Jule Wenzel: „Eine Narbe in unserem Gesundheitssystem“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, FDP und GRÜNEN im Landtag zum Bottroper Apothekerskandal

Portrait Jule Wenzel (c) M Laghanke

Der Antrag

Jule Wenzel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Jeder Mensch, der erkrankt, hat es verdient, voll und ganz auf seine – oder ihre – medizinische Behandlung vertrauen zu können. Der Bottroper Apothekenskandal ist ein furchtbares Verbrechen und eine Narbe in unserem Gesundheitssystem. Über Jahre hatte der Apotheker Peter S. unterdosierte Krebsmedikamente verkauft, um sich zu bereichern.

Wir denken auch heute an die Opfer und ihre Angehörigen, die über viele Jahre hinweg einen Kampf um Anerkennung und Gehör führen mussten, während sie um Angehörige trauerten oder von der Ungewissheit geplagt waren, ob ihre geliebte Person einen anderen Krankheitsverlauf oder gar eine veränderte Heilungsmöglichkeit gehabt hätte, oder die nicht wissen, ob ihr persönlicher Kampf gegen die Krankheit anders verlaufen wäre, wenn sie ihr überlebensnotwendiges Medikament aus einer anderen als aus dieser Zyto-Apotheke erhalten hätten.

Etwa 3.700 Menschen wurden damals im Prozess gegen den Apotheker genannt. Wie viele es zusätzlich über den Verjährungszeitraum sind, lässt sich nicht genau abschätzen. Die Unsicherheit, welche Auswirkungen die Unterdosierung auf ihren eigenen Krankheitsverlauf oder den ihrer geliebten Menschen hatte, kann ihnen nicht genommen werden, und sie verursacht bis heute großes Leid bei den Betroffenen und ihren Angehörigen.

Als Parlament haben wir in der letzten Legislaturperiode in einer fraktionsübergreifenden Initiative beschlossen, die Opfer und ihre Angehörigen mit einer Billigkeitsleistung von 5.000 Euro zu entschädigen. Es ging auch darum, ein Zeichen zu setzen, dass Patient*innen und Angehörige sich der Unterstützung und der Solidarität des Landes sicher sein können.

Die 5.000 Euro, die zur Verfügung gestellt wurden und aktuell beim Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantragt und von ihm ausgezahlt werden, sind ein wichtiger Schritt, denn aufgrund der Umstände dieses furchtbaren Verbrechens gab es bis vor einem Jahr für alle Betroffenen keinerlei Leistungsansprüche gegenüber dem Staat und faktisch auch keine zivilrechtliche Möglichkeit einer Entschädigung. Dieser Beschluss war wichtig.

Genauso wichtig war es aber, dass wir uns den Mittelabfluss genau angeschaut haben. Wir haben noch nicht alle erreicht. Es sind noch auskömmlich Mittel vorhanden, um allen Opfern eine Entschädigung zu leisten.

Die Unsicherheit, welche Patienten möglicherweise wenige oder gar keine Wirkstoffe erhielten, belastet nicht nur alle Betroffenen psychisch extrem, sondern erschwert aus gesetzgeberischer Sicht auch die Entschädigung. Bisher sind wir den Weg gegangen, alle Betroffenen und Hinterbliebenen einzubeziehen, die nach den Strafrechtsurteilsfeststellungen des Gerichts als Opfer der Straftaten anzusehen waren. Das bedeutet, dass einige von dem Unterdosierungsskandal betroffene Patient*innen bislang keine Entschädigung erhalten haben. Mit dem vorliegenden Antrag stellen wir sicher, dass auch sie gesehen und gehört werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Unter den Taten des Apothekers haben nicht nur die rund 2.000 Menschen gelitten, die zwischen 2012 und 2016 definitiv falsche Krebsmedikamente erhalten haben und in dem Urteil erwähnt sind. Tatsächlich sind es noch mehr.

Dieser Antrag schließt diese Lücke. Mit ihm sind nämlich alle eingeschlossen, die nachweislich zwischen Januar 2001 und November 2016 individuell zubereitete Krebsmedikamente aus der Alten Apotheke Bottrop erhalten haben. Das sind auch Menschen, die nicht im Urteil genannt sind, weil ihr Medikament vor dem 01.01.2012 ausgeliefert wurde, die individuelle Medikamentenzubereitungen oder andere Wirkstoffe erhalten haben oder deren Fälle im Prozess nicht berücksichtigt wurden. All diese Menschen haben unsere Unterstützung verdient und sind als Berechtigte für diese Billigkeitsleistung anzuerkennen.

Unser Ziel muss auch sein, sicherzustellen, dass antragsberechtigte Personen ausreichend Zeit haben, sich zu melden, und die bereitgestellten Mittel besser bei den Betroffenen ankommen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ein Entschädigungsanspruch darf nicht an einem nahenden Stichtag scheitern. Dafür verlängern wir die Antragsfrist von Ende Dezember dieses Jahres auf Ende März 2023 und in der Folge dann auf Ende Juni 2023.

Die Erweiterung des Berechtigtenkreises werden wir über den Vertriebsbereich, also über die Grenzen von Nordrhein-Westfalen hinweg, über alle Kanäle, also bei Ärzten, Kliniken, in Fachzeitschriften, über die neuen und alten Medien, publik machen. Damit stellen wir sicher, dass die Hilfe auch ankommt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir können die beschriebene Unsicherheit, Verzweiflung und auch den Schmerz nicht nehmen, aber wir als Land können ein Zeichen setzen und uns an die Seite der Betroffenen stellen. Das machen wir mit diesem Antrag. Ich danke insbesondere auch der FDP, dass wir dieses Vorhaben gemeinsam umsetzen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und Marcel Hafke [FDP])

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