Josefine Paul: „Gleichstellungspolitik scheint offenbar nicht krisenfest zu sein“

Antrag der GRÜNEN im Landtag gegen ein Roll-back der Geschlechterrollen

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frauen halten den Laden am Laufen, und Männer managen die Krise. Diesen Eindruck könnte man bekommen. Manches wurde sehr früh erkennbar, zum Beispiel waren an der Coronastudie der Leopoldina 24 Männer und 2 Frauen beteiligt. Matti Bolte hat gestern bei einem anderen Tagesordnungspunkt schon darauf hingewiesen: Ja, irgendwie merkt man das.
Die Geschlechteraufteilung im Expertenrat des Ministerpräsidenten war zwar besser, trotzdem müssen wir festhalten, dass für die Bereiche „Soziales“ und „Care-Infrastruktur“, für die Interessen von Familien und Frauen etc. im Grunde nur eine einzige Expertin am Tisch saß. Das lässt nur einen Schluss zu: Parität ist kein Schönwetterprojekt. Insbesondere in Krisenzeiten muss eine paritätische Besetzung in allen Gremien gelten, damit die Hälfte der Bevölkerung eben nicht hinten herunterfällt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Was ebenfalls auffällt: Wir sprechen die ganze Zeit von Kindern und Familien und welche große Last sie in der Coronakrise tragen. Wir sprechen auch zu Recht darüber. Leider korreliert das aber nur sehr selten mit politischem Handeln; die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist nicht einmal im Corona-Kabinett vertreten.
Es gibt Gipfel für alles Mögliche – wir haben bereits ausführlich darüber gesprochen –, allerdings gibt es keinen Gipfel für die Zukunft der Familienpolitik und für die Zukunft der Care-Arbeit. Es drängt sich einem der Gedanke auf, dass neben Beifall und einmaligen Bonuszahlungen kein wirkliches Interesse besteht, den warmen Worten tatsächlich politische Taten folgen zu lassen.
Das bedeutet nichts anderes, als dass Frauen droht, die großen Verliererinnen dieser Krise zu werden; denn die durch Corona ausgelöste Wirtschaftskrise trifft die Frauen noch härter als die Männer. Das war in der Finanzkrise 2008/2009 noch anders. Da waren die Männer stärker vom Beschäftigungsrückgang betroffen. In dieser Krise zeigt sich das deutlich anders; sie trifft nämlich die Frauen stärker.
Allein, wenn man sich die Zahlen vom DIW ansieht, wird man feststellen, dass im Gastgewerbe 96 % aller Beschäftigen in Kurzarbeit sind und in dieser Branche überproportional viele Frauen arbeiten.
Noch dramatischer ist dies angesichts der Tatsache, dass gerade im Bereich der geringfügig Beschäftigten, für die es noch nicht einmal Kurzarbeitergeld gibt, viele Frauen beschäftigt sind. Es droht also eine große Arbeitslosigkeitswelle, insbesondere für Frauen. Das bedeutet, dass Konjunkturmaßnahmen, über die wir jetzt schon sehr intensiv beraten haben, einem konsequenten Geschlechtergerechtigkeits-Check unterzogen werden müssen, und dass wir endlich auch ein konsequentes Genderbudgeting brauchen, damit wir gewährleisten können, dass die notwendigen Konjunkturmaßnahmen bei Frauen ankommen. Es droht im Moment, dass dies nicht geschieht, und dem müssen wir entgegentreten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Coronakrise zeigt sehr deutlich, wie fragil die Gleichberechtigung in diesem Land ist. Der Wegfall der Betreuungsinfrastruktur hat vor allem Frauen von heute auf morgen wieder auf alte Geschlechterrollen zurückgeworfen und sie ins Private zurückgedrängt. Aktuelle Zahlen auf Basis des SOEP zeigen, dass Frauen in der aktuellen Krise noch mehr Care-Arbeit leisten, als das vorher schon der Fall war. Zwar leisten auch Männer mehr Care-Arbeit, aber ihr Anteil hat sich nur um 0,6 Stunden erhöht, während die Frauen auf das ohnehin schon bestehende Verhältnis „2/3-zu-1/3-Zeit der Care-Arbeit“ noch einmal 1,7 Stunden draufbekommen haben.
Es zeigt sich sehr deutlich, dass Frauen in der aktuellen Krise für Fürsorgearbeit zurückstecken, und das drängt sie aus dem Arbeitsmarkt, das drängt sie aus Teilhabe, und dem müssen wir entgegenwirken.
Das heißt, wir brauchen eine Betreuungsinfrastruktur, die eben auch in der Krise funktioniert und nicht darauf aus ist und wie selbstverständlich davon ausgeht: Wenn wir eine Krise haben, dann werden die Frauen zu Hause das schon unentgeltlich richten. – Das können und wollen wir so nicht akzeptieren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir brauchen auch weitere langfristige Konjunkturmaßnahmen, um eben zu vermeiden, dass Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus dem politischen Fokus geraten. Das bedeutet, dass wir Maßnahmen treffen müssen, um die Vereinbarkeit dauerhaft zu stärken, beispielsweise über eine bessere Randzeitenbetreuung, aber auch durch Entlastung, beispielsweise durch haushaltsnahe Dienstleistungen. Wir haben in unterschiedlichster Art und Weise schon darüber gesprochen, aber diese Diskussion sollte eine ganz neue Fahrt aufnehmen, weil es im Übrigen auch ein konjunktureller Beitrag wäre. Es wäre ein Beitrag zu einem geschlechterausgewogenen Konjunkturpaket, weil es weibliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigung fördert, weil es weibliche Selbstständigkeit fördert und weil es eben einen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf leistet.
Das wären wichtige Bereiche. Wir müssen uns neben dem Beifall ernsthaft darüber verständigen und unterhalten, dass Care-Berufe mehr verdient haben als Applaus. Wir brauchen eine Aufwertung der Care-Berufe, und wir müssen darüber eine Diskussion führen, die sich nicht darin erschöpft, zu sagen, dass sie den Laden am Laufen gehalten haben. Denn was wir insgesamt in dieser Krise feststellen müssen: Gleichstellungspolitik scheint offenbar nicht krisenfest zu sein und dementsprechend brauchen wir eine klare gleichstellungspolitische Strategie.
Denn Frauen und Gleichstellung sind systemrelevant. – Herzlichen Dank.