Josefine Paul: „Die Vereine sind doch für die Durchsetzung ihrer Hausordnung selbst verantwortlich. Das kann doch nicht die Polizei machen.“

Antrag der CDU zum Polizei-Boykott bei Fußballspielen

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bilder vom Spiel Schalke 04 gegen PAOK Saloniki sind uns allen sicherlich noch im Gedächtnis. Auch ich habe das Spiel im Fernsehen gesehen, und ich finde es sehr verständlich, dass da zunächst ein gewisser fader Beigeschmack bleibt und dass es auf den ersten Blick gegen das Gerechtigkeitsempfinden verstößt, wenn man sieht, dass die Fans im griechischen Block randalieren, den halben Block auseinandernehmen und Pyrotechnik zünden, dann aber anschließend die Polizei vor dem Schalker Fanblock aufmarschiert.
(Zuruf von den PIRATEN: Eben!)
Das entspricht auch nicht unbedingt meinem Gerechtigkeitsempfinden. Wir haben uns im Innenausschuss schon ausführlich mit dem Thema beschäftigt und uns die Hintergründe erläutern lassen. Auf die etwas wenig ergiebige Debatte um diese Fahne und die Aufschrift auf dieser Fahne möchte ich gar nicht mehr eingehen; denn wir sind uns ja, glaube ich, mittlerweile alle einig darüber, dass es gar nicht um diese Fahne ging und dass sie nicht unbedingt der Kern der Aufarbeitung sein sollte.
Was auch an dieser Stelle erwähnt werden muss, ist: Natürlich bedauern wir es, dass Unbeteiligte und Helfer des Roten Kreuzes bei diesem Einsatz zu Schaden gekommen sind. Ja, darin sind wir uns wohl auch alle einig: Der Einsatz muss aufgearbeitet werden, und der Einsatz wird aufgearbeitet. Ja, es gibt staatsanwaltliche Ermittlungen. Aber: War es denn bislang nicht bewährter Stil, dass man eben diese Auswertungen und Ergebnisse der Ermittlungen abgewartet hat, anstatt schon vorher voreilige Schlüsse zu ziehen und sich sein Urteil zu bilden?
(Lothar Hegemann [CDU]: Wie in Duisburg!)
Das gilt übrigens für alle Richtungen – man sollte weder voreilige Schlüsse ziehen zum Fanverhalten noch zum Polizeieinsatz.
(Zurufe von der CDU)
Noch eine Bemerkung in Richtung der Piraten: Selbstverständlich muss es bei der Polizei eine Fehlerkultur geben. Aber die Einsatznachbereitung ist doch keine Sache der öffentlichen Medien und keine Frage dessen, wer als Erster irgendetwas in die Kameras erzählt. Das Ganze hat doch selbstverständlich unter Beteiligung der Fans sowie aller anderen Beteiligten im Dialog stattzufinden. An dieser Stelle von einem „Maulkorb“ zu sprechen und sogar noch einen Maulkorb hierherzubringen, das hat doch eher etwas mit dem Werfen von Nebelkerzen zu tun als mit sachlicher Auseinandersetzung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Die CDU zitiert in ihrem Antrag den von mir durchaus sehr geschätzten Prof. Dr. Thomas Feltes von der Ruhr-Universität in Bochum. Er sagt laut Ihrem Antrag:
„Dadurch wird im Stadion ein rechtsfreier Raum geschaffen, der von der Politik sonst so oft als Schreckensszenario beim Fußball beklagt wurde.“
Ich schätze durchaus einen Teil dieser Anmerkungen, aber etwas anderes muss ich auch kritisieren. Denn richtig ist: Viel zu häufig wird – übrigens auch von Ihrer Partei – das Stadion, werden Fanblöcke als Schreckens- und Horrorszenarien gebrandmarkt und ist die Rede von all den chaotischen Fans und den fast schon bürgerkriegsähnlichen Zuständen.
Auf der anderen Seite muss man aber dem Kollegen Feltes entgegenhalten: Hier von rechtsfreien Räumen zu sprechen, ist überzogen. Das ist kein sachdienlicher Beitrag in dieser Debatte. Wir sind uns doch alle einig in diesem Hause – jetzt hat es schon jede Fraktion einmal gesagt; und ich bin sicher, die FDP wird es gleich auch noch einmal sagen –, dass es im Stadion keine rechtsfreien Räume geben darf. Dort gibt es auch keine rechtsfreien Räume.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
In einem sollten wir uns doch einig sein: Es muss um die Reduzierung der Einsatzzeiten der Polizei gehen. Ein Drittel der Einsatzzeiten der Polizei wird auf Einsätze im Kontext mit Fußballspielen verwendet. Im Interesse aller Beteiligten – auch der Fans, der Polizei, der Vereine und allgemein der Zuschauerinnen und Zuschauer – muss es uns doch darum gehen, dass wir diese Einsatzzeiten reduzieren.
Hierzu findet sich in Ihrem Antrag jedoch kein Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Kein Wort rekurriert auf die Verantwortung der Vereine. Und da muss man doch sagen: Ihre letzten Ihnen noch verbliebenen Innenminister waren doch dabei, als die Innenministerkonferenz folgende Punkte begrüßt hat, wie mit dieser Thematik umzugehen sei: Verstärkung des Fandialogs, Entwicklung eines zertifizierten Konzepts für das Sicherheitsmanagement der Vereine. Darum geht es doch. Die Vereine – darauf hat der Innenminister zu Recht hingewiesen – sind doch für die Durchsetzung ihrer Hausordnung selbst verantwortlich. Das kann doch nicht die Polizei machen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dafür braucht es eine anständige Zertifizierung. Das ist der richtige Weg.
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage – Sie sprechen so schnell, so dass ich kaum dazu komme, nach der Zulassung von Zwischenfragen zu fragen – des Kollegen Düngel?
Josefine Paul (GRÜNE): Ja, sehr gern.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das belebt das parlamentarische Geschehen.
(Heiterkeit)
Bitte schön. Herr Kollege Düngel.
Daniel Düngel (PIRATEN): Ob das zur Belebung beiträgt, weiß ich nicht. Frau Paul ist gerade so in Rage. Ich wollte Ihnen Gelegenheit geben, ein Glas Wasser zu trinken.
(Josefine Paul [GRÜNE]: Danke, Herr Kollege)
Nein, vielmehr möchte ich Sie fragen, ob Sie das mit dem Drittel der Einsatzzeiten der Polizei klarstellen könnten. Sprechen wir da von der Polizei oder von Polizeihundertschaften?
Josefine Paul (GRÜNE): Wir sprechen in erster Linie von Polizeihundertschaften. Natürlich sprechen wir in diesem Zusammenhang nicht nur davon, dass die alle im Stadion eingesetzt werden, sondern ein Großteil der Polizeieinsatzzeiten – das ist auch richtig – findet auf den An- und Abreisewegen statt, also im öffentlichen Raum. Wir müssen da ganz genau hinschauen. Diese Unterscheidung ist wichtig. Darauf müssen wir uns verständigen können. Für die Sicherheit im Stadion ist in erster Linie der Verein zuständig. Dafür brauchen wir vernünftige, zertifizierte Sicherheitsdienste. Das steht in der Verantwortung der Vereine.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich die Zuständigkeit und Verantwortung der Polizei, und zwar in erster Linie im öffentlichen Raum, aber zur Gefahrenabwehr natürlich auch weiterhin im Stadion – daran hat der Minister nie einen Zweifel gelassen – und zur Strafverfolgung auch im Stadion. Dazu gehört – das haben Ihre Innenminister begrüßt – die Installation aktueller Videotechnik. Nun kann man zur Videotechnik stehen wie man will – das lassen wir einmal im Raum stehen –, aber das wichtige daran ist, dass diese Videotechnologie insbesondere der Strafverfolgung im Nachhinein dient. Wir müssen uns überlegen, ob wir möchten, dass die Polizei wieder wie beim Spiel Schalke gegen Saloniki vor dem Fanblock aufmarschiert und sie gleich zur Strafverfolgung wegen einer Fahne hineinmarschiert, oder ob wir über die Videoüberwachung anschließend die Strafverfolgung mit weniger großen Auseinandersetzungen ermöglichen wollen. Darum muss es doch gehen.
Ziel muss es sein – darin sollten wir uns doch einig sein –, dass wir gemeinsam mit allen Beteiligten, also Politik, Polizei, Fans, Vereine, Verbände usw., Wege finden, um die diese Aufteilung zwischen Polizei und Verein, aber auch die Stärkung der Eigenverantwortung der Fans durchzusetzen. Deshalb ist die Debatte, die wir hier führen, richtig. Nicht richtig ist aber der Populismus, der in dem einen oder anderen Teil der Anträge durchscheint. Das ist kein Beitrag zu einer sachdienlichen Debatte. Dahin sollten wir aber zurückkehren.
(Beifall von den GRÜNEN)

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