Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit den heutigen abschließenden Beratungen vergibt der Landtag, vergibt Schwarz-Gelb, wie aus den Wortbeiträgen der Kolleginnen von CDU und FDP schon herauszuhören war, die gemeinsame Chance, für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Politik zu sorgen. Den Optimismus von Frau Freimuth teile ich nicht.
(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE] und Regina Kopp-Herr [SPD])
100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts und nach 70 Jahren Grundgesetz zeigt sich doch, dass sich Gleichberechtigung eben nicht von selbst ergibt; das wussten schon die Mütter des Grundgesetzes.
(Beifall von Monika Düker [GRÜNE])
Deshalb haben sie Art. 3 Abs. 2 mühsam durchgesetzt. Dieser Artikel hebt insbesondere mit der Ergänzung in Satz 2 gerade nicht auf die Frage des Individuums und der Antidiskriminierung bzw. der Freiheit von Diskriminierung ab, sondern er zielt auf die Struktur und die Strukturiertheit der Gesellschaft und damit auch auf strukturelle Benachteiligung.
Wir mussten feststellen, dass es eben auch einen Unterschied zwischen formaler und materieller Gleichstellung gibt; das hat auch die Anhörung sehr deutlich gemacht. Art. 3 Abs. 2 normiert die formale Gleichstellung. Satz 2, der dazugekommen ist, ist dazu angetan, eben auch die materielle Gleichstellung tatsächlich durchzusetzen.
Frau Kollegin Freimuth, Sie haben gerade gesagt, es bewege sich etwas. Ja. Allerdings hat der Übergang von der letzten zu dieser Wahlperiode gezeigt: unglücklicherweise in die falsche Richtung. Denn der Frauenanteil in diesem Parlament ist in dieser Legislaturperiode noch einmal zurückgegangen. Er liegt in diesem Parlament bei nur rund 27 %. Das kann und darf uns nicht genug sein.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Angela Freimuth [FDP])
Um der materiellen Gleichstellung tatsächlich zur Durchsetzung zu verhelfen, wurde 1994 der Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz um Satz 2 ergänzt. Darin heißt es:
„Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Ich habe einmal gelernt, dass es bei den Grundrechten, wie sie im Grundgesetz normiert sind, immer auch um einen schonenden Ausgleich geht. Nun wurden hier wieder die unterschiedlichsten Artikel ins Feld geführt. Jedes Mal, wenn es um die Frage der materiellen Gleichstellung von Frauen geht, findet der schonende Ausgleich irgendwie nicht mehr statt. Dann ist jeder andere Artikel im Grundgesetz höher zu werten als Art. 3 Abs. 2 Satz 2. Das ist aus meiner Sicht falsch verstanden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Frau Kollegin Korte, die Verfassungsgerichtshofe haben diese Gesetzentwürfe zwar verworfen, aber sie – und auch das Bundesverfassungsgericht – haben nicht gesagt, dass Paritätsgesetze grundsätzlich nicht mit der Verfassung und Art. 3 Abs. 2 Satz 2 vereinbar wären. Das haben sie eben gerade nicht gesagt.
Dementsprechend gehen wir nach wie vor davon aus, dass Paritätsgesetze durchaus möglich sind – abgesehen davon, dass auch nur das Verfassungsgericht in Nordrhein-Westfalen über einen nordrhein-westfälischen Gesetzentwurf befinden könnte und nicht das Thüringer oder das Brandenburger Verfassungsgericht.
Es geht hier um die Frage von Durchsetzung, wie in Satz 2 beschrieben, und es geht um die Beseitigung bestehender struktureller Nachteile. Dafür braucht es gesetzliche Rahmenbedingungen. Das Grundgesetz gibt dem Gesetzgeber auch die Möglichkeit dazu. Auch das ist in der Anhörung noch einmal dargelegt worden.
Frieda Nadig hat einmal festgestellt:
„Im Parlamentarischen Rat ist die deutsche Frau zahlenmäßig viel zu gering vertreten. Das Grundgesetz muss aber den Willen der Staatsbürger, die überwiegend Frauen sind, widerspiegeln.“
Ich glaube, aus diesem Grund hat sich der Verfassungsgesetzgeber 1994 dazu entschieden, diesem Anspruch wenigstens durch die Einfügung des Satzes 2 Rechnung zu tragen.
Es ist nun unsere Aufgabe, diesen Anspruch, der im Grundgesetz normiert ist, in die materielle Realität dieses Parlamentes zu tragen und hier umzusetzen. Dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Sie jetzt noch die Chance.
Ehrlicherweise muss man sagen, dass ich andere Vorschläge zu dem Thema auch nicht gehört habe. Frau Kollegin Freimuth, wenn Sie anführen, dass in diesem Gesetzentwurf nur die Listen, nicht aber die Wahlkreise berücksichtigt sind, dann wäre doch die logische Konsequenz gewesen, dass Ihre Fraktion einen Änderungsantrag zu unserem Gesetzentwurf stellt, der eine Lösung für die Wahlkreise mit aufruft.
Denn ich habe es jetzt so verstanden, dass dies am Ende eines Ihrer Hauptargumente gewesen ist. Das hätten wir doch gemeinsam sehr gut ausräumen können. Dann hätten wir heute eine gute gesetzliche Regelung, die zu mehr Gleichstellung in Nordrhein-Westfalen geführt hätte. Diese Chance wird leider vertan.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Paul, da Sie selten Pausen machen, muss ich Sie jetzt mitten im Satz unterbrechen. Frau Kollegin Freimuth würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Josefine Paul (GRÜNE): Natürlich.
Angela Freimuth (FDP): Liebe Frau Kollegin Paul, wenn Sie mir gerade zugehört haben, werden Sie sehr wohl gemerkt haben, dass ich auch eine Abwägung der unterschiedlichen Verfassungs- und Rechtsgüter vorgenommen habe und diese ins Verhältnis gebracht habe.
Meine Frage zielt aber in folgende Richtung: Wir haben 128 Wahlkreise in Nordrhein-Westfalen, und nur 53 Mandatsträger ziehen – bei der gesetzlichen Mitgliederzahl – über Wahllisten in das Parlament ein. Allein deswegen ist der von Ihnen gewählte Ansatz ein unzureichender. Stimmen Sie mir zu?
Josefine Paul (GRÜNE): Er ist ein erster Schritt. So weit würde ich gehen.
(Beifall von Monika Düker [GRÜNE])
Den zweiten Schritt hätten wir gut gemeinsam gehen können, wenn Sie diesen von mir gerade angesprochenen Änderungsantrag eingebracht hätten.
Sie haben recht: Selbstverständlich kommt volle Gleichstellung nur dann zustande, wenn wir sowohl die Listen als auch die Wahlkreise mit in die Gesetzgebung einbeziehen. Sie wissen aber auch, wie schwierig genau diese Operation ist.
Die Umsetzung der Reißverschlussmethodik in Listen ist noch relativ simpel. Da kann ich als Grüne aus Erfahrung sprechen. Wir machen das schon sehr lange und sehr erfolgreich.
Wir haben uns auch die Mühe gemacht, innerparteilich ein sehr kompliziertes Verfahren für die Kommunalwahlen auszuarbeiten, wie wir dem Ansinnen Rechnung tragen können, dass wir natürlich auch die Wahlkreise möglichst quotiert besetzen wollen. Dieses Verfahren ist aus meiner Sicht aber nicht wirklich tauglich, um es in Gesetzesform zu gießen. Es gibt aber Vorschläge, wie man das machen kann. Das wäre die Frage nach einer möglichen Reduzierung der Wahlkreise, womit Tandemlösungen für Wahlkreise einhergehen würden.
All diese Dinge hätten wir in dieser sehr langen Gesetzesberatung miteinander diskutieren können. Allein: Von Ihrer Seite und auch vonseiten der CDU sind genau diese Fragen nicht einmal gestellt worden. Sie haben auch in der Anhörung nicht die Frage gestellt, wie sich in einer gesetzlichen Lösung konkret die Wahlkreise mit einbeziehen lassen würden. Das lässt bei mir nur den Schluss zu, dass dies am Ende eine gewisse Nebelkerze ist und dass Sie diesen guten gesetzlichen Weg schlicht und ergreifend nicht mit uns gehen wollen. Das finde ich sehr schade.
(Beifall von den GRÜNEN)