Josefine Paul: „Diese Landesregierung präsentiert sich als Bremsklotz und Verhinderer einer verantwortungsvollen Krisenpolitik“

Unterrichtung der Landesregierung zu den Ergebnisse der Länderchef*innen mit der Bundeskanzlerin am 13.12.20

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es fällt mir jetzt gerade ein bisschen schwer, tatsächlich zur Sachlichkeit zurückzukehren. Denn ich frage mich schon: Wie groß muss die Panik in dieser Koalition sein, wenn das einen derart wütenden und unsachlichen Auftritt des CDU-Fraktionsvorsitzenden hervorruft?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Löttgen, halten Sie das, was Sie hier gerade vorgetragen haben, ernsthaft für die richtige Botschaft in dieser Situation an die Menschen in diesem Land?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ist das Ihre Antwort auf die schwierigen Herausforderungen, vor denen die Menschen in diesem Land gerade stehen? Denn wir schauen in diesen Tagen auf ein Jahr zurück, das uns alle herausgefordert und verändert hat – nun zum Jahresende noch einmal in ganz besonderem Maße.

Die Lage ist weiterhin dramatisch. Fast täglich müssen wir von neuen Höchstwerten lesen, von höchsten Zahlen an Neuinfektionen, aber auch Höchstständen bei Todesopfern dieser Pandemie. Und seit Wochen und Monaten arbeitet unser Gesundheitssystem am Anschlag. Da sind die physischen Belastungen, aber da sind eben auch die psychischen Belastungen, die Spuren hinterlassen im täglichen Ringen um Menschenleben.

Diese Pandemie fordert uns allen viel ab, auch wenn die Krise nicht alle gleich trifft. Das gilt insbesondere für die Kontaktbeschränkungen. Man möchte fast sagen, an dieser Stelle würde man sich vielleicht auch die eine oder andere Kontaktbeschränkung hier im Hause wünschen. Die Kontaktbeschränkungen treffen viele Menschen hart.

Diese Krise – und das müssen wir uns vor Augen führen – ist auch eine Krise der Einsamkeit. Der notwendige Verzicht auf körperliche Nähe darf nicht zu einer sozialen Distanz führen. Physical Distancing darf nicht Social Distancing bedeuten.

Sich jetzt wieder ins Private zurückzuziehen, birgt Risiken und Gefahren für Menschen mit psychischen Erkrankungen beispielsweise, aber auch für diejenigen, für die das eigene Zuhause kein sicherer Ort ist und für die Weihnachten nicht die schönste Zeit des Jahres ist. Gerade jetzt ist es wichtig, die Einrichtungen des Gewalt- und des Kinderschutzes in der kompletten Zeit des Shutdowns offen zu halten, die Erreichbarkeit sicherzustellen. Dort, wo zusätzliche Kapazitäten und zusätzliche Angebote nötig werden sollten, muss diese Landesregierung kurzfristig auch Mittel zur Verfügung stellen.

Schutzräume für Kinder und Jugendliche müssen unter Wahrung des Infektionsschutzes ermöglicht werden. Es ist wichtig, dass wir, wie wir das auch im Frühjahr bereits hatten, Notfallnummern und Hilfsangebote wieder dort aushängen und darüber informieren, wo sich Menschen jetzt noch jenseits der eigenen vier Wände aufhalten können.

Natürlich sind Kontaktbeschränkungen auch über die Weihnachtsfeiertage notwendig, und sie sind richtig. Aber sie müssen an die Lebensrealität der Menschen angepasst sein. Kontakte zu Weihnachten auf den engsten Familienkreis und Verwandte in gerader Linie zu beschränken, berücksichtigt diese aber nicht. – Ich bitte Sie, Herr Ministerpräsident: Überdenken Sie das noch mal bei der Umsetzung und setzen Sie bei den Kontaktbeschränkungen nicht auf eine Definition von Verwandtschaftsgraden.

Niemand soll Weihnachten nicht im Kreise seiner Familie verbringen können. Aber die engsten und die wichtigsten Menschen sind nicht unbedingt die Menschen, mit denen man auch tatsächlich in gerader Linie verwandt ist. Ich bitte Sie, das noch einmal zu überdenken.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist gut und richtig, dass nun nicht länger gezögert wurde und die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin sich endlich zu diesem konsequenten Schritt durchringen konnte. Wir unterstützen diesen konsequenten Schritt.

Das ist gerade jetzt eine besondere Zumutung. Es ist aber nicht nur sozial eine besondere Zumutung, sondern es ist auch wirtschaftlich eine besondere Zumutung, weil für Gastronomie, Hotellerie, Einzelhandel, Kulturschaffende, Schaustellerinnen und Schausteller das Jahresende eigentlich Hochkonjunktur bedeutet. Der Ausfall des Weihnachtsgeschäfts ist für viele existenzbedrohend, gerade nach vielen Monaten der Unsicherheit und teils drastischen Einnahmeverlusten. Es braucht jetzt also schnell Klarheit über Hilfen. Vor allem müssen die Hilfen jetzt auch ankommen.

Novemberhilfen, die im Januar ausgezahlt werden, und Dezemberhilfen, die bis weit ins nächste Jahr auf sich warten lassen, können sich viele Unternehmen, können sich Gastronomen, Einzelhändlerinnen und Einzelhändler nicht leisten.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Denn nach dem Shutdown – und das muss auch klar sein – darf nicht die Pleitewelle kommen. Unsere Innenstädte dürfen nicht der Pandemie zum Opfer fallen. Jetzt reden wir alle darüber, wie wichtig uns die Innenstädte sind. Ja, diese Innenstädte sind vor allem auch Orte der Begegnung. Diese Orte werden wir brauchen, wenn wir irgendwann durch diese Pandemie gekommen sein werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber noch dringender als Nothilfen brauchen Unternehmen, Kulturschaffende und Gastronomen Perspektiven. Wir müssen jetzt endlich damit aufhören, uns im öffentlichen Krisenmanagement im Zwei-Wochen-Rhythmus von MPK und MPK zu hangeln. Deshalb brauchen wir einen Stufenplan, der nachvollziehbar und einheitlich aufzeigt, was wann unter welchen Bedingungen möglich ist.

Wirtschaft und Kultur brauchen das, aber auch Freizeit und Sport brauchen einen verlässlichen Rahmen, der sich an Inzidenzen orientiert und je nach Infektionsgeschehen bestimmte Aktivitäten ermöglicht, jedoch Einschränkungen bei hohen Inzidenzwerten vorsieht.

Nach fast zehn Monaten in der Pandemie brauchen wir längerfristige Perspektiven für ein Leben mit der Pandemie. Trotzdem hat diese Landesregierung, gerade was die vorausschauende Politik – ich weiß, Herr Löttgen, diese Kritik hören Sie nicht gerne –, was das vorausschauende Krisenmanagement angeht, allzu oft jede Perspektive vermissen lassen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Herr Löttgen, das will ich Ihnen auch sagen: Konstruktive Kritik der Opposition als Profilierungssucht zu diffamieren, sagt eigentlich alles über den Zustand dieser Regierungskoalition aus.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Lage angepasst und verantwortlich für dieses Land, Herr Löttgen – das geht anders.

Natürlich werden wir auch weiterhin auf die Handlungsbedarfe hinweisen. Davon werden wir uns von Ihnen nicht abbringen lassen, auch wenn Sie das nicht hören mögen. Aber Sie müssen das jetzt noch einmal hören.

Insbesondere bei der Frage von Bildung und Betreuung gefällt sich in diesem Fall vor allem der FDP-Teil der Landesregierung in Ankündigungen und Garantien. Und was die Bildungs- und Betreuungsgarantie à la FDP in der Praxis bedeuten, das dürfen Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, das dürfen aber auch Träger, Erzieherinnen und Erzieher und Eltern derzeit einmal mehr erleben.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Ja, wir sind uns natürlich einig, dass das Offenhalten von Bildungseinrichtungen so lange wie möglich Priorität hat, dass wir vor allem den Kontakt zu Kindern und Jugendlichen im Sinne des Kinderschutzes nicht verlieren dürfen. Dieser Kontakt darf nicht abreißen. Wir sind uns auch einig, dass für viele Kinder und Jugendliche ein außerhäusliches Lern- und Entwicklungsumfeld richtig ist. Ja, darüber sind wir uns im Grundsatz einig.

Aber seit Wochen betteln Schulen und Kommunen nachgerade, man möge ihnen wenigstens keine Steine in den Weg legen, um lageangepasste Konzepte umsetzen zu können. Was passiert? Diese Landesregierung präsentiert sich als Bremsklotz und Verhinderer einer verantwortungsvollen Krisenpolitik, eines verantwortungsvollen Krisenmanagements. Herr Ministerpräsident, so geht Bildungsgerechtigkeit nicht!

(Beifall von den GRÜNEN)

Noch am Mittwoch echauffiert sich die Schulministerin über die Vorschläge der Leopoldina und bezeichnet diese als völlig untauglich, um dann am Freitag endlich doch vom Ministerpräsidenten korrigiert zu werden. Man möchte allerdings sagen, ein wenig zu spät, denn der Frust in den Schulen ist groß, die Verunsicherung ist groß, und auch der Vertrauensverlust in das Handeln dieser Landesregierung ist immens.

Die dazugehörige SchulMail – wen überrascht es eigentlich noch ernsthaft – mit der Ankündigung, dass die Aufhebung der Präsenzpflicht ab Montag gilt, kam wie immer Freitag, und das nach Dienstschluss. Sie war erst dann im Posteingang der Schulleitungen.

Ihr Kommunikationschaos der letzten Wochen und Monate, Frau Ministerin, setzt sich leider nahtlos fort: erst das sture Beharren auf Präsenz, und jetzt fehlt es auch wieder an klaren Leitlinien.

Eltern sind verunsichert, Lehrerinnen und Lehrer sind überfordert, weil das Schulministerium jede Vorbereitung für diese Situation seit Monaten verhindert hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Für Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer wäre es gut, wenn Sie mittlerweile wenigstens klargestellt hätten, dass in dieser Woche keine Klassenarbeiten mehr geschrieben werden. Die Belastungen für junge Menschen in dieser Pandemie sind doch ohnehin schon hoch. Schaffen Sie jetzt Klarheit, und das auch über den 10. Januar hinaus. Setzen Sie Schülerinnen und Schüler nicht zusätzlichem Druck und zusätzlicher Verunsicherung aus.

Jetzt ist eingetreten, wovor Fachleute und eben nicht nur die Opposition seit Monaten warnen: Wer keinen Plan B hat, Frau Ministerin Gebauer, stürzt die Schulen ins Chaos. Das ist spätestens gestern vollumfänglich durchgeschlagen. Der stürzt die Schulen ins Chaos und alle Beteiligten in Verwirrung und Frustration.

Die vierte Ferienzeit in der Pandemie darf jetzt nicht wieder ungenutzt verstreichen. Nicht zuletzt müssen wieder Perspektiven eröffnet werden, und es muss auch Ruhe Einzug in das System halten.

Was kann unter Coronabedingungen eigentlich in diesem Schuljahr noch erbracht werden? Was muss gegebenenfalls rechtssicher angepasst werden? Diese Fragen müssen beantwortet werden. Sie können diese Fragen nicht weiter auf die lange Bank schieben, und Sie können sich auch nicht weiter vor diesen Fragen wegducken. Dieses Schuljahr ist ein Schuljahr unter Pandemiebedingungen. Außer der Schulministerin hat das in Nordrhein-Westfalen mittlerweile auch jeder verstanden.

Der Ministerpräsident muss sich fragen, ob diese Ministerin noch die richtige Besetzung für diese Aufgabe ist.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Auch Eltern brauchen Verlässlichkeit. Wie sollen die Eltern jetzt mit der Ansage von Familienminister Stamp umgehen, dass die Kitas zwar grundsätzlich offen sind, Eltern aber dringend aufgefordert werden, ihre Kinder nicht zu bringen? So wälzt man Verantwortung ab.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Das ist doch Quatsch!)

So können Sie, Herr Stamp, natürlich Ihre Bildungs- und Betreuungsgarantie aufrechterhalten, ja. Allerdings ist das eine Politik nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE] und Thomas Kutschaty [SPD])

Sie schieben die Verantwortung auf die Eltern ab. Sie schieben die Verantwortung auf die Familien ab. Die Belastungen für Familien und Kinder waren im Frühjahr schon groß, und die politische Prioritätensetzung war zum Teil falsch. Mittlerweile herrscht darüber auch ein großes Maß an Einigkeit. Daher unterstützen wir ja die von uns lange eingeforderte Verschiebung des Fokus auf Kinder, Jugendliche und Familien.

Aber jetzt wälzen Sie Ihr vollmundiges und, ehrlich gesagt, Herr Minister Stamp, völlig voreiliges Versprechen „Mit mir wird es keine Kita-Schließungen mehr geben“ auf die Eltern ab. Das tun Sie mit dieser Politik. Mit Ihrer Ansage „Ich schließe keine Kitas, aber bitte bringen Sie die Kinder nicht“

(Beifall von den GRÜNEN, Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD] und Dr. Dennis Maelzer [SPD])

wälzen Sie Ihr Versprechen einer Bildungs- und Betreuungsgarantie auf die Eltern ab.

Das ist kein Beitrag zu verlässlicher Familienpolitik. Das ist das Gegenteil von verlässlicher Familienpolitik in der Krise, und damit verunsichern Sie die Familien in diesem Land einmal mehr.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Schlimmer noch: Das hat ja auch ganz praktische Auswirkungen auf die Familien. Nach den Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes erhalten Eltern in Nordrhein-Westfalen aktuell nämlich keine Lohnersatzleistungen, wenn sie ihre Kinder zu Hause betreuen, weil die Voraussetzung dafür wäre, dass Kitas offiziell geschlossen sind. Das heißt, Eltern in diesem Land sind jetzt gleich zweimal betroffen. Sie werden von dieser Landesregierung einfach mit ihren Betreuungsproblemen alleingelassen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Bei vielen Eltern sind nicht nur die Urlaubstage oder die Kinderkrankentage am Ende, sondern ich glaube, bei vielen Eltern und vielen Familien ist auch die Geduld mit einer Politik am Ende, bei der Gesichtswahrung ganz offensichtlich über den Interessen von Kindern, Jugendlichen und Familien steht.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, zu einer ehrlichen Kommunikation gehört auch, dass es zwar Hoffnung durch den Impfstoff gibt, dass wir uns aber damit vertraut machen müssen, dass wir bis weit ins nächste Jahr mit dem Virus werden leben müssen.

Das bisherige Durchgewurschtel der Landesregierung muss aber ein Ende haben. Ihre Landesregierung, Herr Ministerpräsident, muss nach zehn Monaten endlich eine abgestimmte Krisenstrategie vorlegen. Allerdings scheint davon auch weiterhin nicht so wirklich die Spur zu sein. Lockerungen und notwendige Perspektiven müssen klar an das Infektionsgeschehen gekoppelt sein, nicht an willkürliche Daten. Wir können das auch nicht an Weihnachten und andere Hoffnungen koppeln, sondern wir müssen diese Perspektiven klar an das Infektionsgeschehen koppeln.

Sie müssen die Weihnachtsferien jetzt zur Erarbeitung eines Stufenplans nutzen, der Maßnahmen abhängig von den Werten 35, 50, 100, 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner vorsieht.

Wir brauchen auch endlich eine Hotspot-Strategie für die Städte mit Inzidenzwerten von über 200 Neuinfektionen, wie sie jetzt zum wiederholten Male von der Ministerpräsidentinnen- und ‑präsidentenkonferenz im Beschluss eingefordert wurde.

Dazu gehört auch – das sagen wir schon seit geraumer Zeit –, dass man nicht nur die Kommunen, sondern auch den kreisangehörigen Raum in den Blick nehmen muss. Denn dort ergeben sich teilweise große Diskrepanzen. Auch das muss Teil einer Hotspot-Strategie sein.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die betroffenen Kommunen brauchen jetzt endlich einen klaren Handlungsrahmen. Diese Landesregierung darf die Kommunen nicht länger im Regen stehenlassen.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Aktuell müssen wir die Lage insgesamt unter Kontrolle bringen. Da sind wir uns alle einig. Das tragen wir alle mit. Diese Landesregierung muss sich allerdings von dem „Pandemie-Pingpong“ verabschieden. Damit werden wir nicht durch die Krise kommen.

Der aktuelle Fokus muss natürlich vor allem auf den vulnerablen Gruppen in den Alten- und Pflegeeinrichtungen sowie in den Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen liegen. Wir müssen dort die vulnerablen Gruppen besser schützen. Das bedeutet, die Tests müssen in diesen Einrichtungen auch durchgeführt werden. Wir brauchen zusätzliche Schutzmaßnahmen. Masken müssen dort tatsächlich ankommen. Das gilt im Übrigen auch für den Bereich der ambulanten häuslichen Pflege.

Es muss unser oberstes Ziel und oberste Priorität sein, das Gesundheitssystem am Laufen zu halten. Wir müssen eine Überlastung verhindern. Dazu muss es eine landesseitige Steuerung im Bereich der Intensivkapazitäten geben. Sie müssen das Gesundheitssystem jetzt tatsächlich auch landesseitig stärker unterstützen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vorausschauend handeln bedeutet aber auch, sich jetzt schon den Weg aus der Krise zu überlegen. Den müssen wir jetzt miteinander gestalten.

Angesichts der drohenden Rezession braucht es gezielte öffentliche Investitionen in eine nachhaltige öffentliche Infrastruktur. Das bedeutet aber gerade nicht ein Zurück auf den Zustand vor der Krise. Denn auch vorher war nicht alles gut. Die Krise zeigt, wie viel Solidarität in dieser Gesellschaft steckt. Aber sie zeigt eben auch, wie fragil die soziale Infrastruktur in diesem Land ist. Was passiert, wenn man den öffentlichen Gesundheitsdienst fast kaputtspart und außer Applaus für die Fachkräfte in der Pflege schon vor der Krise nichts übrig hatte, das zeigt sich jetzt. Das zeigt sich in dieser akuten Krise. Wir müssen jetzt die soziale Infrastruktur krisenfest gestalten.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Nachhaltig aus der Krise zu kommen, muss auch heißen, dass am Ende nicht die Ärmsten und die Schwächsten die Zeche zahlen.

Diese Landesregierung muss endlich aus dem Notfallmodus in den Perspektivmodus umschalten. Sie dürfen sich nicht weiter ständig in Ad-hoc-Maßnahmen verheddern. Sie müssen jetzt Perspektiven aufzeigen. Sie müssen Perspektiven auch für die Zeit nach der Krise aufzeigen. Denn die Akzeptanz der Maßnahmen und die Solidarität der Bevölkerung in dieser Krise sind das größte Kapital, das wir als Gesellschaft in der aktuellen Situation haben. Aber die Politik ist in der Verantwortung, einen verlässlichen Rahmen zu liefern. Sie ist in der Verantwortung, Perspektiven zu liefern.

Wir sollten dieses Kapital, das wir in der Solidarität und im Zusammenhalt der Gesellschaft haben, nicht verspielen. Dann können wir als Gesellschaft auch gestärkt aus der Krise kommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte nur noch einmal daran erinnern, dass wir uns eigentlich in einer Unterrichtung zur aktuellen Coronalage befinden und dass diese Lage doch wohl weitaus dramatischer ist als diese komische Scharade, die hier der Fraktionsvorsitzende der CDU-Fraktion, Bodo Löttgen, aufführt.

Ich will auch noch einmal daran erinnern, dass das Ringen um die richtige Lösung in einer Krise eine demokratische Aufgabe im Sinne eines Abwägungsprozesses ist. Aber die Debatte, die hier zum Teil gerade geführt worden ist, ist ganz sicher kein Beitrag dazu, Herr Kollege Löttgen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dieser Abwägungsprozess gehört natürlich hier ins Parlament. Sie tun zwischendurch immer geradezu so, als wäre es eine Zumutung, dass das Parlament auch noch bei der Krisenbewältigung mitreden möchte.

Zu dieser Abwägung gehört auch das Üben konstruktiver Kritik. Niemand stellt doch in Abrede, dass es in einer Krise notwendig sein kann, kurzfristige Entscheidungen zu treffen, und dass es Kurskorrekturen geben muss. Aber diese notwendigen Kurskorrekturen müssen dann auch kommen. Die Dünnhäutigkeit der Landesregierung, hinter jedem konstruktiven Hinweis gleich eine Art Majestätsbeleidigung zu vermuten, hilft doch nun wirklich nicht weiter.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Natürlich muten wir alle uns in dieser Debatte einiges zu, weil dieses Parlament auch die Verantwortung hat, hart miteinander zu ringen – im Sinne der Transparenz, im Sinne des Abwägungsprozesses, aber natürlich auch, weil solche weitreichenden Entscheidungen und Eingriffe auch in Grundrechte im Parlament debattiert werden müssen.

Aber dazu gehört auch, dass es eine gewisse Akzeptanz für Rede und Gegenrede gibt. Herr Rasche, mich wundert schon, dass Ihr vornehmlichster Beitrag in dieser Debatte das Verteilen von Haltungsnoten ist. Setzen Sie sich doch einmal sachlich mit den Argumenten auseinander, und arbeiten Sie sich nicht an den Redemanuskripten der anderen ab – und dann auch noch in nicht sachlicher Art und Weise, sondern indem Sie so etwas wie Haltungsnoten verteilen.

Herr Löttgen, mit einer Diffamierung der Kritik der Opposition wird es doch auch nicht besser – auch dann nicht, wenn man sie gleich das zweite Mal vorträgt. So macht man doch das Parlament nicht zu einem starken Ort der Auseinandersetzung über notwendige Krisenpolitik, was uns eigentlich in dieser Situation alle eint und einen sollte.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf)

Herr Minister Stamp, Sie haben in Ihrem Redebeitrag gleich mehrfach Demut angesprochen. „Demut“ ist in der Tat ein großes Wort. Aber dieses große Wort eignet sich nicht, um unliebsame Kritik abzuwürgen.

(Zuruf von der CDU)

Das will ich sehr deutlich sagen.

Herr Minister Stamp, wenn man den Auftritt von Herrn Löttgen bei Twitter als hervorragende Plenarrede würdigt und anschließend von Demut redet, würde ich mich einmal fragen, ob das Vokabular an dieser Stelle weise gewählt war.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Minister Stamp, was mich, ganz ehrlich, massiv geärgert hat, war dieses Von-oben-Herab.

(Zuruf: Genau!

Sie stellen sich hierhin und kanzeln das Parlament und einzelne Abgeordnete ab. Als Minister steht Ihnen das in dieser Art und Weise nicht zu.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Nehmen Sie das Parlament ernst, und kanzeln Sie Abgeordnete nicht so ab.

Sie sind auch in der Verantwortung, tragfähige Lösungen zu finden, Herr Minister. Schieben Sie das nicht auf die Eltern ab.

Auch im Ausschuss tragen Sie immer wieder mantraartig vor: Was will die Opposition? Was sind denn Ihre Vorschläge?

(Beifall von der CDU)

Das ist doch einfach nur hilflos und zeigt, dass Sie kein Konzept haben, wie Sie den Kindern, den Jugendlichen und den Familien in diesem Land in dieser Krisensituation wirklich helfen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Da hilft es auch nicht, zu versuchen, mit Überheblichkeit mangelnde Handlungsfähigkeit zu verdecken.

Ich werde den Eindruck nicht los – diesem Eindruck konnten Sie gerade auch nicht entgegenwirken; Sie konnten ihn nicht entkräften –, die FDP mit ihrer Schulministerin an der Spitze, aber wohl auch mit dem Familienminister, der immer so beispringt, ist eine Art Klotz am Bein in dieser Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Mehr zum Thema

Die Corona-Pandemie