Josefine Paul: „Diese Praxis dient allein der sexuellen und körperlichen Unterdrückung von Frauen und Mädchen“

Antrag von SPD, GRÜNEN und Piraten gegen Genitalverstümmelung

Portrait Josefine Paul

###NEWS_VIDEO_1###
Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weibliche Genitalverstümmelung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung. Diese archaische Praxis ist leider bei weitem kein Relikt vergangener Zeiten. Laut Expertinnen und Experten leben weltweit mehr als 150 Millionen Frauen und Mädchen mit verstümmelten Genitalien. Frau Kollegin Kopp-Herr hat es gerade angesprochen. Sie hat auch angesprochen, was man als Beschneidung versteht, nämlich die Praxis, bei der die Genitalien von Frauen und Mädchen teilweise oder vollständig entfernt werden – und das mit erheblichen gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen.
Für viele Frauen und Mädchen bedeutet die Verstümmelung ein lebenslanges Trauma. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl lebenslanger körperlicher Beeinträchtigungen. Diese reichen von Unfruchtbarkeit, Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt, eine eingeschränkte Sexualität, starke Schmerzen beim Wasserlassen oder der Monatsblutung, um nur ein paar Beispiele zu nennen, leider bis hin zu in nicht seltenen Fällen auch dem Tod. Um das ganz deutlich zu sagen: Es gibt für diese Praxis keinerlei medizinische Begründung.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Sie dient allein der sexuellen und körperlichen Unterdrückung von Frauen und Mädchen. Die meisten Mädchen werden im Alter zwischen vier bis 14 Jahren Opfer dieser Praxis, allerdings leider auch schon deutlich früher. Mädchen werden durch diese Verstümmelung gezeichnet für ihr gesamtes Leben.
Allerdings ist auch festzuhalten: Weibliche Genitalverstümmelung ist kein alleiniges Problem des geografischen Südens. Terre des Femmes weist darauf hin, dass auch in Deutschland mindestens 60.000 Frauen und Mädchen aus sogenannten Prävalenzländern leben, in denen diese Menschenrechtsverletzung nach wie vor praktiziert wird. Es ist davon auszugehen, dass Familien aus diesen Ländern auch in Deutschland an dieser kulturellen und traditionellen Praxis festhalten und ihre Töchter beschneiden lassen wollen oder aber – und das finde ich besonders erschreckend – dass Angehörige auch gegen den Willen der Eltern die Kinder beschneiden lassen wollen, beispielsweise wenn sie die Ferien in den Herkunftsländern ihrer Familien verbringen. Weibliche Genitalverstümmelung – das wird daraus deutlich – ist auch ein Thema in Deutschland und es ist ein Thema in Nordrhein-Westfalen.
Waris Dirie hat durch ihre Autobiographie „Wüstenblume“ das Thema „weibliche Genitalverstümmelung“ vor knapp 20 Jahren einer breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht. Viele Menschen waren damals schockiert von der Geschichte eines Mädchens, die als Fünfjährige beschnitten wurde und mit 13 Jahren vor der Verheiratung mit einem sehr viel älteren Mann floh. Viele Jahre später nutzte sie ihre Bekanntheit als Modell – sie hat eine Modellkarriere gestartet –, um von ihren Erfahrungen stellvertretend für die Millionen Opfer zu berichten und ein Ende dieser Qual einzufordern. Darüber hinaus ist sie UN-Sonderbotschafterin im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung geworden.
Seinerzeit war das mediale Echo groß. Doch heute müssen wir leider feststellen, dass das Thema weitgehend aus den öffentlichen und politischen Debatten verschwunden ist. Tabuisierung bis hin zu öffentlicher Ignoranz des Themas führt aber dazu, dass weiterhin Mädchen und Frauen verstümmelt werden und mit den teils schwerwiegenden Folgen nicht nur leben müssen, sondern auch weitgehend damit alleingelassen werden.
Um dem entgegenzuwirken – Frau Kollegin Kopp-Herr hat es bereits erwähnt –, hat sich 2007 der Runde Tisch NRW gegen die Beschneidung von Mädchen gegründet. Er bringt Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Ministerien, Behörden, Berufsverbänden, Menschenrechtsorganisationen und Beratungsstellen zusammen. Zentrales Anliegen des Runden Tisches ist es, zu informieren, zu sensibilisieren, aber auch politische Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Diese wichtige Arbeit des Runden Tisches greifen wir mit unserem Antrag auf und auch die uns unlängst zugegangenen Handlungsempfehlungen, die der Runde Tisch erarbeitet hat.
Für die im Landtag vertretenen Parteien steht einhellig fest … Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, zu diesem Thema einen breiten Konsens herzustellen. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingen wird – der Antrag wird überwiesen –, einen gemeinsamen Antrag aller hier vertretenen Fraktionen hinzubekommen. Für die im Landtag vertretenen Parteien steht einhellig fest: Weibliche Genitalverstümmelung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung.
Wir wollen die wichtige Arbeit des Runden Tisches NRW und der Beratungsstelle stop-mutilation weiterhin unterstützen. Nicht zuletzt stellt Genitalverstümmelung einen Sorgerechtsmissbrauch und eine Form der Kindeswohlgefährdung nach § 8a SGB VIII dar.
Wir wollen aber auch insbesondere dazu beitragen, das Thema öffentlich zu enttabuisieren und Fachkräfte in Polizei, Justiz, im Gesundheitsbereich, den sozialen Diensten und im Bildungsbereich zu sensibilisieren. Über entsprechende Handlungsleitfäden wollen wir die Aufklärung und Sensibilisierung unterstützen, aber auch konkrete Hilfen und rechtliche Handlungsmöglichkeiten im Einzelfall unterstützen. Wir wollen Frauen und Mädchen, die von Genitalverstümmelung betroffen oder bedroht sind, unterstützen und möglichst auch schützen. Wir wollen gemeinsam hinschauen und das Thema wieder ins öffentliche Bewusstsein rücken.
Zum Abschluss möchte ich mich noch einmal ganz besonders bei den engagierten Mitgliedern des Runden Tisches NRW und den Initiativen für ihre unermüdliche Arbeit in diesem Bereich bedanken.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN) 

Mehr zum Thema

Frauen, Gesundheit, Integration