Josefine Paul: „Wir müssen die Menschen selbst noch mehr in den Blick nehmen und ihre Kompetenzen und Rechte stärken.“

Antrag der CDU zur Bekämpfung sexuellen Mißbrauchs an Behinderten

Portrait Josefine Paul

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Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschen mit Behinderungen sind auch heute noch deutlich häufiger Opfer von Gewalt in all ihren Formen als Menschen ohne Beeinträchtigungen. Insbesondere Frauen mit Behinderungen stellen dabei eine besonders vulnerable Gruppe dar. Das haben die Wortbeiträge meiner beiden Kolleginnen ja auch schon unterstrichen.
Die bundesweite Studie – sie ist auch schon angesprochen worden – „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland“, die durch die Universität Bielefeld durchgeführt wurde und auch dem Emanzipationsausschuss ja bereits im Juni 2013 vorgestellt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen mit Behinderungen im Lebensverlauf allen Formen von Gewalt deutlich häufiger ausgesetzt sind.
Sie werden häufiger Opfer von physischer, psychischer und/oder sexualisierter Gewalt und Erleben leider Diskriminierung auch durch die Behörden, Justiz und Polizei. Nicht zuletzt sind sie häufiger von Mehrfachdiskriminierung betroffen. Dabei bleibt festzuhalten, dass auch eine erniedrigende Behandlung eine subtile Form der Gewalt darstellt.
Ebenso möchte aber auch ansprechen, dass die Tatsache, dass Frauen überdurchschnittlich häufig Opfer von Gewalt werden, nicht den Blick dafür verstellen darf, dass auch Männer mit Behinderung Opfer von Gewalt werden. Eine Untersuchung zur Lebenssituation von Männern mit Behinderung aus dem Jahr 2013 legt allerdings nahe, dass Männer deutlich häufiger Opfer von körperlicher Gewalt an öffentlichen Orten werden. Die Gewalt, der sich Männer und Frauen ausgesetzt sehen, unterscheidet sich daher deutlich.
Inwieweit allerdings sexuelle Übergriffe möglicherweise auch aufgrund von Scham weniger häufig von Betroffenen benannt werden, müsste man an der Stelle noch weiter untersuchen. Das gilt jedoch – das möchte ich hinzufügen – nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern sicherlich auch für Männer ohne Behinderung, denn das ist immer noch ein sehr tabuisiertes Thema.
Es ist weiterhin festzustellen, dass Grenzverletzungen durch die Betroffenen oftmals zunächst nicht als solche wahrgenommen werden bzw. die Übergänge in dem Bereich fließend sind. Hier gilt es aus unserer Perspektive, Frauen wie Männer beim Festsetzen eigener Grenzen zu stärken und sie zu unterstützen sowie zu ermutigen, Grenzüberschreitungen zu artikulieren.
Für uns heißt das, dass nicht allein der Schutzgedanke im Vordergrund steht, sondern es vielmehr darum gehen muss, Frauen und Männer mit Behinderung im Sinne des Empowerments zu unterstützen und zu stärken.
Menschen mit Beeinträchtigungen haben genauso ein Recht auf Selbstbestimmung wie Menschen ohne Behinderung, und deren Stärkung haben sich Selbsthilfevereine, Träger und nicht zuletzt die Landesregierung zur Aufgabe gemacht. Frauen mit Behinderung sehen wir dabei als Expertinnen in eigener Sache. In der Anhörung, die wir gemeinsam hatten, haben wir eine der Frauenbeauftragten in Einrichtungen kennengelernt, die uns sehr deutlich gemacht hat, dass das auch ihr Selbstverständnis ist. Sie sieht sich als Expertin in eigener Sache und als Vorbild, um Frauen Mut zu machen, sowohl ihre Bedürfnisse als auch die Verletzungen ihrer eigenen Grenzen zu artikulieren.
Leider erleben wir heute immer noch, dass die klassische Frauenhilfestruktur für Frauen und Mädchen mit Behinderung häufig schwer zugänglich ist. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Frauen und Mädchen sie oftmals gar nicht kennen. Diesbezüglich können die Frauenbeauftragten in diesen Einrichtungen eine wichtige Schnittstelle bilden, um sie über diese Angebote zu informieren und sie weiter zu verweisen, aber eben auch genauso, um diese Vorbildfunktion einzunehmen und den Frauen Mut zu machen, ihre eigenen Grenzen deutlich aufzuzeigen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es herrscht hier im Haus und in dem federführenden Ausschuss bei diesem Antrag große Einigkeit darüber, dass Menschen mit Behinderung nicht nur Schutz benötigen, sondern es im Sinne der Inklusion auch um die Förderung der Selbstschutzkompetenz geht. Dennoch empfiehlt der federführende Ausschuss die Ablehnung des Antrags. Das bedarf vermutlich der Erklärung, und das will ich auch gerne versuchen.
Die Forderungen des CDU-Antrags sind keinesfalls falsch, und es ist keinesfalls falsch, was Sie an der Stelle sagen. Das möchte ich noch einmal unterstreichen. Sie greifen uns aber – die Frau Kollegin Kopp-Herr hat das schon deutlich gemacht – einfach ein Stück weit zu kurz, denn wir haben gehört – in der Anhörung wird das noch einmal sehr deutlich dargestellt –, dass es um einen ganzheitlicheren Ansatz gehen muss. Wir müssen die Menschen selbst noch mehr in den Blick nehmen und ihre Kompetenzen und Rechte stärken.
(Beifall von den GRÜNEN)
Deshalb haben wir mit den Fraktionen gemeinsam verhandelt, und ich bin der Meinung, dass das durchaus konstruktive Gespräche waren. Leider hat es am Ende – ich bin sehr dankbar, dass wir uns alle unabgesprochen darauf verständigt haben, hier keine Schuldzuweisungen vorzunehmen – nicht gereicht, um in der gegebenen Zeit zu einem gemeinsamen Antrag zu gelangen.
Ich bin aber der Meinung, dass wir an diesem Punkt – hier schließe ich mich Frau von Dinther an – sicherlich gemeinsam weiter arbeiten, denn es geht uns darum, die Rechte dieser Menschen zu stärken und die Selbstschutzkompetenz sowohl der Frauen wie auch der Männer mit Behinderung zu stärken. Des Weiteren gebe ich Ihnen völlig recht, dass es gilt, zudem die Kinder in den Blick zu nehmen.
Es muss aber auch um Punkte wie eine mögliche Überarbeitung des Gewaltschutzgesetzes gehen, und zwar für die Menschen, die in Einrichtungen leben. Es muss darum gehen, dass wir einen Rechtsanspruch auf gleichgeschlechtliche Pflege überprüfen und diesen unter Umständen endlich aufnehmen – eine Forderung, die in der Anhörung sehr deutlich gemacht wurde.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir sind deshalb leider bislang nicht zu einer gemeinsamen Initiative gekommen. Dennoch bin ich guten Mutes, dass wir weiterhin gemeinsam an dem Thema konstruktiv arbeiten werden, um mehr Selbstbestimmung und einen besseren Schutz von Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen zu erreichen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)