Josefine Paul: „Es fehlt noch immer an einer klaren Teststrategie“

Zum Antrag der Fraktionen von SPD und GRÜNEN im Landtag zur Corona-Pandemie

Portrait Josefine Paul

Der Antrag

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach einem Jahr der Coronapandemie hätten wir uns bestimmt alle gewünscht, dass die Situation eine andere ist. Aber leider sehen wir uns aktuell stark steigenden Infektionszahlen und einem höheren Ansteckungsrisiko durch die Mutationen gegenüber. Diese Situation muss uns große Sorgen bereiten, und sie mahnt zur Vorsicht. Jetzt ist entschlossenes und schnelles Handeln gefragt. Doch leider erleben wir nach einem Jahr in der Krise vor allem ein Krisenmanagement dieser Landesregierung in der Krise.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das dynamische Infektionsgeschehen und die fehlenden Voraussetzungen zwingen zu einer Neubewertung der Lage – übrigens auch durch die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am Montag. Im letzten Beschluss gab es ja einen Vierklang, der formuliert wurde, aus Impfen, Testen, Kontaktnachvollziehbarkeit und Öffnungen. Schon vor zwei Wochen glich das ja eher dem Kinderrätsel: Was passt eigentlich in dieser Reihenfolge nicht? Denn die Voraussetzungen für Öffnungen waren doch, wenn man ganz ehrlich ist, vor zwei Wochen schon nicht gegeben: Keine Teststrategie, schleppend verlaufende Impfungen, und bei Kontaktnachvollziehbarkeit und digitalen Lösungen ist ja nach wie vor weit und breit keine einheitliche Lösung zu sehen.

Es ist gut, dass die Landesregierung vor diesem Hintergrund zu der Einsicht gelangt ist, dass die zum 22. März in Aussicht gestellten Öffnungen zunächst auch nicht kommen können.

Genau diese Neujustierung erwarten wir auch von der MPK, denn alles andere wäre in der jetzigen Situation unverantwortlich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Hamburg – das lesen wir heute – hat angesichts mehrtägiger Werte über 100 die Notbremse gezogen.

In NRW – so lesen wir heute – liegt die aktuelle Inzidenz bei 96. Ministerpräsident Laschet ist ja bislang eher als Notbremsenrelativierer aufgetreten. Vor diesem Hintergrund frage ich mich schon – und ich frage auch diese Landesregierung, den stellvertretenden Ministerpräsidenten –: Wird Nordrhein-Westfalen die Notbremse ziehen, weil absehbar die 100 erreicht werden wird? Wie setzt diese Landesregierung die Notbremse um, die sie ja selbst in der MPK mit beschlossen hat?

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn Einschränkungen aber weiterhin notwendig sind, dann bedeutet das im Umkehrschluss auch, dass die finanziellen Hilfen für Wirtschaft, Kultur, Gastronomie und Soloselbstständige auch endlich reibungslos ankommen müssen. Notwendige Einschränkungen müssen mit den notwendigen finanziellen Hilfen einhergehen. Sonst erleben wir nach der Krise durch Corona eine Krise für die Wirtschaft und vor allem auch für die Kultur und für das, was unsere Gesellschaft ausmacht. Dem muss durch konsequentes Handeln an dieser Stelle auch mit Hilfen, die auch tatsächlich endlich ankommen, entgegengewirkt werden.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Sehr geehrte Damen und Herren, zum Stichwort „Voraussetzungen“. Es fehlt noch immer an einer klaren Teststrategie, obwohl – und das ist ja gerade auch schon vom Kollegen Kutschaty erwähnt worden – der eigens vom Ministerpräsidenten Laschet einberufene Expertenrat bereits in seiner allerersten Stellungnahme im April 2020 genau diese angemahnt hat, sie als zentrales Instrument der Pandemiebekämpfung eingefordert hat. Woran liegt es, dass die Landesregierung diese Teststrategie bislang schuldig geblieben ist? Warum ist sie nach wie vor nicht flächendeckend in Nordrhein-Westfalen ausgerollt?

Andere Länder sind da längst weiter. Kollege Kutschaty hat ja gerade schon Beispiele genannt. Auch in Berlin funktioniert es sehr viel besser. Bezogen auf die Bevölkerungszahl hat Berlin 15-mal so viele Tests beschafft wie Nordrhein-Westfalen. In Nordrhein-Westfalen kommen die paar Tests, die man bestellt hat, nicht mal an, und sie sind auch völlig unzureichend.

Also: Von Teststrategie kann keine Rede sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

So fühlt man sich vor Ort auch ziemlich alleingelassen mit den Anforderungen, die immer wieder auch seitens der Landesregierung gestellt werden.

Nicht zuletzt fühlt man sich in dieser Woche auch einmal mehr in den Schulen von dieser Landesregierung alleingelassen. Denn quasi im Blindflug setzt die Schulministerin weitere Öffnungen durch, obwohl auch hier die angekündigte Teststrategie fehlt.

Ja, es ist richtig, die Prioritäten auf Kinder und Jugendliche zu legen. Das haben wir immer gefordert. Gut, dass das jetzt allgemein politischer Konsens ist. Aber diese Prioritätensetzung muss doch auch mit einem klar erkennbaren Konzept hinterlegt sein. Sonst ist das doch nicht mehr als eine Worthülse. Der so wichtige Leitgedanke der Pandemiebekämpfung verkommt doch absolut zur Floskel, wenn man die Voraussetzungen nicht schafft.

Diese Landesregierung hat diese wichtige Prüfung im Krisenmanagement offensichtlich einmal mehr nicht vorbereitet. Weitere Schulöffnungen anzukündigen, Frau Ministerin Gebauer, das bedeutet doch auch, dass man dafür Sorge tragen muss, dass die Voraussetzungen geschaffen sind. Wir erwarten doch auch von Schülerinnen und Schülern, dass sie vor der Prüfung lernen und nicht erst nach Abgabe der Hefte mit Lernen anfangen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn man also am Montag die Schulen für alle Jahrgänge wieder in wechselnder Präsenz öffnen will, Frau Ministerin, dann kann man nicht erst am Dienstag anfangen, die Tests auszuliefern.

Aus der Ankündigung, wenigstens einen Test pro Woche für Schülerinnen und Schüler zur Verfügung zu stellen – ich möchte anmerken, dass auch das nach Erkenntnis von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern viel zu wenig ist –, wurde dann einer in zwei Wochen, also noch einer bis zu den Osterferien,

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Das stimmt ja nicht!)

und von diesen wenigen angekündigten Tests sind nicht einmal mehr alle in den Schulen angekommen. Das heißt, viele Schülerinnen und Schüler werden unter Umständen gar kein Testangebot mehr in der Schule bis zu den Osterferien bekommen. Das ist keine vorausschauende Politik, und das ist nicht das Schaffen von Voraussetzungen.

(Beifall von den GRÜNEN und Carina Gödecke [SPD])

Hier rächt sich die Politik des Auf-Sicht-Fahrens dieser Landesregierung. Denn die Öffnung von Schulen setzt genau voraus, dass man vorausschauend handelt, dass man nicht auf Sicht fährt und im Nebel stochert in der Hoffnung, es werde schon irgendwie gutgehen.

Auch darauf hat Kollege Kutschaty schon hingewiesen: Erst am Freitag hat die Landesregierung die Freigabe von Mitteln zur Beschaffung von Tests im Haushalts- und Finanzausschuss beantragt.

Da könnte man sagen: Hier wiederholt sich ja quasi ein Muster. Das kennen wir von den SchulMails. Hier wird quasi freitags angekündigt, was dann montags umgesetzt werden soll.

Nur ist es in diesem Fall ja noch dramatischer. Hier wird freitags angefangen, zu planen, was logischerweise am Montag nicht funktionieren kann, weil die Tests gar nicht in den Schulen sind. Das ist kein vorausschauendes Handeln.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Diese Politik ist einfach nur fahrlässig.

In vielen Kommunen Nordrhein-Westfalens haben wir dramatische Infektionsgeschehen. Aufgrund der Mutationen sehen wir einen deutlichen Anstieg der Infektionszahlen insgesamt und leider auch gerade unter Kindern und Jugendlichen.

Vor diesem Hintergrund haben verschiedene Kommunen die Bitte an die Landesregierung gerichtet, dass sie die Schulen nicht weiter öffnen müssen.

Düren – das ist auch gerade schon erwähnt worden – hat das bereits in der Woche vor weiteren Öffnungen getan, weil in der Stadt Düren die Zahlen zu diesem Zeitpunkt bereits über 200 lagen.

Die schlechte Nachricht ist: Scheinbar findet in der Landesregierung keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem statt, was seitens der Kommunen über die Lage vor Ort an sie herangetragen wird. Dabei sind die Kommunen der zentrale Ort der Pandemiebekämpfung, und sie erleben nun zum wiederholten Male, dass sie von dieser Landesregierung im Regen stehengelassen werden.

Die Kommunen brauchen aber einen klaren Rahmen, innerhalb dessen sie schneller und flexibler reagieren und entscheiden können.

Was sie nicht brauchen, ist eine Landesregierung, die ihnen einen langen Hausaufgabenzettel aufgibt und das nur schulterzuckend zur Kenntnis nimmt.

Was sie auch nicht brauchen, Herr Minister Stamp, ist ein stellvertretender Ministerpräsident, der Sie ja auch sind, der das Ganze als Panikreaktion der Kommunen abkanzelt. Das ist doch nur ein Beleg für die Realitätsferne dieser Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Natürlich darf es in der Diskussion nicht nur um die Frage „Schulen auf oder Schulen zu“ gehen. Das wäre im Übrigen meiner Ansicht nach auch eine absolute politische Bankrotterklärung für die Forderung, dass Kinder und Jugendliche Priorität in der Pandemiebekämpfung haben. Aber es muss dann eben auch der Instrumentenkasten zur Verfügung stehen und auch genutzt werden können durch die Kommunen.

(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Wäre schön!)

Dabei ist jetzt weder die Zeit für parteipolitische Geländegewinne noch für ideologisch motivierte Kraftproben.

Was wir jetzt brauchen, ist, dass die Landesregierung alle an einen Tisch holt, um mit den Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern, den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, den Landrätinnen und Landräten gemeinsam zu einem Land-Kommunen-Gipfel zusammenzukommen. Denn das Gezerre der letzten Tage muss jetzt ein Ende haben. Es braucht die gemeinsame Anstrengung von Bund, Land und Kommunen, damit wir in der Pandemiebekämpfung weiterkommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Übrigens hätte ich da noch eine andere Anmerkung: Wir könnten vielleicht auch den Krisenstab des Landes aktivieren, um die Kommunikation zwischen Land und Kommunen an der Stelle auch noch deutlich zu verbessern.

Das ist nur ein Hinweis. Vielleicht wollen Sie den ja irgendwann auch noch mal aufgreifen.

Impfungen sind und bleiben der Weg, um das Virus einzudämmen. Deshalb war die Aussetzung der Impfungen mit AstraZeneca natürlich ein harter Rückschlag für eine ohnehin schleppend verlaufende Impfkampagne. Nachdem die Verimpfungen nun wieder aufgenommen werden können, müssen die Impfungen deutlich an Fahrt gewinnen, und die ausgefallenen Termine müssen so schnell wie möglich nachgeholt werden. Das steht außer Frage. Da sind wir uns alle einig.

Allerdings erwarte ich von der Landesregierung, dass sie das dann auch konkret so umsetzt. Wir müssen wegkommen vom Ankündigen und dazu kommen, auch wirklich einzulösen, was man ankündigt.

Und es braucht jetzt auch klare Aufklärung und Information über den Wirkstoff, vor allem aber auch über die schnelle Fortsetzung der Impfungen. Es reicht nicht – ich habe es in den Informationen des MAGS noch gelesen –, einfach nur die Informationen der Bundesbehörden nach unten weiterzureichen. Die Landesregierung muss in puncto Information und Kommunikation deutlich besser werden.

Diese Pandemie verlangt uns allen viel ab. Nach einem Jahr liegen bei vielen Menschen völlig nachvollziehbarerweise die Nerven schlicht und ergreifend blank. Diese Krise hat aber auch gezeigt – und sie zeigt es immer noch –, wie viel in dieser Gesellschaft steckt. Da sind zum Beispiel die Nachbarn, die für ältere Menschen oder für Menschen in Quarantäne einkaufen gehen, und viele andere Beispiele der Gemeinschaftlichkeit und Solidarität in dieser Gesellschaft. Das ist Ausdruck einer großen Solidarität, und diese Solidarität ist Ausdruck unserer Hoffnung, dass wir gemeinsam besser durch diese Krise kommen.

Vor allem brauchen jetzt die Kinder und Jugendlichen unsere gemeinschaftliche Solidarität, damit wir einlösen können, dass wir nicht als allererstes Schulen und Kitas schließen, sondern sie so lange es geht offenhalten. Denn Kinder brauchen andere Kinder, und Jugendliche brauchen Zukunftschancen. Das gilt selbstverständlich auch in der Pandemie.

Solidarität mit Kindern und Jugendlichen muss aber auch bedeuten, dass vor allem wir Erwachsene einen Beitrag leisten. Unser Beitrag zur Reduktion von Kontakten und Mobilität muss ein sehr ernsthafter Beitrag sein. Es muss Homeoffice für Erwachsene gelten, nicht Homeschooling für Kinder und Jugendliche. Die sollen nicht zu Hause bleiben, sondern wir müssen zu Hause bleiben, wo es tatsächlich gut möglich ist.

In der Debatte passt doch auch nicht zusammen, wenn wir einerseits wieder abwägen müssen, ob Kinder und Jugendliche in Schule und Kita gehen können, um die Verbreitung des Virus einzudämmen, gleichzeitig aber über Mallorca-Reisen diskutieren.

Leider müssen wir feststellen, dass wir mitten in der dritten Welle sind. Anstatt alles zu tun, um diese wenigstens einzudämmen, gewinnt man doch bei dieser Landesregierung einmal mehr den Eindruck, dass hier weiterhin auf Sicht gefahren werden soll – ohne jegliche ernsthafte Anstrengung, den Nebel zu lichten.

Mangelnde Vorbereitung, fehlende Kooperation mit den Kommunen und immer wieder der Versuch, Verantwortung – eigene Verantwortung – an andere Ebenen abzuschieben: Das ist leider nicht die richtige Linie in der Krisenbewältigung.

Für dieses Organisations- und Kommunikationsdesaster trägt nicht zuletzt auch der Ministerpräsident die Verantwortung. Wenn am Montag die MPK stattfindet, erwarten wir, dass es endlich um eine erkennbare Linie in der Pandemiebekämpfung geht – eine Linie, die auch die Menschen draußen verstehen.

Frau Woopen hat am Mittwoch im AGS noch angemahnt, dass es nicht einmal eine einheitliche Homepage gibt, auf der man nachvollziehen könnte, wo in Deutschland eigentlich welche Regelungen gelten. Es braucht endlich eine nachvollziehbare und verlässliche Linie in der Pandemiebekämpfung, und es muss endlich aufhören, dass sich alles immer nur in Ankündigungen und markigen Worten verliert. Das wäre ein wichtiger Beitrag, damit wir gemeinsam durch diese Krise kommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

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