Josefine Paul: „Wir müssen die Taten und die Täter aus dem Dunkelfeld holen und die Betroffenen vor weiterem Leid schützen“

Antrag u.a. der GRÜNEN im Landtag gegen Kindesmissbrauchförderung

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Missbrauchsfälle von Lügde, Bergisch Gladbach und Münster haben uns allen deutlich vor Augen geführt, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder und brutalster Missbrauch eine Realität in unserer Gesellschaft sind. Was dort ans Licht kommt, ist in der Tat – und diese Ansicht teilen wir sicher alle miteinander – kaum zu ertragen. Und doch ist es wichtig, dass es ans Licht kommt, denn wir müssen die Taten und die Täter aus dem Dunkelfeld holen, und vor allem müssen wir die Betroffenen vor weiterem Leid schützen und ihnen Unterstützung und Hilfe gewähren.
Diese Fälle zeigen, dass der Staat und seine Institutionen insbesondere in diesen Fällen bei der Ausübung ihres Wächteramtes versagt haben, zum Beispiel, weil Hinweise nicht ernst genommen wurden, weil nicht richtig eingeordnet wurde, was bekannt geworden ist, weil eine Stelle nicht richtig mit der anderen kommuniziert und wichtige Hinweise nicht weitergegeben hat und möglicherweise auch – und das finde ich persönlich am schlimmsten –, weil Kinder nicht gehört worden sind oder weil ihnen gegebenenfalls sogar nicht geglaubt worden ist.
Und ja, es ist sinnvoll, auch über eine Verschärfung des Strafrechts zu diskutieren. Doch dabei muss uns eines klar sein: Das Strafrecht hat weder eine abschreckende Wirkung – das belegen leider ganze Bibliotheken mit Studien kriminologischer Forschung –, noch – und das zu unterstreichen, ist mir besonders wichtig – hat es eine präventive Wirkung. Eine solche Strafrechtsdebatte darf nicht die drängendste Debatte von allen überdecken, nämlich die über Prävention und die Stärkung eines wirksamen Kinderschutzes.
(Zuruf von Gregor Golland [CDU])
Frau Kollegin Erwin, an der Stelle ist Ihr Antrag leider unterkomplex. Sie haben kein weiteres Konzept vorgelegt. Das hätten wir uns aber gewünscht. Schließlich diskutieren wir in den unterschiedlichen Gremien sehr intensiv darüber, welche ganzheitlichen Strategien es zur Verbesserung des Kinderschutzes in Nordrhein-Westfalen braucht.
Der Vorstoß der Landesregierung zur Strafverschärfung ist sicherlich ein Baustein im Kampf gegen Missbrauch. Aber Kinder und Jugendliche wirksam zu schützen, ist eine weitaus komplexere Aufgabe. Sie erfordert eine verlässliche Zusammenarbeit und ein verlässliches Zusammenwirken aller Akteure, und darüber hinaus erfordert es eine Gesamtstrategie.
In dieser Hinsicht, sehr geehrte Damen und Herren der Landesregierung, erwarten wir mehr. Es gibt zwar einen IMAK, aber nach wie vor keinen Bericht des IMAK. Es gibt einzelne Bausteine, die auch gut und sinnvoll sind, aber es gibt keine abgestimmte Gesamtstrategie, die wir jedoch endlich brauchen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Eine Strafrechtsverschärfung allein macht noch keine kindgerechte Justiz. Wenn Kinder nicht angehört werden, dann ist das ein schwerwiegender Fehler, und dann muss auch hier nachgearbeitet werden. Daher ist Herr Minister Biesenbach gefordert, weitere Konzepte zu entwickeln und in der Justiz zu implementieren. Dazu gehört auch die verpflichtende Fortbildung von Familienrichterinnen und Familienrichtern.
Herr Kollege Wolf, Sie wissen mindestens genauso gut wie ich, dass es um eine Konkretisierung der von uns eingeführten Fortbildungspflicht geht. Dementsprechend haben Sie gerade eine kleine Nebelkerze geworfen. Wir brauchen diese Konkretisierung. Allein der Hinweis auf die Richterakademie reicht nicht aus.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Vielmehr muss kindgerechte Justiz endlich zur Chefsache gemacht werden, und das erwarten wir von Ihnen, Herr Justizminister Biesenbach.
(Beifall von den GRÜNEN)
Des Weiteren müssen wir Netzwerke und auch das Zusammenwirken von Justiz, Polizei, Jugendämtern, Ärztinnen und Ärzten, Schulen, Kitas und allen anderen im Bereich der freien Jugendhilfe verbindlicher gestalten. Wir müssen es besser regeln, und deshalb brauchen wir ein Landespräventionsgesetz. Es reicht nicht, immer nur in andere Richtungen zu zeigen und zu sagen, man sei für die Jugendhilfe nicht zuständig, das sei eine kommunale Aufgabe, oder man müsse etwas in der SGB VIII-Reform regeln. Das ist beides richtig, aber es ist beides nicht ausreichend. Wir brauchen als Ergänzung ein Landespräventionsgesetz.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Es braucht zudem weitere Ressourcen. Kinderschutz darf keine Frage der Kassenlage sein.
Deshalb bedarf es der Absicherung von spezialisierten Fachberatungsstellen. Auch da müssen wir das Netz enger weben und schauen, wo es gegebenenfalls noch weiße Flecken gibt.
Und wir brauchen eine Finanzierung der Koordinierung lokaler Netzwerke. Auch in dieser Hinsicht muss und kann sich das Land stärker engagieren und die lokalen Netzwerke und Akteure noch stärker als bisher unterstützen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sehr geehrte Damen und Herren, wir brauchen eine Kultur des Hinsehens, aber vor allem auch eine Kultur des Handelns. Das erfordert aber auch Kompetenzen des Erkennens und des Verstehens.
Deshalb brauchen wir Kinderschutzkonzepte in allen Bereichen, in denen mit Kindern gearbeitet wird.
Vor allen Dingen aber brauchen wir in Aus-, Fort- und Weiterbildung die Kompetenzvermittlung im Erkennen von Missbrauch, aber auch im Hören von Hinweisen und im Ansprechen und im Gespräch mit Kindern. Das gilt für die Polizei, das gilt für die Justiz, das gilt für Erzieherinnen und Erzieher und für Schulen. Da müssen wir definitiv nachbessern, denn in vielen Bereichen sind dies keine verpflichtenden Bestandteile der Ausbildung.
Das muss sich ändern; denn Kinderschutz und Kinderrechte müssen endlich Priorität politischen Handelns werden. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

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