)

obwohl Sie gleichzeitig das Sondervermögen, dass wir extra dafür eingerichtet haben, an jeder Stelle bekämpft haben. Das ist ein Schlingerkurs sondergleichen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Unfassbar!

(Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Juristische Kenntnis wäre von Vorteil! – Zurufe von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD] und Lena Teschlade [SPD])

Die SPD spricht davon, dass Verwendungsnachweise und die Verplanung der Mittel die Träger überfordern würden, während gleichzeitig drei Klagen vor dem Verfassungsgericht anhängig sind. Das ist richtig ehrlich in dieser Debatte – meine Güte!

(Beifall von den GRÜNEN – Christian Dahm [SPD]: Haushalt muss man können! – Lachen von Christian Dahm [SPD])

Die Menschen in unserem Land, die von Armut betroffen oder bedroht sind, in dieser Krisenlage zu unterstützen, geht nur mit konsequenter Handlung und konsequenter Haltung – nicht nur in der Aktuellen Stunde, sondern auch dann, wenn der Haushalt verhandelt wird.

(Beifall von den GRÜNEN – Sarah Philipp [SPD]: Dann macht das doch! – Zuruf von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

Es ist klar, dass es bei einem krisenbedingt kurzfristig aufgelegten Förderprogramm sehr viele Nachfragen gibt, für welche expliziten Zwecke das Geld verwendet werden darf. Ich möchte dem MAGS an dieser Stelle ausdrücklich dafür danken, dass es auf diese Nachfragen sowohl in mehreren Runden beim Deutschen Städtetag als auch in Einzelgesprächsangeboten eingegangen ist.

Bis September können die Mittel niedrigschwellig verplant werden. Ich plädiere dafür, dass wir trotz dieser unsäglichen Auseinandersetzung an dieser Stelle weiterhin dafür werben, dass die Kommunen das Geld abrufen, dass das MAGS dafür als Ansprechpartner klar benannt wird und dass wir die Menschen, die von dieser Krise in diesem Land betroffen sind, gemeinsam unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Jule Wenzel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ich musste mich noch einmal zu Wort melden, weil mir die Ausführungen von Frau Teschlade, wirklich auf den Magen geschlagen haben. Sie verstecken sich hier hinter Untätigkeit.

(Zurufe von Kirsten Stich [SPD] und Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

Sie sagen, die Richtlinien seien zu kompliziert; die Träger hätten gar keinen Überblick darüber, welche Mehrkosten entstehen würden. Dabei ist doch in der Debatte mehrfach ausgeführt worden, dass es einen persönlichen Ansprechpartner im Ministerium gibt, der sich genau darum kümmert.

(Zuruf von Kirsten Stich [SPD] – Lena Teschlade [SPD]: Ach Gott, komm!)

Jetzt zu sagen, die Mehrkosten seien nicht überschaubar, aber es sei absehbar, dass das Licht ausgeht, ist doch wirklich …

(Lena Teschlade [SPD]: Frau Wenzel, soziale Infrastruktur werden Sie nicht mit einem Mitarbeiter im Ministerium retten!)

Entschuldigung. Aber die Situation können Sie nicht so skizzieren, wenn Sie sich nicht ernsthaft darum bemühen, dass die Gelder auch abgerufen werden, und zwar aus dem Pakt, den Sie gar nicht wollten.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

Am Ende bleibt dann nur das übrig, was ich schon seit Wochen und Monaten in der Debatte als Bild gewonnen habe: Sie sind beleidigt. Sie sind beleidigt, weil Sie nicht daran mitarbeiten konnten, wie wir die soziale Infrastruktur in unserem Land unterstützen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Lachen von Jochen Ott [SPD] – Kirsten Stich [SPD]: So wie ihr gegen Armut arbeitet, oder was? – André Stinka [SPD]: Mann, jetzt wird es langsam lächerlich!)

Ihr Entlastungspaket, das Sie gerade angeführt haben, enthält keine seriösen Deckungsvorschläge im Haushalt.

(Zuruf von Kirsten Stich [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD – Lena Teschlade [SPD]: Wer regiert denn hier eigentlich?)

Natürlich beschäftigen wir uns mit Haushaltspolitik. Zu einem Zeitpunkt haben Sie Entlastungspakete gefordert, und jetzt klagen Sie gegen welche.

(André Stinka [SPD]: Weil Sie so schlecht arbeiten!)

Dahinter können Sie sich nicht verstecken. Diese Lücke bleibt in Ihrer Argumentation.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Zuletzt möchte ich noch auf Folgendes eingehen: Ich weiß, dass Ihr Marketing und Ihr Branding ist, dass die Sozialpolitik die Kernmarke der SPD sei. Es tut Ihnen weh, dass wir als Zukunftskoalition das angehen und die Menschen in Armut unterstützen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Lena Teschlade [SPD]: Das ist Ihre schlechte Politik! Das bereitet mir körperliche Schmerzen, was ihr macht!)

Denn wenn Sie bei der Fachtagung zur Kinder- und Jugendarmut dabei gewesen wären, dann hätten Sie gehört, dass sich an der Armutsquote in unserem Land in den letzten Jahren nicht wirklich relevant etwas verbessert hat, und zwar unabhängig davon, wer auch immer an der Regierung war, seien es die SPD, die Grünen, die CDU oder die FDP.

(Lena Teschlade [SPD]: Komm, Jule!)

Dieses Problem müssen wir gemeinsam angehen. Aber ihr verschreit uns jetzt als Eventkoalition, obwohl wir gemeinsam mit den Trägern und gemeinsam mit den Betroffenen – mit all denen, in Bezug auf die ihr uns vorwerft, dass wir keinen Draht zu ihnen hätten – einen Weg einschlagen wollen. Wenn wir uns dafür koordinieren müssen, kriegen wir von euch wieder nur Häme. Entschuldigung; so geht keine Zusammenarbeit zur Armutsbekämpfung.

Ich habe es schon einmal gesagt und sage es heute wieder: Kommt bitte auf den konstruktiven Pfad zurück.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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