Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Hafke, das war ja wieder eine sehr verlässliche Performance zum Thema „Wer hat hier eigentlich alles versäumt?“
Marcel Hafke hat gerade wieder sehr verlässlich abgeliefert, wer hier eigentlich in den letzten Jahren die Verantwortung hatte. Um das noch einmal herauszuarbeiten: In den letzten 15 Jahren – das ist ungefähr der Zeitraum, über den wir reden, in dem es das KiBiz überhaupt gibt – hat die FDP, welch Wunder, acht Jahre regiert. Acht Jahre! Das ist mehr als die Hälfte der Zeit. Wer trägt denn hier vor allem die Verantwortung dafür, dass wir ein unterfinanziertes System haben und ein Gesetz haben, das völlig gescheitert ist? Und wer trägt jetzt die Verantwortung dafür, dass auch die Reformschritte nicht diejenigen sind, die uns nach vorne bringen würden? Es ist unter anderem die FDP, und es ist unter anderem die CDU. Das ist die Wahrheit. Die muss man dann auch einmal so ertragen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das passt aber perfekt in die Lesart der weltbesten Bildung. Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass im nächsten Wahlkampf auf den FDP-Plakaten stehen wird: Weltbeste Oppositionspartei in Regierungsverantwortung. – Denn anders kann man das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Hafke, nun wirklich nicht mehr einschätzen. Sie arbeiten sich ständig daran ab, was in den rot-grünen Jahren gewesen ist. An eigenen Initiativen kommt dann immer ein bisschen wenig.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Die Situation in unseren Kitas ist dramatisch. Das hat die Studie rund um den Kita-Leitungskongress noch einmal deutlich gezeigt. Wir haben allerdings auch schon mit unserem Antrag zum Thema „Fachkräfteoffensive“ vor zwei Jahren angemahnt, dass jetzt etwas passieren muss, weil die Lage dramatisch ist.
Laut der Studie des VBE fehlen 310.000 Fachkräfte in Deutschland bis 2025. Der Forschungsverbund DJI/TU Dortmund spricht sogar von knapp 330.000 fehlenden Fachkräften in Deutschland. Das macht doch deutlich, wie dramatisch die Situation ist.
Diese Zahl kann ich mir ja kaum vorstellen. Sie hat allerdings sehr reale Auswirkungen im Kita-Alltag. Das hat die Leitungsbefragung ja ergeben. 90 % der Kita-Leitungen antworten, dass sie in den letzten Monaten zumindest zeitweise zu wenig Personal in den Kitas hatten. Das ist dramatisch. Die Kita-Leitungen geben an, dass die Fachkraft-Kind-Relation im Grunde genommen flächendeckend nicht erreicht wird, und zwar zu 96 % im U3-Bereich und 76 % im Ü3-Bereich. Das ist dramatisch. 69 % der Kita-Leitungen sprechen darüber hinaus von einer dauerhaften Arbeitsüberlastung, die für das Fachpersonal in den Kitas akut gesundheitsgefährdend ist. Die Situation ist also dramatisch.
Daher muss gehandelt werden, und zwar jetzt.
Dann muss einmal mit diesem Ankündigungswahnsinn der schwarz-gelben Landesregierung Schluss sein.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Wir brauchen kein „Wir werden, wir machen, wir gucken, wir reden“, sondern ein „Wir machen“. Das haben Sie angekündigt. Jetzt hatten Sie drei Jahre Zeit. Es passiert herzlich wenig.
(Beifall von den GRÜNEN – Marcel Hafke [FDP]: Was wollen Sie denn?)
– Sie hätten doch damals einfach auch einmal bei der Anhörung zu unserem Fachkräfteantrag zuhören können. Erstens haben wir Maßnahmen aufgeschrieben. Zweitens haben Ihnen die Fachleute in der Anhörung zu diesem Antrag ganz klar verdeutlicht, was man machen muss. Auch im gesamten Verfahren zum KiBiz haben Ihnen die Fachkräfte gesagt, was sie brauchen.
Was haben Sie nicht gemacht? Sie haben nicht zugehört, und Sie haben nichts davon in Ihre Reform aufgenommen.
(Beifall von den GRÜNEN – Marcel Hafke [FDP]: Was denn? Sagen Sie doch einmal, was!)
Da geht es darum, dass unser System auf Reserve läuft. Es läuft im Grunde genommen auf der allerletzten Reserve, und das zulasten des Personals. Es geht hier um ein Gesundheitsrisiko für das Personal.
(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])
Am Ende des Tages geht es auch zulasten der Kinder. In dieser Studie wird doch noch einmal eindrücklich bestätigt, dass wir mittlerweile in einer Situation sind, die zu einem Sicherheitsrisiko wird.
Vor diesem Hintergrund würde ich einmal aufhören, mich in dieser selbstgerechten Haltung selbst zu feiern.
(Marcel Hafke [FDP]: Was wollen denn die Grünen?)
Schließlich ist es unsere Verantwortung, für das Personal gute Arbeitsbedingungen und vor allem für die Kinder qualitativ hochwertige Bedingungen in der frühkindlichen Bildung zu schaffen.
(Marcel Hafke [FDP]: Genau das machen wir!)
Es geht auf der einen Seite um die Fachkräftegewinnung. Es geht aber auf der anderen Seite auch darum, die Fachkräfte im System zu halten. Die Qualität in der frühkindlichen Bildung hängt doch von guten Arbeitsbedingungen ab.
Da muss man einfach einmal konstatieren: Verbindliche Festschreibung der Fachkraft-Kind- Relation im KiBiz? Fehlanzeige! Das war eine klare Forderung. Sie haben sie nicht umgesetzt.
Die Personalbemessung tatsächlich am Kita-Alltag zu orientieren, den Bedarfen und Bedürfnissen Rechnung zu tragen sowie Fehlzeiten mit einzurechnen: Hat diese Landesregierung das gemacht? Nein, hat sie nicht. Das war eine klare Forderung.
Die Planungssicherheit für Träger, Personal und Eltern durch eine einheitliche Einrichtungsfinanzierung statt Kind-Pauschalen zu erhöhen: Hat diese Landesregierung das gemacht? Nein, hat sie nicht – und das alles jeweils zulasten von Trägern, Kindern und Fachpersonal.
Die Frage nach verbindlichem Gesundheitsmanagement ist in der Anhörung auch angesprochen worden. Es ist sehr deutlich gemacht worden, welche Bedarfe und welche Nöte das pädagogische Fachpersonal in den Kitas hat. Haben Sie darauf gehört? Nein, haben Sie nicht.
Das Gleiche gilt bei der Frage von Entlastungskräften. Wir brauchen Hauswirtschaftskräfte und Verwaltungskräfte im System, um das pädagogische Fachpersonal zu entlasten. Haben Sie das flächendeckend mit Ressourcen hinterlegt? Nein, haben Sie nicht.
Jetzt stellen Sie sich hierhin und sagen, mit Ihrem Gesetz komme mehr als das vage Prinzip Hoffnung, dass man oben Geld hineinkippt und unten vielleicht Qualität herauskommt. Das entspricht doch null Komma null der politischen Realität.
Das haben Ihnen auch die Menschen aus der Praxis sehr deutlich nahegebracht. Herr Dr. Maelzer hat es ja schon gesagt. Es gab 80.000 Unterschriften. Sie wollten sie nicht annehmen. Es gab eine große Demonstration. Mit den Demonstranten wollte der Minister nicht sprechen.
Der Kita-Leitungskongress sagt Ihnen sehr eindrücklich: Wir haben es endlich geschafft; wir sind mittlerweile an einer Spitzenposition in der Bildungspolitik angekommen. – Herzlichen Glückwunsch, schwarz-gelbe Landesregierung! Unglücklicherweise ist es kein Platz an der Sonne. Wenn 88 % der Leitungskräfte sagen, dass sie mit den landespolitischen Bemühungen unzufrieden sind, dann ist es peinlich, an dieser Stelle einen Spitzenplatz zu belegen.
Aber das haben Sie geschafft. Nach drei Jahren eigener Regierungsverantwortung kann man nicht mehr behaupten, dies sei alles nur ein Zeugnis, das der früheren rot-grünen Landesregierung ausgestellt wurde.
(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])
Nein, das ist Ihre verfehlte Kita-Politik. Es ist Ihre Verantwortung, dass die Bedingungen in unseren Kitas schlecht sind. Das werden Sie zu verantworten haben. Ich will Sie nur noch einmal daran erinnern, dass eine Legislaturperiode fünf Jahre lang ist. Wenn man nach drei Jahren nicht angefangen hat, wird die Zeit ausgesprochen knapp.
Die Kita-Leitungen haben Ihnen auch noch einmal gesagt, dass sie nicht glauben, dass Ihre Reform in der Lage ist, an der dramatischen Personalsituation und der Belastungssituation in den Kitas wirklich etwas zu ändern. Das sollte Ihnen mindestens jetzt zu denken geben. Steuern Sie dort nach. Das ist ein wichtiger Punkt. Denn es kommt auf die Erzieherinnen und Erzieher an. Die haben Sie bislang außer Acht gelassen. Holen Sie das nach.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Josefine Paul (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kollegin, wir sind uns soweit auf jeden Fall einig – und ich glaube, da sind wir uns insgesamt hier im Haus einig –, dass Erzieherinnen und Erzieher weder Kaffeetanten noch Basteltanten sind, sondern den Grundstein legen – damit haben sie einen ganz verantwortungsvollen Job in unserer Gesellschaft – für gelingende Bildungsbiografien.
Sie haben ja auch gerade ausgeführt, was alles an diesem Job mit dranhängt, also wie sehr Erzieherinnen und Erzieher möglicherweise Dinge ausgleichen müssen, die früher vielleicht noch in Familien stattgefunden haben, dass auch Erzieherinnen und Erzieher und die Einrichtung der Kitas dafür verantwortlich sind, soziale Härten und soziale Spaltung in unserer Gesellschaft in den Blick zu nehmen, zu bearbeiten und nach Möglichkeit zu überwinden helfen. Deswegen sind wir alle, glaube ich, bezüglich der gesellschaftlichen Wertschätzung, aber auch der Wertschätzung, die sich monetär, in Karrierechancen etc. niederschlagen muss, auf einer Seite.
Deshalb ist es so ärgerlich, dass der Fokus auch dieser KiBiz-Reform gerade nicht auf dem Personal, der Situation und den Arbeitsbedingungen in den Kitas und auch nicht auf den Kindern gelegen hat.
Was sollte alles mit dieser KiBiz-Reform umgesetzt werden? – Den Kommunen sollte ein Gefallen getan werden. Das hat nicht geklappt, denn der Flickenteppich der Beiträge existiert nach wie vor, übrigens zulasten der Kommunen. Da haben Sie sich auf Kosten der Kommunen einen sehr schlanken Fuß gemacht, die weiterhin mit Ihrem Flickenteppich leben müssen.
Ferner sollten die Eltern entlastet werden, übrigens ebenfalls auf eine Art und Weise, bei der Sie sich einen schlanken Fuß gemacht haben; Prinzip Gießkanne statt Wiedereinführung einer sozialen Beitragstabelle.
(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])
Sie haben gesagt, Sie wollten flexibilisieren und es nach Möglichkeit allen recht machen, aber es darf nicht ganz so viel kosten, denn es hat ja so schon sehr viel gekostet.
Es bleibt dabei, dass mit diesem Gesetzentwurf die politische Fokussierung ausgeblieben ist bzw. eben gerade nicht auf die gerichtet worden ist, um die es uns gehen müsste, und das sind die Fachkräfte und die Kinder.
Dementsprechend muss man konstatieren, dass auch mit der KiBiz-Reform eben gerade nicht das erreicht wird, was Sie hier blumig gesagt haben: mehr Geld für Personal, bessere Arbeitsbedingungen für Personal. Fragen Sie doch beim Kitaleitungskongress nach, lesen Sie doch mal die Kommentierungen. Da werden Sie feststellen, dass auch die Fachleute der Meinung sind, dass Ihr Gesetz diese Ziele ganz eindeutig verfehlt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Enttäuschung herrscht auch über das Gute-KiTa-Gesetz. Wenn der Bund uns schon unterstützen möchte, dann sollte das so geschehen, dass die Qualität tatsächlich erhöht werden kann. Wenn man es schon „Gute-KiTa-Gesetz“ nennt, dann wäre es schön, wenn auch eine gute Kita drin wäre. Aber auch das ist erkennbar nicht der Fall. Da bin ich tatsächlich mal bei den Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU, die eine Verlässlichkeit der Finanzierung des Bundes fordern, anstatt dass wieder etwas angeschoben wird und dann nichts mehr geschieht – wobei man sagen muss, dass ja auch die CDU in der Bundesregierung sitzt. Sie könnten auf ein höheres Maß an Verlässlichkeit der Bundesfinanzierung hinwirken.
Und die Fachkräfte in den Kitas, die Erzieherinnen und Erzieher, fragen: Was sollen wir mit einem Bundesgesetz, das in erster Linie mit der Gießkanne für Beitragsfreiheit sorgt, während kein Cent davon bei uns, den Erzieherinnen und Erziehern, ankommt, während kein Cent da ankommt, wo Qualität wirklich verbessert werden muss? Die Mittel sind in Nordrhein-Westfalen zwischen der Beitragsfreiheit nach dem Prinzip Gießkanne und tatsächlich dem Versuch der Qualitätsverbesserung aufgeteilt worden.
Aber unter dem Strich bleibt doch, dass auch das Gute-KiTa-Gesetz einen falschen Schwerpunkt gesetzt hat mit dem Bedienen von allerlei Interessen, nur leider nicht denen von Kindern sowie Erzieherinnen und Erziehern.
Es bleibt die Frage, wann die ganzen angekündigten Maßnahmen kommen und wann sie wirksam werden. Wir brauchen nicht mehr die Ankündigung, dass Sie im Gespräch über einen zweiten Standort sind, sondern wir brauchen den zweiten Standort. Es wäre gut, wenn der jetzt tatsächlich kommen würde.
Und natürlich müssen wir Menschen in Kitas Karrierechancen eröffnen, und wir brauchen vor allem Weiterbildungschancen. In den Kitas arbeiten viele Ergänzungskräfte, die sehr engagiert sind, die hochmotiviert sind, die auch etwas mitbringen und etwas einbringen können. Die weiter zu qualifizieren und im System zu halten, muss ein ganz klarer Fokus von Personalgewinnung und vor allem von Halten von Personal sein.
Noch ein abschließender Satz dazu: Dramatischer wird die Situation werden, wenn tatsächlich der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in den Grundschulen greift. Das ist doch jetzt schon absehbar. Wir haben jetzt schon Personalmangel. Und wir haben jetzt leider wieder eine Bundesregierung, die verkündet, dass es Rechtsansprüche geben soll, es aber leider nicht mit den nötigen Mitteln hinterlegt.
Deshalb bin ich durchaus dabei, wenn Minister und Staatssekretär sich dafür aussprechen, in Berlin nachzuverhandeln, damit es mehr Mittel gibt. Da bin ich ganz bei Ihnen. Alleine mir fehlt ein bisschen der Glaube, dass Sie neben den notwendigen Verhandlungen auch eigene Vorbereitungen treffen, was passieren soll. Denn der Rechtsanspruch wird kommen. Schulministerium und MKFFI sind in der Verantwortung, dafür Sorge zu tragen. Das ist, glaube ich, bei Ihnen leider nicht in besonders guten Händen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)