Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die schrecklichen Fälle von Lügde, von Münster und von Bergisch Gladbach haben uns aufgerüttelt. Allerdings durften sie auch nicht spurlos an uns vorübergehen, sondern mussten uns politisch in die Verantwortung nehmen und uns dazu bringen, zu handeln.
Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist leider eine schreckliche gesellschaftliche Realität, vor der wir nicht die Augen verschließen dürfen. Allein im Jahr 2020 wurden in Deutschland durch die Ermittlungsbehörden 14.600 Straftaten von sexualisierter Gewalt gegen Kinder erfasst. Darüber hinaus gibt es aber auch noch andere Gewaltformen, denen Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind.
Wir alle sind uns schmerzlich bewusst, dass die Pandemie das Risiko, Gewalt zu erfahren, für Kinder und Jugendliche noch einmal erhöht hat. Die Zahlen zeigen einen Anstieg der Meldungen zu Kindeswohlgefährdungen. Während die erfassten Kindeswohlgefährdungen im Jahr 2012 noch bei rund 38.300 Fällen lagen, waren es im Jahr 2020 bereits rund 60.600 Fälle.
Das hat unterschiedliche Hintergründe. Es kann in der Überforderung von Eltern begründet sein. Ebenso kann es auf Vernachlässigung, körperliche Gewalt, psychische Gewalt oder eben auch sexualisierte Gewalt zurückzuführen sein.
Wir müssen uns bewusst machen, dass diese Zahlen eine schreckliche Sprache sprechen, und vor allem, dass hinter jeder Zahl das Schicksal eines Kindes, eine Person, das Gesicht eines Kindes steht.
Außerdem müssen wir uns bewusst machen, dass es mit dieser erhöhten Zahl zwar gelungen ist, zumindest die Schicksale dieser Kinder ins Hellfeld zu holen, dass aber – auch das ist eine schreckliche Erkenntnis aus unserer Arbeit in der Kinderschutzkommission und im PUA – das Dunkelfeld derer, deren Martyrium nicht ans Licht kommt, denen wir noch nicht helfen konnten, noch immer viel, viel zu groß ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn ein Kind oder eine jugendliche Person in irgendeiner Form gefährdet ist, muss der Staat, müssen wir als Gesellschaft insgesamt Verantwortung übernehmen. Denn Kinderschutz – darauf haben der Kollege Maelzer und die anderen Kolleg*innen bereits hingewiesen – ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Deswegen ist es wichtig, dass die Arbeit der unterschiedlichen Gremien in diesem Parlament, aber auch der Entwurf des Kinderschutzgesetzes noch einmal dazu beigetragen haben, die Sensibilisierung der Gesellschaft zu erhöhen.
Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sowie die Rechte von Kindern und Jugendlichen brauchen immer unsere besondere Aufmerksamkeit. Sie dürfen nicht nur dann in den Blickpunkt der Politik geraten, wenn diese schrecklichen Fälle ans Licht kommen.
Wir haben zur Aufklärung dieser schrecklichen Fälle den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Wir haben uns als Parlament aber auch entschlossen, mit der Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder – kurz: Kinderschutzkommission – Kinderschutz und Kinderrechte strukturell in diesem Haus zu verankern. Ich glaube, dass das eine vollkommen richtige Entscheidung war. Sehr dankbar bin ich auch dafür, dass es einen breiten Konsens gibt, über die Legislaturperioden hinweg weitertragen zu wollen, dass der Kinderschutz und die Kinderrechte in diesem Haus eine ganz starke Stimme haben.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Seit Einsetzung der Kinderschutzkommission haben wir unterschiedlichste Themenschwerpunkte verhandelt; die Kolleg*innen sind bereits darauf eingegangen. Besonders wichtig ist aber, dass wir nach all den Anhörungen auch zu gemeinsamen Handlungsempfehlungen gelangt sind, und zwar insbesondere hinsichtlich einer besseren Ausbildung oder der Möglichkeiten von Fort- und Weiterbildung für Lehrerinnen und Lehrer, für Erzieher*innen sowie für den gesamten Bereich der sozialen Arbeit und darüber hinaus für alle Bereiche, in denen man mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeitet.
Des Weiteren beinhalten die Handlungsempfehlungen eine verbindliche Implementierung verbindlicher Einarbeitungsmodelle für Berufseinsteiger*innen im Allgemeinen Sozialen Dienst, die Prüfung von Kinderschutzbedarfsplänen und nicht zuletzt die Absicherung der Schulsozialarbeit.
Außerdem stellen wir in den Mittelpunkt, dass es einer Stärkung von Beratung, Hilfe und Unterstützung braucht. Denn jedes Kind in Nordrhein-Westfalen muss eine Anlaufstelle finden, wenn es von Gewalt betroffen ist, auch jenseits eines Jugendamtes.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sehr geehrte Damen und Herren, nach zwei Jahren Kinderschutzkommission, all den Anhörungen und dem sehr intensiven Austausch können wir klar sagen, dass wir das Thema „Kinderschutz“ natürlich noch nicht vollumfänglich behandelt haben. Wir werden es auch nie vollumfänglich behandeln können. Wir haben uns aber auf einen sehr guten Weg gemacht und haben den Kinderschutz sowie die Rechte von Kindern in diesem Landtag gut verankert.
Für die nächste Legislaturperiode wünsche ich mir allerdings sehr, dass wir den Blick noch einmal weiten. Kinderschutz geht immer auch mit der Frage der Stärkung von Kinderrechten einher. Die Kinderschutzkommission zu einer Kinderrechtekommission oder einer Kommission zur Wahrung der Belange von Schutz und Rechten weiterzuentwickeln und dies noch intensiver in den Blick zu nehmen, wäre aus meiner Sicht für die nächste Legislaturperiode eine wichtige Herausforderung.
Lassen Sie mich abschließend auch noch ein Wort des Dankes finden. Ich möchte mich sehr herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen bedanken, die intensiv und immer am Ergebnis sowie vor allem an der Anwaltschaft für die Kinder und Jugendlichen orientiert gearbeitet haben. Außerdem möchte ich mich bei dem Sitzungsdokumentarischen Dienst und dem Ausschussassistenten Markus Müller bedanken.
Ganz besonders möchte ich mich aber bei der Vorsitzenden Britta Altenkamp für die immer gute, versierte, konstruktive und, ehrlich gesagt, manchmal auch ein bisschen lockere Art, mit der sie die Kinderschutzkommission immer wieder zusammengebracht hat, bedanken. Vielen lieben Dank, liebe Britta! Ich wünsche dir alles Gute. Erhalte dir dein Engagement und das gewisse Feuer für alles, was da kommt!
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Christina Schulze Föcking [CDU] – Vereinzelt Beifall von der FDP)