Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die SPD hat eine Große Anfrage eingereicht, die zumindest an vielen Stellen quantitativ nachholt, was wir uns eigentlich von der Landesregierung gewünscht hätten. Zielgerichtete familienpolitische Maßnahmen brauchen eine gute Datengrundlage.
Herr Kollege Hafke, ich hatte mir schon auch eine gewisse Nachvollziehbarkeit zu der Frage gewünscht, ob Sie nur glauben, dass die Landesregierung geliefert hat, oder ob man das auch auf eine Datengrundlage beziehen kann. Dazu wäre es allerdings notwendig gewesen, die Familienberichterstattung des Landes fortzuschreiben.
Die Enquetekommission „Zukunft der Familienpolitik in NRW“ hat dies in der letzten Legislaturperiode auch in ihre Handlungsempfehlungen aufgenommen und darauf hingewiesen, dass es eine kontinuierliche Familienberichterstattung, die es in vielen Kommunen gibt, auch auf Landesebene geben sollte. Aus dieser Großen Anfrage bzw. aus der Antwort auf diese Große Anfrage ist zwar allerlei Quantitatives herauszulesen, sinnvoll und wichtig wäre es aber, diese Zahlenreihen durch eine qualitative Befragung und Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Familien zu ergänzen.
Es stellt sich nämlich schon die Frage – angesichts der aktuellen Corona Lage noch einmal mehr –: Wie ist denn die Situation von Familien? Welche Bedarfe haben denn Kinder, Jugendliche und Familien in ihren unterschiedlichen Lebenslagen? Dafür wäre eine Familienberichterstattung notwendig. Dementsprechend möchte ich auch sagen: Das, was diese Landesregierung in dieser Legislaturperiode nicht geliefert hat, muss eine neue Landesregierung in der nächsten Legislaturperiode nachholen. Wir brauchen eine qualitative und quantitative Familienberichterstattung unter Mitwirkung der Expertinnen und Experten in eigener Sache.
(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])
Die Große Anfrage ist ein Ritt durch die große Bandbreite familienpolitischer Themen. Deswegen möchte ich nur drei Punkte herausgreifen.
Erster Punkt: Teilhabechancen in Nordrhein-Westfalen. Nach wie vor ist Armut das größte Zukunftsrisiko für Kinder und Jugendliche. Wenn man sich die Zahlen auch aus dieser Antwort noch einmal anschaut, wird sehr deutlich, dass diese Herausforderungen für die Politik in Nordrhein-Westfalen besonders groß sind. Die Quote der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren im SGB-II-Bezug liegt in Nordrhein-Westfalen mit 17,6 % deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Bundesweit liegt sie bei 12,9 % und ist gesunken, in Nordrhein-Westfalen bleibt sie auf einem konstanten Niveau.
Es ist gut und richtig, dass auf Bundesebene jetzt die Kindergrundsicherung kommen soll. Das ist ein zentraler Baustein. Nichtsdestotrotz ist auch das Land und sind auch die Kommunen in der Verantwortung für eine starke öffentliche und soziale Infrastruktur.
Teilhabechancen hängen in NRW aber nach wie vor stark vom Bildungsstand der Eltern ab. Die Grafik, die man dazu in der Antwort auf die Große Anfrage findet, ist auf sehr negative Weise beeindruckend. 42 % der Kinder, deren Eltern einen Hauptschulabschluss haben, besuchen selbst eine Hauptschule, und nur 6 % dieser Kinder besuchen ein Gymnasium – so viel zum Thema „Durchlässigkeit des Bildungssystems in Nordrhein-Westfalen“. Andersherum besuchen allerdings 67 % der Kinder, deren Eltern Abitur haben, ein Gymnasium.
Das heißt, Frau Ministerin Gebauer, wir brauchen einen Sozialindex, der auch wirklich seinen Namen wert ist, damit die besten Bedingungen und die beste Förderung auch bei denjenigen mit den schlechtesten Startbedingungen ankommen. Wir wollen nämlich gute Bildungschancen für alle Kinder und keine bildungspolitische Mogelpackung.
(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])
Zweiter Punkt: Gleichstellung. Familienphasen führe noch immer zu einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen. Auch allen natürlich vorhandenen Entwicklungen bei der Frauenerwerbstätigkeit zum Trotz zeigt sich, dass die Hälfte der westdeutschen Paare mit Kindern unter 16 ins Zuverdienermodell wechseln bzw. darin leben. Da muss man sagen: Es hat sich noch nicht so wahnsinnig viel getan. Auch wenn die Familienbilder sich erweitert haben und auch die Väterrolle heute durchaus anders gesehen wird, müssen wir dringend weiterhin an den Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowohl für Mütter als auch für Väter arbeiten.
Wir müssen auch in den Blick nehmen, dass Alleinerziehende mit 43,3 % mit weitem Abstand die höchste Armutsgefährdungsquote haben. 90 % von ihnen sind weiblich. Auch das muss uns besorgen und herausfordern, hier endlich etwas zu tun.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dritter und letzter Punkt: Beteiligung. Darüber haben wir in diesen Tagen schon häufig gesprochen. Ich glaube, es ist Zeit, dass die Politik diejenigen ernst nimmt, denen die Zukunft gehört. Kinder und Jugendliche sind Expertinnen und Experten in eigener Sache. Sie endlich mehr an politischen Entscheidungen zu beteiligen, stärkt nicht nur das Demokratieverständnis von Kindern und Jugendlichen, sondern damit auch unsere Demokratie. Auch die Planung familienpolitischer Maßnahmen muss nicht nur die Politik, sondern auch die Familie einbeziehen.
Abschließend möchte ich also sagen: Die Antwort auf die Große Anfrage ist zwar ein Datensteinbruch, wir brauchen aber eine ganzheitliche, also auch qualitative Grundlage. In der nächsten Legislatur brauchen wir einen Familienbericht.
(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])