Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Allen Girls‘Days und Boys‘Days zum Trotz ändert sich das Berufswahlverhalten junger Menschen kaum. Scheinbar zieht es Mädchen und Jungen nach der Schule auf vermeintlich sicheres Terrain. Mädchen wählen überdurchschnittlich häufig sogenannte Frauenberufe und Jungen sogenannte Männerberufe. In nur wenigen Berufsfeldern spielt das Geschlecht kaum eine Rolle.
Bekannte Rollenbilder scheinen jungen Menschen eine vermeintliche Sicherheit auf ihrem Weg durch den Dschungel der Lebensplanung zu geben. Bei allein 350 Ausbildungsberufen ist es schwierig, den richtigen zu finden, zumal wenn die Jugendlichen mit 15 oder 16 – aber auch mit 17 oder 18 – neben der Berufsfindung auch noch damit beschäftigt sind, ihre eigene Identität zu finden. In dieser Phase scheint es besonders schwierig, festgefahrene Rollenbilder aufzubrechen und den Jugendlichen Perspektiven jenseits festgefahrener und ausgetretener Rollenbilder aufzuzeigen.
Bei Frauen ist die Konzentration auf Berufsgruppen, die von einem Geschlecht dominiert werden, noch ausgeprägter als bei Männern. Laut Zahlen von IT.NRW waren 1999 67,7 % der weiblichen Erwerbstätigen in einem Bereich tätig, der zu den Frauenberufen gezählt wird. Zehn Jahre später waren es 67,1 %. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich diese Zahl im Verlauf weiterer zehn Jahre wesentlich ändern wird.
Wenn diese Berufswahl den eigenen Interessen entspricht, spricht aus meiner Sicht auch überhaupt nichts dagegen, in solche Berufszweige zu gehen.
Über die dringend notwendige Aufwertung und gerechte Entlohnung dieser Tätigkeiten haben wir schon ausführlich gesprochen. Denn es geht ja nicht darum, alle Mädchen und alle Frauen in andere besser bezahlte Berufszweige zu befördern, sondern es geht darum, die eigenständige Existenzsicherung von Frauen zu ermöglichen, und das in dem Beruf, den sie für sich als den richtigen anerkannt und ausgewählt haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Allerdings gilt es, genau hinzuschauen und möglicherweise auch ganz neue Talente zu entdecken. Dazu trägt der Girls‘Day bei. Und er kommt auch an bei den Mädchen. 95 % der Mädchen gaben an, ihnen habe der Girls‘Day gut oder sogar sehr gut gefallen. Immerhin 35 % konnten sich vorstellen, ein Praktikum oder gar eine Ausbildung in einem der vorgestellten Betriebe zu machen.
Auch die Unternehmen profitieren; denn durch den Girls‘Day werden viele Unternehmen überhaupt erst auf die Potenziale von Frauen und Mädchen aufmerksam gemacht. Er ist also keine Einbahnstraße, die nur einseitig Mädchen neue Perspektiven eröffnen hilft, sondern auch Unternehmen öffnet er die Augen, neue Potenziale und auch neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden.
Aber genau wie beim Boys‘Day ist die Berufswahlorientierung kein Tagesausflug. Deshalb fördern wir Geschlechtersensibilität als Schlüsselkompetenz für die Begleitung von Jugendlichen im Übergang Schule und Beruf und erweitern so den Blick für die Wahrnehmung individueller Kompetenzen, aber auch für das kritische Hinterfragen vermeintlicher Zuschreibungen nach Geschlecht.
Mit dem Projekt „GenderKompetent“ fördert die Landesregierung ein Projekt, das genau dort ansetzt. Das FrauenForum Münster, die FUMA Fachstelle Gender, das Handwerkerinnenhaus in Köln und das Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit haben sich zusammengeschlossen, um im Verbund die kommunalen Akteurinnen und Akteure zu beraten und zu qualifizieren. Berufsberaterinnen und Berufsberater, Vertreterinnen und Vertreter von Kammern und Verbänden und alle anderen an dem Prozess Beteiligten sollen fit gemacht werden, um Übergangsprozesse geschlechtersensibel und genderkompetent gestalten zu können.
Aber auch die Schule ist gefragt. Die neue Potenzialanalyse soll helfen, die individuellen Interessen und Fähigkeiten der Jugendlichen systematisch in die Berufsfindung einzubeziehen. Ein zentraler Baustein muss dabei ganz eindeutig die Geschlechtersensibilität sein. Denn bislang sind Geschlechterrollen offensichtlich ein ganz starker Berufsberater. Nur, ob das auch immer ein guter Ratgeber ist, ist eine andere Frage. Deswegen ist eine verstärkte Einbeziehung von Gendersensibilität sowohl für die Jungen als auch für die Mädchen ganz zentral bei einer Neuausrichtung der Berufswahlorientierung von Jugendlichen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)