Josefine Paul: „Leider liegt noch ein riesiges Dunkelfeld hinter diesen bekannten Zahlen“

Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist jetzt hoffentlich auch dem und der Letzten aufgefallen, dass heute der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen ist. Es ist wichtig, dass es diesen Tag gibt, und zwar seit mittlerweile 40 Jahren. Denn noch immer erlebt jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens eine Form von Gewalt – psychische Gewalt, physische Gewalt oder sexualisierte Gewalt.

Laut aktuellen Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik werden durchschnittlich jede Stunde 13 Frauen in Deutschland Opfer von Partnerschaftsgewalt. Alle zweieinhalb Tage wird in Deutschland eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet. Hinter diesen Zahlen stecken Menschen. Hinter den Zahlen stecken Frauen und Schicksale. Es stecken oft lange Phasen von Gewalt, Hilflosigkeit und Ohnmacht hinter diesen nackten Zahlen.

Das Erschreckende ist, dass wir uns vor Augen führen müssen, dass das Dunkelfeld noch um ein Vielfaches größer ist. Nicht zuletzt aus der Dunkelfeldstudie des Landeskriminalamts Niedersachsen wissen wir, dass die Anzeigebereitschaft gerade bei Sexualdelikten bei nur ungefähr 6 % liegt. Leider liegt also noch ein riesiges Dunkelfeld hinter diesen bekannten Zahlen.

Deswegen ist es so wichtig, dass es einen Tag wie den heutigen gibt, dass wir mit den vielen Aktionen des Anleuchtens versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen, und dass wir das Schweigen brechen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Denn klar ist auch – und das ist nicht nur an diesem Tag eine Forderung an uns alle –: Alle Frauen und Mädchen haben ein Recht auf ein Leben ohne Gewalt, und sie haben ein Recht auf Schutz und Hilfe, wenn sie doch von Gewalt betroffen sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

So schreibt es die Istanbul-Konvention auch fest, dass alle Frauen und Mädchen ein Recht auf Schutz vor Gewalt haben. Deutschland hat diese Istanbul-Konvention 2017 ratifiziert. Sie ist am 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft getreten, und damit gilt sie auch in Nordrhein-Westfalen bindend.

Es ist schon darauf hingewiesen worden – man kann es nicht oft genug betonen, und man kann nicht oft genug Danke sagen –: Nordrhein-Westfalen hat eine gewachsene und professionelle Infrastruktur der Frauenhilfe und der Hilfe bei Gewalt. Man muss insbesondere sagen: Gerade in den herausfordernden Coronazeiten haben die engagierten Frauen dort alles getan, um Frauen in Not zu unterstützen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Trotzdem stellen wir fest, dass in Nordrhein-Westfalen auch weiterhin Schutzlücken bestehen. Ja, es ist schon darauf hingewiesen worden, dass es mehr Geld im Haushalt gibt, und ich habe auch heute Morgen schon gesagt, dass das nur zu begrüßen ist. Nichtsdestotrotz dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass der Gewaltschutz in Nordrhein-Westfalen inklusiver werden muss.

Der Schutz von LSBTIQ muss besser mit den Gewalthilfestrukturen verzahnt werden. Auch Mädchen werden in der Istanbul-Konvention explizit erwähnt. Leider finden sie in der Politik der Landesregierung nicht in dem Maße Berücksichtigung, wie ich mir eine Verzahnung für einen guten Gewaltschutz vorstellen würde.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich muss leider feststellen, dass der Antrag, den die regierungstragenden Fraktionen hier vorgelegt haben, zwar gut gewählt vom Anlass ist und ich es auch gut finde, dass wir damit dieses Thema heute Abend auf der Tagesordnung haben, aber nichtsdestotrotz wird der Antrag mit seinen, na ja, mehr oder weniger Forderungspunkten doch den Herausforderungen nicht gerecht.

Wir haben in unserem Entschließungsantrag noch einmal darauf hingewiesen, dass es in diesem Jahr den Alternativbericht zum Umsetzungsstand der Istanbul-Konvention des Bündnis Istanbul-Konvention gibt. Der macht deutlich, dass es beim Gewaltschutz eben noch deutliche Nachholbedarfe gibt.

Im Übrigen wird dort auch die Bedarfsanalyse der Landesregierung Nordrhein-Westfalen explizit erwähnt, wenn es nämlich heißt, dass in der Erhebungsphase die Gewaltschutzeinrichtungen für Mädchen nicht mal einbezogen worden sind. Das, finde ich, ist ein Fehler, denn es braucht eine Verzahnung von Frauen- und Mädchenhilfeinfrastruktur.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will auch noch mal fragen, Frau Ministerin: Wo ist die Bedarfsanalyse? Wer qualitativ wirklich das Frauenhilfesystem weiterentwickeln will, der muss sich doch selber ernstnehmen. Sie haben groß angekündigt, dass wir diese Bedarfsanalyse brauchen, wo ich Ihnen explizit zustimme. Aber sie anschließend einfach in der Schublade verstauben lassen? – Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es bestehen auch Schutzlücken an der Stelle, wo es um Frauen und Mädchen mit Behinderungen geht. Die sind nämlich noch einmal stärker von Gewalt betroffen oder haben noch ein höheres Risiko, Opfer von Gewalt zu werden. Auch da müssen wir gemeinsam mit der Frauenhilfeinfrastruktur dafür sorgen, dass die Hilfs- und Unterstützungsangebote noch inklusiver werden.

(Beifall von Inge Blask [SPD])

Wichtig sind bauliche Maßnahmen, aber natürlich geht es da auch um andere Unterstützungsbedarfe wie die Finanzierung von Dolmetscherleistungen etc.

Ein Punkt, der mir besonders wichtig ist, sind die Kinder. Kinder sind immer mit betroffen von häuslicher Gewalt. Sie sind immer auch Opfer, entweder weil sie selbst betroffen sind oder weil sie Zeuginnen und Zeugen sind. Dementsprechend müssen wir auch hier die Frauenhilfeinfrastruktur stärken, um Kinder, die mit häuslicher Gewalt konfrontiert wurden, auch zu unterstützen. Dazu haben wir einen eigenen Antrag vorgelegt. Dazu werden wir auch ein Fachgespräch im Ausschuss haben.

Ich kann Sie nur auffordern, Frau Ministerin. Ich weiß, dass wir das Ziel teilen. Ihre Aufschläge, die Sie jetzt zum Pakt gegen Gewalt und zu den Interventionsketten gemacht haben, reichen für diese Herausforderungen nicht aus. Nutzen Sie diesen Tag und legen Sie doch ein präziseres Konzept vor.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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