Josefine Paul: „Kinderschutz nur im Netzwerk funktioniert“

Zum Jahresbericht der Kinderschutzkommission

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich möchte mich zunächst dem Dank an die Kolleginnen und Kollegen der Kinderschutzkommission für die gute gemeinsame Arbeit und für die besondere Arbeitsatmosphäre anschließen. Diese unterscheidet sich richtigerweise ein bisschen von der in der Tagespolitik. In der Kinderschutzkommission eint uns alle, dass wir parteilich für die Rechte von Kindern und Jugendlichen sind.

Die Einsetzung im November 2019 erfolgte auf einen gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen hin und war damit ein wichtiges Signal nach der Aufdeckung der schrecklichen Fälle von Lügde, Bergisch Gladbach und im Verlauf auch von Münster. Es war ein wichtiges Signal dafür, dass wir im Landtag von Nordrhein-Westfalen die Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken wollen und es – das finde ich entscheidend – dauerhaft strukturell in der Arbeit des Landtags verankern wollen.

Es ist wichtig – und dazu stehen auch alle Fraktionen –, dass wir die Kinderschutzkommission über diese Legislaturperiode hinaus im Landtag und in unseren Strukturen verankern. Kinderrechte müssen dauerhaft eine Priorität im politischen Handeln im Landtag von Nordrhein-Westfalen, in unser aller politischem Handeln haben.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Kinderschutz ist ein breites Feld und hat viele Anknüpfungspunkte in unterschiedliche Bereichen – die Kolleginnen und Kollegen haben viele davon schon genannt. Eine zentrale Erkenntnis aus den Anhörungen und Diskussionen in der Kinderschutzkommission ist, dass Kinderschutz nur im Netzwerk funktioniert. Allerdings lautet eine weitere Erkenntnis der Anhörungen und der Diskussionen, dass wir dieses Netz enger weben müssen. Das Netz des Kinderschutzes in Nordrhein-Westfalen hat noch zu breite, zu grobe Maschen, sodass noch immer zu viele Kinder durch diese Maschen fallen.

Zum wirksamen Kinderschutz gehört eine Kultur des Hinsehens, aber auch eine Kultur des Benennens. Das gilt auch, wenn es sich um institutionelle Fälle handelt, beispielsweise in der Katholischen Kirche oder beim organisierten Sport. Auch hier gilt es, hinzusehen und dies konkret zu benennen.

Vor allem – darauf ist schon hingewiesen worden – ging es immer wieder um die Frage nach Kompetenzen und Ressourcen. In den Anhörungen ist immer wieder darauf abgehoben worden, dass Kinderschutz Kinderschutzkompetenzen brauche. – Diese müssen in Aus-, Fort- und Weiterbildungen verankert sein, und zwar überall dort, wo mit Kindern und für Kinder gearbeitet wird. Kinderschutz braucht außerdem Ressourcen, denn Kinderschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Wir brauchen wesentlich mehr Ressourcen, um den Kinderschutz auf nachhaltige und vor allem strukturell festverankerte Füße zu stellen. Das bedeutet, dass wir kommunale Netzwerkkoordinierungen brauchen. Außerdem brauchen wir neben den geschriebenen Schutzkonzepten gelebte Schutzkonzepte. Das bedeutet, dass wir uns sehr genau anschauen müssen, welche Beratungsstrukturen und welche Unterstützungsstrukturen es im Gesamtsystem braucht und wo wir das Netz noch enger weben und nachsteuern müssen.

In jeder der Anhörungen, in jedem Expert*innen- und in jedem Fachgespräch – dieses Gefühl eint uns wahrscheinlich alle – haben sich immer wieder neue Fragen, Bereiche und Komplexe aufgetan, die es dann wiederum erfordert hätten, da und dort genauer nachzuhören. Wir haben – darauf ist auch schon hingewiesen worden – diverse Bereiche identifiziert, in denen wir noch mal genauer hinschauen müssen und in denen auch die Konzepte noch erweitert werden müssen, beispielsweise im Bereich der Primärprävention. Der Kinderschutz kommt leider immer erst dann wirklich ganz nach vorne, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Wir müssen mehr auf den Bereich der Primärprävention schauen; das muss auch Teil von Schutzkonzepten sein.

Die Frage nach den Täterstrategien stellen wir uns übrigens nicht nur immer wieder in der Kinderschutzkommission, sondern auch im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Kindesmissbrauch. Es geht darum, wie wir Täterstrategien entdecken und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schulen können, Täterstrategien, aber auch manipulatives Verhalten zu entdecken, zu dekodieren und aufzudecken.

Es wurde schon darauf hingewiesen, dass der ganze Bereich der Peer-Gewalt noch viel zu sehr im Dunkelfeld liegt. Wir brauchen eine Aufhellung des Dunkelfelds. Damit einhergehend müssen wir überlegen, welche Konzepte im Bereich der Prävention Peer-Konzepte sein könnten.

Abschließend möchte ich betonen, dass wir die Perspektive der Betroffenen immer zentral mit in unsere Betrachtungen einbeziehen müssen. Wir haben immer wieder Hinweise des Betroffenenrats beim Bundesbeauftragten bekommen, die uns sehr wichtig waren und uns sehr weitergeholfen haben. Wir müssen aus den Berichten von Betroffenen Folgendes lernen: Opfer von sexualisierter Gewalt brauchen lange, bis sie Aufmerksamkeit und Hilfe bekommen. Sie müssen lange um diese Aufmerksamkeit und diese Hilfe ringen – viel zu lange.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Das muss ein mahnender Hinweis für uns sein, diese Strukturen verbessern zu müssen –

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

im Sinne eines nachhaltigen Kinderschutzes für alle Kinder und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Mehr zum Thema

Kinder & Familie