Josefine Paul: „Wer entscheidet in diesem Land eigentlich über verantwortungsvolle Gesundheits- und Schulpolitik?“

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktionen von SPD und GRÜNEN zur Schulpolitik in NRW

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute hören wir durch das RKI von einem neuen Höchststand bei den Neuinfektionen. Auch die Zahlen des RKI in Bezug auf die Inzidenz bei Jugendlichen im Alter von 10 bis 19 Jahren sind ein Grund zur Sorge.
Ja, wir sind uns darin einig, dass Kinder und Jugendliche keine Treiber der Infektionen sind. Nichtsdestotrotz ist ein differenzierter Blick auf die Kinder und Jugendlichen notwendig. Denn natürlich werden sie älter, und je älter sie werden, umso wichtiger ist es, auch bei ihnen auf die Inzidenzen zu schauen. Darauf muss man auch vorbereitet sein.
In der Debatte am Mittwoch haben sich für uns noch viele Fragen gestellt, die absolut unbeantwortet geblieben sind. Wir wurden mit vielen Fragezeichen zurückgelassen.
Aber konkrete Antworten und konkrete Konzepte sind doch gerade jetzt besonders notwendig – nicht in erster Linie für den Landtag Nordrhein-Westfalen, der allerdings auch gerne mal darüber unterrichtet werden würde, sondern in allererster Linie für die Schülerinnen und Schüler, für die Lehrerinnen und Lehrer und für die Eltern. Aber auch dort: keine Konzepte, keine klare Kommunikation.
Man fragt sich schon ein bisschen – nach dem Mittwoch frage ich mich das noch viel mehr –: Wer entscheidet eigentlich in diesem Land, wie es mit der Schulpolitik weiterzugehen hat?
Die Schulministerin wird ja nicht müde, darauf zu verweisen, dass eigentlich die örtlichen Gesundheitsämter die Verantwortung für die konkreten Infektionsschutzmaßnahmen haben.
Wenn sich nun aber Kommunen auf den Weg machen und verantwortlich vor allem präventive Konzepte auf den Weg bringen wollen – der Solinger Weg ist genannt worden; er ist übrigens auch mit den Gesundheitsämtern abgestimmt –, dann wird das den Kommunen verboten.
Da stellt sich schon die Frage: Wer entscheidet in diesem Land eigentlich über verantwortungsvolle Gesundheits- und Schulpolitik?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Auch ansonsten hält die Ministerin ja stoisch an ihrem Kurs zum Präsenzunterricht fest. Aber auch dazu lesen wir doch: Wenn wir so weitermachen – wenn Sie, Frau Ministerin Gebauer, so weitermachen –, ohne Konzepte, mit denen wir auf ein steigendes Infektionsgeschehen reagieren können, dann wird es einen schleichenden und ungesteuerten Lockdown in unseren Schulen geben. – Dafür tragen dann Sie die Verantwortung, Frau Ministerin Gebauer.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Auch die vom stellvertretenden Ministerpräsidenten immer wieder vorgetragene Bildungs- und Betreuungsgarantie ist doch löchrig wie ein Schweizer Käse. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass sich das Virus von Ihren markigen Worten der Bildungs- und Betreuungsgarantie – übrigens ohne jedes Konzept dahinter – null beeindrucken lässt. Null!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie versuchen hier doch, eine Normalität zu suggerieren, die es so nicht gibt.
Verantwortungsvolle und vorausschauende Politik muss die Fragen von Bildungsgerechtigkeit und Infektionsschutz miteinander verbinden. Dazu gehört es, hier endlich Wege aufzuzeigen, wie die RKI-Maßnahmen auch umgesetzt werden können. Der Präsident des RKI ist ja schon fast flehentlich dabei, diese Hinweise auch in Richtung dieser Landesregierung zu geben.
Die Verkleinerung von Klassen durch Hybridmodelle, alternative Lernräume, kreative Konzepte – all das liegt auf dem Tisch. Da geht es eben nicht um schwarz oder weiß, um auf oder zu, sondern darum, Konzepte zu entwickeln, wie wir es ermöglichen können, dass wir die Schulen möglichst lange offenhalten können, damit Kinder tatsächlich auch von Bildung profitieren können. Dafür braucht man eben genau diese Konzepte.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Sehr gut!)
Aber auch der Ministerpräsident wird ja nicht müde, zu betonen, es gäbe kein Personal, es gäbe keine Räume für erweiterte Konzepte. Ich habe es am Mittwoch schon gesagt: Die Landeslehramtsfachschaften haben ihre Unterstützung angeboten.
Gestern haben wir lesen können, dass die Kulturdezernentin des LWL Platz in Museen für Schulen anbietet, um dort auch unterrichten zu können, um dort alternative Konzepte anbieten zu können.
Allerdings stellt man bedauernd fest, dass die Menschen der Landesregierung offensichtlich schon ihre Konzepte aufdrängen müssen, um trotzdem ungehört an dieser Landesregierung mit diesem Ministerpräsidenten an der Spitze abzuprallen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Die Ministerin hat heute noch einmal in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ unterstrichen, dass sie diese Konzepte räumlicher Entzerrung nicht weiterverfolgt. Ich frage Sie, Frau Ministerin: Warum verfolgen Sie diese Konzepte nicht, wenn Ihnen die Konzepte doch angeboten und die Räume fast aufgedrängt werden?
(Beifall von den GRÜNEN und Marlies Stotz [SPD])
Nun kommt der nächste Chaosvorschlag aus dem Schulministerium zum Vorziehen der Weihnachtsferien. Ja, man kann inhaltlich über diesen Vorschlag auch diskutieren; das ist gar nicht mein Punkt.
(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Ja!)
Aber in Ihrer Kommunikation zeigt er die gesamte Widersprüchlichkeit Ihrer Krisenpolitik auf. Einerseits versuchen Sie ständig, uns diese Scheinnormalität zu suggerieren, und andererseits braucht es jetzt eine Art Weihnachtsquarantäne, damit Kinder die Möglichkeit haben, mit ihren Lieben zu feiern. Das ist schlicht und ergreifend widersprüchlich. Diesen Widerspruch kann man nur damit erklären, dass das eine Nebelkerze und ein Ablenkungsmanöver ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Auch beim Thema „Stufenpläne und angepasste Maßnahmen“ hat sich die Ministerin immer hinter der KMK verschanzt und gesagt: Wir brauchen abgestimmte Maßnahmen. – Übrigens lesen andere Länder den KMK-Beschluss ganz anders, als die nordrhein-westfälische Schulministerin das tut.
Nun preschen Sie mit diesem Vorschlag zu den Weihnachtsferien voran, der übrigens – wenn man sich die Kommentare der anderen KMK-Kolleginnen anschaut – auf wenig Begeisterung stößt, Frau Ministerin Gebauer.
Da schließt sich für mich schon die Frage an: Mit wem stimmt sich die Schulministerin eigentlich ab?
Auch Kollege Kutschaty hat ja gerade darauf hingewiesen, dass es sehr viele Stimmen gibt, die jetzt auch darauf hinweisen, dass das die nächsten Probleme auslöst – Stichwort „Betreuungsproblematiken“; genau. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter hat darauf hingewiesen.
(Zuruf von Stefan Lenzen [FDP])
Es darf doch nicht sein, dass diese Maßnahme jetzt wieder dazu führt, dass das auf dem Rücken von Familien und vor allem auf dem Rücken von Alleinerziehenden ausgetragen wird.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie hätten vorher Betreuungskonzepte auf den Weg bringen müssen, statt jetzt schulterzuckend danebenzustehen.
Auch bei der Abstimmung mit dem Koalitionspartner scheint es ja zu knirschen. Zwar springt der Ministerpräsident – das hat er auch am Mittwoch gemacht – der Schulministerin demonstrativ bei. Aber an der Basis scheint es doch erheblich zu knirschen.
So liest man von der Fraktionsvorsitzenden der CDU in Wuppertal, dass sie sich enttäuscht sehe. Wörtlich sagt sie:
„Damit stellt sich die Landesregierung nicht nur gegen den ,Solinger Weg‘, sondern auch gegen das Engagement der Schulen vor Ort.“
Aha. So viel zur großen Einmütigkeit und zum einhelligen Weg, den die Landesregierung hier beschreitet.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Henning Höne [FDP])
An der Basis sieht das doch ganz anders aus. Herr Ministerpräsident, es würde mich schon interessieren, wie Sie das eigentlich Ihrer CDU-Basis vor Ort erklären wollen.
Frau Ministerin Gebauer, es ist trotzdem immer noch nicht zu spät. Verlassen Sie den von Ihnen eingeschlagenen Irrweg. Tun Sie wirklich etwas für die Bildungsgerechtigkeit in diesem Land. Ermöglichen Sie jetzt alternative Modelle.
(Bodo Löttgen [CDU]: Die sind doch schon lange möglich! Mein Gott!)
Unterstützen Sie vor allem die Schulen und Schulträger, die sich in der Kommunikation auch von ihrer Dienstherrin alleingelassen fühlen. Beziehen Sie endlich auch diejenigen in die Kommunikation und die Abstimmungsprozesse mit ein, die es am Ende betrifft. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)