Josefine Paul: „Wir Frauen haben weder Geduld noch die Zeit, darauf zu warten, dass sich hier irgendetwas von alleine regelt“

Antrag der Fraktion der SPD zu "100 Jahre Frauenwahlrecht"

Portrait Josefine Paul

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Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn man hier in das weite Rund schaut, dann ist der erfreuliche Aspekt, den man bemerken kann: Der Frauenanteil ist vergleichsweise hoch. Ein bisschen unerfreulich ist dagegen – das muss ich auch für meine eigene Fraktion zähneknirschend feststellen –: Allgemein ist die Beteiligung an dieser Debatte nicht so hoch, wie es dem Thema angemessen wäre.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
100 Jahre Frauenwahlrecht sind nicht nur eine entscheidende Errungenschaft für Frauen, sondern eine entscheidende Errungenschaft für die Demokratie an sich. Frauen machen immerhin die Hälfte der Bevölkerung aus.
Dass sie so lange von demokratischer Teilhabe – in Politik und Gesellschaft – ausgeschlossen waren und sich diese so mühsam erkämpfen mussten, dazu sollten wir alle gemeinsam – nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer – sagen: Das ist ein wichtiger Aspekt der Demokratie, der uns viel wert sein sollte.
Als die ersten Frauen am 6. Februar 1919 in die verfassungsgebende Versammlung in Weimar einzogen, da blickte die Frauenbewegung bereits auf einen langen Kampf für das Stimm-recht zurück. Schon Hedwig Dohm schrieb den Frauen 1876 ins Stammbuch: Fordert das Stimmrecht! Denn nur über das Stimmrecht geht der Weg zur Selbstständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau.
Doch vor dem Einzug in die Parlamente lag überhaupt erst einmal das Erkämpfen des Rechtes, sich politisch beteiligen zu dürfen. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass es Frauen nach der Revolution von 1848 überhaupt nicht erlaubt war, sich politisch zu betätigen. Sie durften sich nicht in politischen Vereinen zusammentun, und sie durften auch nicht Mitglied in Parteien werden.
Erst durch die Veränderung des Vereinsgesetzes 1908 wurde ihnen der Eintritt in Parteien und damit die politische Betätigung überhaupt ermöglicht. Ein erster Schritt zur politischen Mündigkeit von Frauen war damit also getan.
Frauen konnten nun auch offen und nicht mehr nur geheim und verschwurbelt für die Gleichberechtigung, die Menschenrechte und das Wahlrecht streiten. „Menschenrechte haben kein Geschlecht“, sagte schon Hedwig Dohm. „Frauenrechte sind Menschenrechte“ lautet ein Slogan der Frauenbewegung, der heute noch Gültigkeit hat, der heute noch genauso wichtig ist wie vor 100 und vor 50 Jahren.
Schaut man sich die internationale Situation von Frauen und Mädchen an, müssen wir leider feststellen: Noch allzu oft herrscht die Unterdrückung von Frauen und Mädchen vor. Noch viel zu oft sind sie geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Nicht in allen gesellschaftlichen Bereichen sind Gleichberechtigung und Teilhabe durchgesetzt.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, im November 1918 erhielten die Frauen endlich das Wahlrecht, und fast 90 % der Wählerinnen gaben bei den Wahlen am 20. Januar 1919 ihre Stimme ab. Bei der Eröffnung der verfassunggebenden Versammlung waren dann auch fast 10 % der Abgeordneten Frauen, ein Anteil – das finde ich ganz interessant –, der im Deutschen Bundestag erst 1983 wieder erreicht wurde.
Da bereits alle Rednerinnen die Errungenschaften der eigenen Partei gewürdigt haben, möchte ich sagen: Aus dem Datum 1983 würde ich schließen, dass das vielleicht etwas mit dem Eintreten der Grünen in den Bundestag zu tun haben könnte.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aktuell ist der Frauenanteil im Bundestag allerdings wieder auf den Stand des letzten Jahrtausends zurückgefallen. Bei den Bundestagswahlen von 1998 lag der Frauenanteil zuletzt bei knapp 31 %. Das ist leider auch momentan so.
Wenn wir uns den Frauenanteil des Landtags Nordrhein-Westfalen anschauen, dann ist das frauenpolitisch auch kein Anlass zum Jubeln. Frau Schneider und Frau Troles, wenn Sie hier sagen, in den letzten Jahren hätte sich alles so wunderbar entwickelt, man könne das auch nicht mit anderen Wahlperioden vergleichen usw., dann möchte ich darauf hinweisen: Der aktuelle Frauenanteil von 27,6 % ist nicht nur mager, sondern aus meiner Sicht sogar beschämend.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das aber hält die regierungstragenden Fraktionen nicht davon ab, diesen Frauenanteil noch zu unterbieten. In der CDU-Fraktion sind aktuell 23,6 % der Abgeordneten weiblich, in der FDP-Fraktion sind es gar nur 17,9 %. Aber nein, Frau Schneider und Frau Troles: Wir brauchen keine gesetzlichen Regelungen zur gerechten Beteiligung von Frauen. Das wird sich schon von alleine regeln.
Ich muss Ihnen aber sagen: Wir Frauen haben weder Geduld noch haben wir die Zeit, darauf zu warten, dass sich hier irgendetwas – was auch immer – von alleine regelt.
Schaut man sich die Entwicklung in den Kommunalparlamenten der bundesdeutschen Groß-städte an, wie es das Gender-Ranking der Böll-Stiftung immer wieder untersucht, dann kommt man leider zu dem Schluss, dass es noch 128 Jahre dauern wird, bis Frauen und Männer gleichberechtigt in den Parlamenten deutscher Großstädte sitzen. Das gilt auch nur, wenn es keinerlei Schwankungen gibt wie jetzt – der Frauenanteil ist gesunken – oder wie bei den letzten Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen. Das wird nur dann passieren, wenn sich der Frauenanteil auch in den kommenden vier Jahren jeweils um moderate 0,5 % steigert.
Ich möchte Ihnen allerdings sagen: 100 Jahre nachdem die Frauen ihr Recht zu wählen er-kämpft haben, ist es aus meiner Sicht vielleicht Zeit, darüber nachzudenken, ob wir uns jetzt nicht auch das Recht auf paritätische Teilhabe erkämpfen sollten. Das ist wahrlich kein weiches Thema; Frau Schneider hat es gerade erwähnt. Kaum etwas ist in den letzten Monaten in diesem Haus so hart diskutiert worden wie die Frage der Quote.
Ich möchte Ihnen sagen, Frau Schneider, weil Sie das hier schon wieder vorgetragen haben: Weder Sie noch Ihre Fraktion noch die CDU noch die Landesregierung stellen fest, ob etwas verfassungskonform ist oder nicht. Das macht immer noch das Verfassungsgericht. Dort haben Sie es gar nicht mehr zur Entscheidung kommen lassen. Dementsprechend wissen wir nach wie vor nicht, ob die Quotenregelung für den öffentlichen Dienst verfassungskonform war oder nicht. Wir gehen weiterhin davon aus, dass sie es war.
Aus Ihren Redebeiträgen wird einmal mehr deutlich, dass das Gleichstellungsgebot des Grundgesetztes in diesem Haus eben nicht von allen Fraktionen gleichermaßen als Auftrag verstanden wird – als Auftrag, endlich dafür zu sorgen, dass Macht und Verantwortung in diesem Land gleich verteilt sind.
Wenn man sich den aktuellen Gleichstellungsbericht der Bundesregierung anschaut, dann wird deutlich, dass Frauen ihren Anteil an der Verantwortung mehr als erfüllen. Denn Frauen leisten täglich mehr als die Hälfte mehr unbezahlter Sorgearbeit als Männer. Das heißt, sie übererfüllen ihren Anteil an der gesellschaftlichen Verantwortung, an der Sorgearbeit.
Doch wenn es um das Geld und um die Macht geht, dann liegen Frauen abgeschlagen zu-rück. Sie bekommen nach wie vor 21 % weniger Lohn im durchschnittlichen Gesamterwerbseinkommen. In der Lebensverlaufsperspektive sind es schon 49 % weniger. Bei der Rente ist das Loch bereits bei 53 %.
Das alles sind doch keine guten Nachrichten, die einen zurücklehnen und sagen lassen: Es ist nicht mehr die Zeit, über Frauenförderung nachzudenken, davon müssen wir uns endlich abwenden. – Nein, es ist nach wie vor die Zeit, darüber zu sprechen, dass Frauen in diesem Land nicht gleichberechtigt sind.
Allerdings hoffe ich – weil der Antrag überwiesen wird –, dass wir vielleicht doch noch zu einem gemeinsamen Antrag und zu einem gemeinsamen Signal kommen werden.
Frau Ministerin Scharrenbach hat gemeinsam mit der LAG der kommunalen Gleichstellungs-beauftragten aufgefordert, unter dem Hashtag „#100 Jahre Frauenwahlrecht“ Initiativen zu posten und sichtbar zu machen, welche Frauen sich für das Frauenwahlrecht engagiert haben. Es wäre doch schön, wenn dieses Parlament unter dem Hashtag „#100 Jahre Frauenwahlrecht“ eine gemeinsame Initiative starten, einen gemeinsamen Antrag einbringen würde, der deutlich macht, dass wir Frauen in der Politik stärken wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, nachdem Sie alles abgelehnt haben, was die SPD in ihren Antrag geschrieben hat, und nachdem ich erläutert habe, dass Sie unsere Quotenregelung abgeschafft haben, würde mich interessieren – Sie haben gesagt, bei Ihnen sei alles in guten Händen –, was Sie nun konkret vorschlagen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Nach wie vor haben Sie keinen Vorschlag auf den Tisch gelegt, wie Sie den Frauenanteil im öffentlichen Dienst erhöhen wollen. Wie wollen Sie denn, wenn unsere Vorschläge alle schlecht sind, den Anteil von Frauen in den Kommunalparlamenten erhöhen?
Wir sind sehr gespannt auf die Antworten. Vielleicht hat die Ministerin ja endlich ein paar Antworten im Gepäck. Ich verliere die Hoffnung nicht. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN) 

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