Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jede dritte Frau wird im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt. Dabei fängt Gewalt nicht erst bei Schlägen an, sondern auch schon Bedrohung, Beschimpfung, Belästigung oder Kontrolle sind Formen von Gewalt. Sie findet online statt, sie findet offline statt.
Darüber hinaus wird jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer physischer und/oder sexualisierter Gewalt durch einen Partner oder Ex-Partner.
Noch dramatischer: Jeden Tag versucht ein Partner oder ein Ex-Partner, eine Frau zu töten, und jeden dritten Tag gelingt es ihm.
Gerade Frauen und Mädchen mit Behinderung sind einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt, Opfer physischer und/oder sexualisierter Gewalt zu werden.
Gewalt trifft Menschen jeden Alters und aller sozialen Schichten, und sie passiert überall, auch dort, wo wir uns vermeintlich am sichersten fühlen, nämlich zu Hause. Für Frauen ist das eigene Zuhause, sind die eigenen vier Wände oft alles, aber kein sicherer Ort und keine sichere Zuflucht. Es passiert aber auch am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit oder online.
Von geschlechtsspezifischer oder Partnerschaftsgewalt sind vor allem Frauen betroffen, aber, ja, es sind auch Männer betroffen. Dementsprechend ist es richtig, auch darauf das Augenmerk zu lenken. Das hat aber additiv zu passieren. Wir brauchen dann zusätzliche Ressourcen, um auch den Schutz vor Gewalt bei Männern in den Blick zu nehmen. Das darf nicht in einem Konkurrenzverhältnis stehen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Für Schutz und Unterstützung im Frauenhilfesystem arbeiten die engagierten Frauen jeden Tag in den Frauenhilfeinfrastrukturen. Das macht deutlich: Das Thema „Schutz vor Gewalt“ ist jeden einzelnen Tag aktuell und muss jeden einzelnen Tag im politischen Fokus stehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das geschieht auch in diesem Haus. Dementsprechend wundert es mich schon, wenn ich im Antragstext zur heutigen Aktuellen Stunde lese – vorher wird noch beschrieben, was ich gerade erläutert habe –:
„Vor diesem Hintergrund ist es dringend geboten, dass der nordrhein-westfälische Landtag diesen Themenkomplex berät und sich klar positioniert.“
Das hört sich an, als hätte der Landtag von Nordrhein-Westfalen nicht schon zahlreiche Anlässe genutzt, um intensiv über die Frage des Schutzes von Frauen und Mädchen vor Gewalt zu debattieren. Das haben wir durchaus differenziert gemacht, das fand im Kreise der Demokratinnen und Demokraten auch kontrovers statt. Wer sich daran nicht beteiligt hat und wer dazu keine konstruktiven Vorschläge unterbreitet hat, das ist die Fraktion der AfD.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dieses Bild verstärkt sich mit Ihren Einlassungen von heute einmal mehr.
Es ist schon bezeichnend, dass Sie weder im Antrag noch in Ihrem Debattenbeitrag auf die zentrale Grundlage des Schutzes vor Gewalt und auf den Meilenstein der Verankerung des Gewaltschutzes im europäischen Recht hingewiesen haben. Ohne auf die Istanbul-Konvention einzugehen, kann man in dieser Debatte nicht über die Weiterentwicklung des Gewaltschutzes und über die Notwendigkeiten sprechen. Das haben Sie mit keinem Wort erwähnt. Das zeigt: Die Debatte ist an Ihnen doch völlig vorbeigegangen. Sie sind nicht auf der Höhe der Zeit.
(Beifall von den GRÜNEN, Anja Butschkau [SPD] und Susana dos Santos Herrmann [SPD])
Das Thema ist jeden Tag aktuell, Ihre Aktuelle Stunde ist das nicht. Wir haben in zahllosen Debatten darüber gesprochen, was mehr in den Blick genommen werden muss.
Wir brauchen einen Ausbau der Frauenhilfeinfrastruktur im ländlichen Raum, aber auch in den Ballungsgebieten, wo wir weiterhin Schutzlücken haben.
Wir brauchen eine barrierefreie Frauenhilfeinfrastruktur, die den Zugang aller Frauen und Mädchen ermöglicht.
Wir brauchen das In-den-Blick-Nehmen von Kindern als eigenständige Opfer, aber auch eigenständige Subjekte innerhalb der Frauenhilfeinfrastruktur.
Von all diesen Dingen erwähnen Sie hier nichts. Das wird der notwendigen Debatte allerdings nicht gerecht.
Ich will noch eine Sache sagen, die ich aus der Debatte vom Mittwoch mitgenommen habe – das dürfen wir Ihnen meines Erachtens so nicht durchgehen lassen –: Die notwendige Debatte um Gewaltschutz darf nicht zur Hetze gegen Geflüchtete instrumentalisiert werden. Genau das scheint in Ihren Debattenbeiträgen immer wieder durch, und das war am Mittwoch in der Aktuellen Stunde einmal mehr so. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Das ist nicht nur schäbig, sondern das hilft keiner einzigen von Gewalt betroffenen Frau – nicht in Nordrhein-Westfalen, nicht in Deutschland und auch nicht weltweit.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)
Wir müssen in diesen Zeiten natürlich darüber sprechen und in den Blick nehmen, dass Frauen und Kinder in Krisen- und Kriegsgebieten besonders gefährdet sind. Das muss uns umtreiben. Sie sind besonders gefährdet, Opfer von Gewalt und Ausbeutung zu werden.
Gerade sexualisierte Gewalt gegen Frauen wird immer noch als Kriegsmittel eingesetzt. Mittlerweile wird das wenigstens international gesehen und geächtet. Leider ist diese Debatte auch an diesem Tag, gerade jetzt aktueller denn je.
Wir müssen alles dafür tun, dass Frauen und Kinder in Krisen- und Kriegsgebieten nicht Opfer sexualisierter Gewalt, nicht Opfer von eingesetzten Vergewaltigungen werden. Wir sind auch in der Verantwortung, Frauen und Kinder, die auf der Flucht sind, die hier Zuflucht suchen, bestmöglich zu schützen.
Deswegen müssen wir natürlich eine Debatte über Gewalt, Beratung, Begleitung und Sensibilisierung führen. Für all das sind die Prozesse und Debatten längst im Gange. Zu all dem hat die von Ihnen hier beantragte Aktuelle Stunde allerdings überhaupt keinen Beitrag geleistet.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)