Josefine Paul: „Wenn das schon der Mittelpunkt ist, frage ich mich, wie es dann bitte in der Peripherie Ihres politischen Interesses aussieht“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zu kinder- und Jugendpolitik

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Brockmeier, das war ein Feuerwerk an Dingen, die zur Hälfte nicht gestimmt haben und zur anderen Hälfte Behauptungen waren.

Sie haben gerade gesagt, Sie hätten da einen komplett anderen Eindruck. Mein Eindruck ist: Sie sind in einer komplett anderen Realität.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Was Sie hier vorgetragen haben, ist doch eine komplette Wahrnehmungsverschiebung.

Sie haben es selber gesagt: Im SPD-Antrag sind auch Vorschläge aufgenommen, die auch der Landesjugendring gemacht hat. – Ich bilde mir ein, dass beim Landesjugendring Ihre Rede gerade auf nicht ganz so viel Gegenliebe gestoßen ist.

Weil Sie das, was Sie hier vorgetragen haben, bewertet haben – da und da finden Sie es gut –, bekomme ich den Eindruck, dass Sie diese Vorschläge gar nicht ernsthaft diskutieren wollen. Es geht Ihnen darum, paternalistisch über die richtigen Beteiligungsformate für Kinder und Jugendliche zu entscheiden. Das ist aber keine Beteiligung. Das, was Sie hier vorgetragen haben, war ehrlicherweise für eine Freiheitspartei schon ein bisschen merkwürdig.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Kamieth, ich habe Ihnen gut zugehört. Sie haben gesagt, dass Kinder, Jugendliche und Familien im Mittelpunkt Ihrer Politik stehen. Ganz ehrlich: Wenn das schon der Mittelpunkt ist, frage ich mich, wie es dann bitte in der Peripherie Ihres politischen Interesses aussieht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Kommen wir noch einmal auf das zurück, worum es eigentlich in dieser Debatte gehen sollte. Es sind allerlei Nebelkerzen geworfen worden. Es wurde sich auch wieder ausgiebig selbst gelobt. Nur über das Thema wurde relativ wenig geredet.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Aber wir müssen tatsächlich zu dieser Diskussion zurückkommen, finde ich; denn wir haben doch eine Verantwortung dafür, dass Kinder und Jugendliche das Vertrauen in Politik nicht verlieren.

Wir haben übrigens auch eine Verantwortung, an die uns Kinder und Jugendliche immer wieder erinnern – hier erwähne ich nur „Fridays for Future“ –, die sehr lautstark einfordern, dass Politik verantwortlich handelt. Das tun sie auch mit höchstrichterlicher Unterstützung; denn auch das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Wir haben eine Verantwortung für künftige Generationen. – Dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden.

Dementsprechend geht es in dieser Debatte auch darum, wie wir Kinder und Jugendliche besser mit in diese Diskussionen und in diese politischen Prozesse einbeziehen können.

Sie haben sich gerade wieder ausgiebig dafür gelobt, wie großartig Ihre Pandemiepolitik gewesen ist. Da muss man doch auch einmal sagen: Kinder und Jugendliche – dafür ist ihnen auch vielfach gedankt worden – haben sich in dieser Krise sehr solidarisch gezeigt. Sie haben große, vielleicht sogar die größten, Einschränkungen hingenommen. Ergangen ist es ihnen allerdings wie denjenigen, denen wir Beifall geklatscht haben, weil sie systemrelevante Berufe haben. Außer Beifall und warmen Worten war von dieser Landesregierung insbesondere für Kinder, Jugendliche und Familien nichts zu erwarten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das gehört doch ebenfalls zur Bilanz dieser Landesregierung, auch wenn Sie sich dafür weiterhin großflächig loben würden. Vielleicht macht das ja auch sonst keiner. Dementsprechend müssen Sie das hier so ausführlich tun. Das sei Ihnen dann ja auch gegönnt.

Meines Erachtens ist es Aufgabe von Politikerinnen und Politikern, insbesondere von denjenigen unter uns, die sich für Kinder- und Jugendpolitik engagieren, dass wir ernsthaft darüber diskutieren und ernsthaft nach Beteiligungsformaten für Kinder und Jugendliche gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen suchen und diese gemeinsam mit ihnen entwickeln.

Das ist nicht nur ein Almosen. Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf. Sie haben nach Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention ein Recht darauf, wahrgenommen, angehört und beteiligt zu werden. Dem wollen wir doch auch Rechnung tragen – zum einen, weil es ihr Recht ist, zum anderen aber auch, weil sie Expertinnen und Experten in eigener Sache sind. Diesen Schatz sollten wir an der Stelle heben und darauf auch zurückgreifen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Demokratie lernt man ja nicht nur aus Büchern. Dementsprechend ist es wichtig, dass wir junge Menschen mit einbeziehen, damit sie demokratische Prozesse erlernen können, damit sie auch eine Selbstwirksamkeitserfahrung mit demokratischen Prozessen haben und damit wir auch eine Verbesserung unserer Demokratie insgesamt erreichen. Mehr Beteiligung bedeutet auch mehr Demokratie, mehr demokratisches Fundament.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ja, wir haben gerade schon über den Antrag der regierungstragenden Fraktionen zum Landesjugendparlament gesprochen. Auch darauf sind Sie ja wieder sehr stolz. Herr Kollege Maelzer hat schon darauf hingewiesen, dass der Landesjugendring von diesem Vorstoß, gelinde gesagt, irritiert gewesen ist. Wie kann man denn auf das schmale Brett kommen, ein Landesjugendparlament initiieren zu wollen und das weder mit Jugendlichen noch mit den Jugendverbänden zu besprechen? Wie kann man darauf kommen, dass das dann eine gute Idee ist, wenn es um Jugendbeteiligung geht?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

– Herr Hafke, Sie können sich auch weiter darüber aufregen. Aber aufgeregt hat sich vor allem auch der Landesjugendring, und zwar darüber, dass er in dieser Art und Weise überfahren wurde.

Sie haben gerade erwähnt, dass Sie damit ein Versprechen einlösen, Herr Kamieth. Ehrlicherweise wollte außer Ihnen noch nie jemand dieses Landesjugendparlament wirklich haben. Sie lösen mit diesem Format ein Versprechen an sich selbst ein, aber doch nicht an die Kinder und Jugendlichen. Daher droht es, eine Scheinbeteiligung zu werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, auch die Frage des Wahlalters 16 ist gerade schon diskutiert worden. Die FDP hat sich wieder auf die Schenkel geklopft. Ich weiß gar nicht, warum; ich weiß gar nicht, woher Ihre Heiterkeit bei diesem Thema rührt. Ich finde es ein bisschen peinlich, dass Sie es nicht geschafft haben, obwohl es Ihre Beschlusslage ist, sich tatsächlich mit uns auf ein Wahlalter 16 zu verständigen. Wie man dabei noch im Brustton der Überzeugung sagen kann, dass man auf dem richtigen Wege sei, müssen Sie mir auch erst einmal erklären.

Aber wir bleiben dabei: Wir brauchen das Wahlalter 16 auf Bundesebene und auf Landesebene. Denn nicht zuletzt diese Pandemie hat gezeigt: Kinder und Jugendliche haben eine Stimme verdient, und die Politik braucht ihre Stimme.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die Pandemie hat auch gezeigt, dass Politik und Regierungshandeln unmittelbar Auswirkungen haben. Sie haben unterschiedliche Auswirkungen auf unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und damit natürlich auch auf Kinder und Jugendliche. Dementsprechend ist es doch nur sinnvoll, wie es der Landesjugendring im Übrigen auch schon seit Jahren fordert, Gesetzesvorhaben, Maßnahmen der Landesregierung etc. einem Kinder-und-Jugend-Check zu unterziehen, um genau das im Rahmen einer Gesetzesfolgenabschätzung bereits vorher mit in Rechnung zu stellen.

Genau dies fordert der Landesjugendring ein. Das ist auch im Antrag der SPD aufgenommen. Aber nichtsdestotrotz sind das doch die Dinge, über die wir tatsächlich diskutieren müssen.

Das gilt auch für die Frage, wie wir beispielsweise in den Kommunen Jugendbeteiligung verbindlicher gestalten können. Wir müssen in der Gemeindeordnung dazu kommen, dass die Jugendbeteiligung, die dort schon verankert ist, noch verbindlicher ausgestaltet und weiter gestärkt wird; denn vor Ort ist es doch, wo Kinder und Jugendliche ihre Lebenswelt mitgestalten und mitgestalten wollen. Daher wäre das ein sehr konkreter Beitrag, die Jugendbeteiligung vor Ort zu stärken.

Am Ende ist es meiner Meinung nach wichtig, dass wir wieder an einen Tisch zurückkommen. Herr Kollege Brockmeier, ich habe durchaus den Eindruck, dass es in erster Linie die regierungstragendenden Fraktionen gewesen sind, die immer mit dem gleichen Vorschlag gekommen sind. Sie haben immer gesagt, dass Sie ein Landesjugendparlament wollen. Wir haben immer wieder Fragen gestellt, wie Sie diese und jene Dinge umsetzen wollen. Sie haben diese Fragen nie beantwortet. Sie haben sie bis heute nicht beantwortet. Deshalb hat jetzt der Präsident das Landesjugendparlament sozusagen am Hals und kann für Sie das Konzept entwickeln, weil Sie keine Antworten gefunden haben. Das waren Teile der Gespräche. Ich finde das sehr schade.

Der Landesjugendring ist dann auf uns als Fraktion zugegangen und hat uns gefragt, ob wir nicht gemeinsam darüber sprechen wollen. Wir sollten noch einmal alle an einen Tisch holen, um über eine Landesjugendstrategie zu reden. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist. Wir können über Jugendbeteiligung nur mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam sprechen. Wir brauchen eine ganzheitliche Strategie.

Wir brauchen aber nicht nur die Diskussion und vielleicht auch den Streit unter uns, sondern vor allem auch den Dialog mit den Jugendverbänden und mit den Kindern und Jugendlichen. Das wäre ein sinnvoller Weg. Das Landesjugendparlament ist da, glaube ich, eher der Holzweg.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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