Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist ein trauriger Tag für Frauenrechte und Gewaltschutz. Denn mit dem heutigen Tag wird der Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention wirksam. Für uns steht heute und an jedem Tag fest, dass Frauenrechte Menschenrechte sind, dass diese Rechte nicht verhandelbar sind und wir solidarisch an der Seite der Frauen in der Türkei stehen.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Wir sind in Nordrhein-Westfalen aber auch gefordert, wenn es um die konsequente Umsetzung von Gewaltschutz geht, wenn es darum geht, Gewaltschutz umfassend für alle Gruppen, die in Frauenhäusern Zuflucht finden, zu gewährleisten und die Istanbul-Konvention auch hier umfassend und konsequent umzusetzen.
Das schließt eine besondere Aufmerksamkeit auf Kinder ein. Auch sie haben besondere und spezifische Unterstützungsbedarfe. Denn mittlerweile muss man sagen, dass mehr Kinder als Frauen tatsächlich Zuflucht in Frauenhäusern finden, weil sie eben auch von Gewalt mit betroffen sind, weil sie ihre Mütter dann in die Frauenhäuser begleiten und damit eine große und eine eigenständige Gruppe, die in den Blick genommen werden muss, darstellen.
Das sieht im Übrigen auch die Istanbul-Konvention so vor. In Art. 26 wird dargestellt, dass auch Kinder eigene Unterstützungsangebote brauchen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt das Deutsche Institut für Menschenrechte, hier auch eine besondere Priorität zu setzen. Es gibt eine breite Studie vom Deutschen Institut für Menschenrechte zum Umsetzungsstand der Istanbul-Konvention in Deutschland, wo noch einmal sehr deutlich gemacht wird, dass wir Kinder mehr in den Blick nehmen müssen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Denn Kinder sind auch immer Betroffene von häuslicher Gewalt, weil sie die Gewalt entweder selbst erleben, weil sie selbst Opfer von Gewalt werden oder weil sie eben Gewalt miterleben mussten. Das führt bei Kindern zu Ängsten, natürlich auch bei Jugendlichen, aber in erster Linie reden wir hier von Kindern. Die Situation von Jugendlichen im Kontext von Frauenhäusern ist eine, die wir auch in den Blick nehmen müssen, aber die ist noch deutlich komplexer.
Das führt bei Kindern zu Ängsten, es führt auch zu emotionaler Überforderung. Wenn der Ort, an dem ich eigentlich sicher sein sollte, zu einem Ort von Gewalt und Unsicherheit wird, dann führt das zu emotionaler Überforderung und zu teilweise langfristigen psychischen Belastungen.
Deshalb brauchen wir spezifische Angebote und spezifische Unterstützung für Kinder. Denn diese sind auch ein wichtiger Beitrag, um den Teufelskreis von Gewalt zu durchbrechen. Denn leider wissen wir ja, dass von Gewalt betroffene Kinder im Lebensverlauf häufig selbst Täter oder Opfer von Gewalt werden. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir müssen die Gewaltschutzeinrichtungen bei der Unterstützung von Kindern auch mehr unterstützen. Unsere Gewaltschutzeinrichtungen sind gut aufgestellt. Sie versuchen tatsächlich vieles, um Kinder zu unterstützen. Aber um wirklich eine fachlich hoch qualifizierte Unterstützung zu gewährleisten, brauchen wir mehr Ressourcen im System. Das bedeutet, wir brauchen mehr Ressourcen für diese spezielle Anforderung, räumliche Ressourcen, sodass es auch Rückzugsräume geben kann, personelle Ressourcen. Wir brauchen aber auch eigenständige qualifizierte Angebote. Das bedeutet, wir brauchen mehr Fortbildungsressourcen für traumapädagogische Angebote für die kindlichen Bewältigungsstrategien und das Wissen darum bei den Fachkräften in den Frauenhäusern.
Wir brauchen auch mehr empirische Forschung zu den Belastungen von Kindern in der Situation von häuslicher Gewalt, aber auch in der speziellen Situation in den Frauenhäusern. Darüber wissen wir zu wenig, darüber wollen wir aber mehr erfahren, damit wir die Arbeit in den Gewaltschutzeinrichtungen besser an die Bedürfnisse von Kindern anpassen können.
Wir brauchen auch eine generelle Aufnahme des Themas „Häusliche Gewalt“ und des Kinderschutzes. Das haben wir im Zusammenhang der Kinderschutzkommission im Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie, aber auch im PUA Lügde immer wieder diskutiert. Die Frage des Kinderschutzes muss strukturell verankert werden in der Ausbildung für Soziale Arbeit und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen.
Deswegen ist es dringend geboten, hier in den Dialog mit den Hochschulen zu gehen, um dieses spezielle Wissen um häusliche Gewalt und die Auswirkungen, aber eben auch Fachkenntnisse zum Thema „Kinderschutz“ in die Ausbildung einzubringen.
Wir wollen das Gewaltschutzsystem so weiterentwickeln, dass es umfassenden Schutz bietet für alle Gruppen, die in Frauenhäusern Zuflucht vor Gewalt suchen. Das bedeutet, wir brauchen eine Weiterentwicklung mit Blick auf die Bedürfnisse von Kindern, mit Blick auf ihre speziellen Erfahrungen in Gewaltbetroffenheit, damit wir Kinder hier unterstützen können, damit wir die Spirale von Gewalt durchbrechen können und damit wir den Gewaltschutz für alle erreichen und der Istanbul-Konvention Rechnung tragen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und Anja Butschkau [SPD])