Josefine Paul: „Die Mehrheit der Bevölkerung ist solidarisch“

Zur Unterrichtung der Landesregierung zur aktuellen Situation in der Corona-Pandemie

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Je komplizierter die Lage ist, desto besser muss die Politik erklären, was sie tut. Die Lage ist im Moment zweifelsohne komplizierter, als sie es vielleicht jemals zuvor in der Pandemie war. Umso wichtiger ist es, notwendige Anpassungen der Maßnahmen rechtzeitig und nachvollziehbar zu kommunizieren und zu erklären. Aber, Herr Kollege Löttgen, das ist nicht zu verwechseln mit der eigenwilligen Komplexitätsreduktion, die Sie soeben vorgetragen haben.

(Beifall von den GRÜNEN und Sarah Philipp [SPD])

Die Menschen erwarten in der Krise verlässliche und nachvollziehbare Regeln und Orientierungen und nicht ein merkwürdiges Oppositionsgetöse, wie Sie es gerade geübt haben, Herr Löttgen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dafür ist diese Landesregierung verantwortlich.

Herr Ministerpräsident, Sie werden nicht müde, vom Bundeskanzler Führung in der Krise einzufordern. Ich sage Ihnen: Es reicht nicht, immer wieder mit dem Finger auf Berlin zu zeigen und die Verantwortung dahin zu schieben, sondern Sie müssen hier Verantwortung übernehmen. Die Landesregierung muss in dieser wichtigen Phase der Pandemie endlich einheitlich, verlässlich und nachvollziehbar handeln. Sie sind für die Führung des Krisenmanagements verantwortlich. Nehmen Sie diese Verantwortung endlich an, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein Blick auf die Schulen zeigt einmal mehr, dass klare Kommunikation und ein gutes Krisenmanagement in der Regierung Wüst fehlen. Das ist eine Kontinuität, die Sie ganz offensichtlich von Ihrem Amtsvorgänger übernommen haben. Denn bereits letzte Woche war klar, dass die Labore das Ende ihrer Kapazitäten erreichen.

Noch in der letzten Woche haben Frau Gebauer und Herr Laumann trotzdem erklärt, dass ausreichend Testkapazitäten vorhanden seien. Wie kann das passieren? Zwei Jahre nach Beginn der Pandemie sollten wir doch alle wissen, was exponentielles Wachstum bedeutet.

Rasant ansteigende Neuinfektionen in Schulen und Kitas bedeuten nun einmal, dass mehr Pooltests positiv sind

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

und folglich mehr Kapazitäten zur Auflösung der Pools benötigt werden.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Schulen, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern dürfen doch möglicherweise so viel vorausschauende Planung von der Landesregierung erwarten. Aber was haben sie vorgefunden? – Eine SchulMail um 22:14 Uhr mit der Wirkung zum nächsten Morgen. Ich muss sagen: Das toppt alle bisherigen SchulMails, Frau Schulministerin.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Nach zwei Jahren in der Pandemie ist die Landesregierung weiter denn je davon entfernt, Verlässlichkeit in ihr Krisenmanagement zu bringen. Die hat auch der Ministerpräsident heute Vormittag nicht deutlich machen können. Vor allem Kinder und Familien müssen dieses mangelnde Krisenmanagement einmal mehr ausbaden.

In vielen Grundschulen herrscht doch nicht erst seit gestern Chaos. Schon vor der Entscheidung zur Priorisierung der PCR-Tests war eine zügige Auflösung der positiven Pools vermehrt gar nicht mehr möglich. In der Konsequenz mussten Schülerinnen und Schüler zu Hause bleiben.

Schon im Schulausschuss in der letzten Woche haben wir das thematisiert und darauf hingewiesen. Passiert ist nichts! Kein Wunder also, dass viele Schulen heute symbolisch die weiße Flagge hissen. Sie fühlen sich alleingelassen, Frau Schulministerin. Sie können nicht mehr, sie sind an ihren Grenzen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Nun hat das Schulministerium ein angepasstes Verfahren für die PCR-Pooltests an Grundschulen präsentiert. Positive Pools sollen mit einem Schnelltest nachgetestet werden. Damit wirft Ihr Ministerium, Frau Schulministerin, einmal mehr neue Fragen auf – mehr Fragen, als Antworten gegeben werden.

Sind die Schulen überhaupt in der Lage, diese Ad-hoc-Anpassung umzusetzen? Ich erinnere noch mal daran: SchulMail um 22:14 Uhr, Umsetzung heute Morgen. Welche Schnelltests werden denn eingesetzt? Wird die Verantwortung jetzt auf die Lehrkräfte abgewälzt oder gar auf die Familien, die sich nun zweimal in der Woche zu einem gemeinsamen Ausflug zum Testzentrum aufmachen müssen?

Frau Schulministerin, sorgen Sie hier für Klarheit im Sinne der Schulen, im Sinne der Lehrerinnen und Lehrer und im Sinne der Familien.

(Beifall von den GRÜNEN und Christian Dahm [SPD])

Das Mantra der Normalität und der Betreuungsgarantie wird im Kampf gegen die Ausbreitung der Omikron-Variante nicht ausreichen. Das will ich auch Ihnen, Herr Minister Stamp, sehr deutlich sagen. Denn normal ist angesichts der Lage in vielen Schulen und Kitas schon lange nichts mehr.

Wenn Sie nicht endlich gegensteuern, schließen sich die Schulen von selbst. Ohne Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas erledigt sich auch jedes pädagogische Programm. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wollen wir alle gemeinsam nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Dennis Maelzer [SPD])

Für einen möglichst sicheren, geregelten und kontinuierlichen Schulbetrieb müssen endlich die S3-Leitlinien umgesetzt werden, Frau Ministerin. Das heißt vor allem: kleinere, feste Lerngruppen und die Möglichkeit, Stundenpläne auszusetzen, um im Klassenverband und ohne großen Lehrerwechsel unterrichten zu können, aber auch die Möglichkeit, Stunden reduzieren zu können, wenn dies lageangepasst notwendig ist.

Dafür muss man aber aufhören, sich vor der Realität wegzuducken. Dafür braucht es an den Schulen vor Ort die notwendige Flexibilität, um lageangepasst und eigenverantwortlich ohne Verzögerung reagieren zu können. Das ist bislang seitens des Ministeriums stets abgelehnt und verweigert worden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber auch in den Kitas spitzt sich die Lage zu. Herr Familienminister, Sie müssen jetzt endlich erklären und einen Plan dafür vorlegen, wie Sie mit den steigenden Infektionszahlen unter den Kindern und Beschäftigten umgehen wollen.

Ja, Gruppentrennungen und damit verbundene Stundenreduzierungen sind eine organisatorische Herausforderung. Aber sie können ein wirksamer Beitrag sein, um eine größere Ausbreitung von Infektionen zu verhindern. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn täglich immer mehr Kitas schließen müssen, führt dies doch noch zu viel größeren Betreuungsproblemen und größerer Belastung in den Familien, insbesondere mit Blick auf die Eltern, die in der kritischen Infrastruktur beschäftigt sind. Ihr Fahren auf Sicht in der Bildungspolitik ist gescheitert. Sie müssen jetzt reagieren, sonst übernimmt das Virus es für Sie.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Ministerpräsident Wüst betont immer wieder, dass der Weg zurück zur Normalität im Moment nur über Achtsamkeit und vorausschauendes Handeln erreicht werden kann. Herr Ministerpräsident, da sind wir absolut einer Meinung. Aber ich frage Sie: Ist das die Linie Ihrer Koalition? Steht die Koalition denn gemeinsam hinter diesem Weg der Achtsamkeit?

Christof Rasche hat sich in der letzten Woche deutlich anders geäußert, als er von der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit dem Kanzler einen neuen Geist eingefordert hat. Heute legt er noch einmal nach und sagt laut Kölner Stadt-Anzeiger: „Die MPK ging ein bisschen an der Wirklichkeit vorbei.“ Sehr geehrter Herr Kollege Rasche, ich glaube vielmehr, die Sicht der FDP auf die aktuelle Lage geht an der Wirklichkeit vorbei.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Dennis Maelzer [SPD] – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Herr Ministerpräsident, was ist denn unter diesen Vorzeichen in Ihrer zerstrittenen Koalition mit dem klaren Kurs durch die Omikron-Welle gemeint, den Sie hier so krampfhaft herbeizureden versuchen? Auch diese Antwort sind Sie schuldig geblieben.

Der Expertenrat der Bundesregierung hat in seiner dritten Stellungnahme sehr deutlich gemacht, dass die Omikron-Variante vermutlich zu weniger schweren Verläufen und einer weniger hohen Gefahr notwendiger intensivmedizinischer Behandlungen führen kann. Aber er macht auch ein sehr simples Rechenbeispiel auf: Trotz einer niedrigeren Hospitalisierungsrate als bei der Delta-Variante ist bei einer höheren Infektionslage durch die Omikron-Variante zu erwarten, dass die Fallzahlen eben nicht kompensiert werden können. Das bedeutet, dass die hohe Zahl Infizierter auch zu mehr Hospitalisierungen führen wird.

Die Krankenhäuser merken diesen Anstieg doch bereits. Die Belegung auf den Intensivstationen nimmt wieder zu. Vor allem aber ist mit einer sehr hohen Belastung auf den Normalstationen zu rechnen. Dazu kommen Ausfälle beim Personal und die hohen Belastungen, die schon die letzten zwei Jahre für die Mitarbeitenden im medizinischen Bereich mit sich gebracht haben. Ganz ehrlich, Herr Kollege, von einem Mehr an Normalität kann im Gesundheitsbereich ganz sicher keine Rede sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich muss deutlich sagen: In eine sich weiter aufbauende Omikron-Wand hinein zu lockern, wäre schlicht und ergreifend unverantwortlich. Wir müssen weiterhin alles dafür tun, dass die Pandemie nicht einfach durchrauscht, weil wir weiterhin Menschen – insbesondere solche aus vulnerablen Gruppen – schützen müssen, auch vor bisher zu wenig bekannten Langzeitfolgen.

Gleichzeitig müssen wir die Folgen für Wirtschaft, Kultur und Sport abfedern. Die Verlängerung von Wirtschaftshilfen und Kurzarbeitergeld ist dabei ein wichtiges Signal, das wir ausdrücklich begrüßen.

Wir hätten es aber auch sehr begrüßt, wenn sich die Landesregierung im Sinne der 16.000 Künstlerinnen und Künstler in Nordrhein-Westfalen dazu hätte durchringen können, das gut angenommene und vom Kulturrat geforderte Stipendienprogramm wieder aufzulegen. Dies wäre ebenfalls eine Chance gewesen, für mehr Verlässlichkeit zu sorgen. Auch hierbei hat die Landesregierung leider eine Chance vertan.

(Beifall von den GRÜNEN)

Impfen ist der Weg aus der Pandemie und vor allem der zentrale Schlüssel, um schwere und tödliche Krankheitsverläufe bestmöglich zu vermeiden. Vor Weihnachten hat die Kampagne noch deutliche Fortschritte gemacht, nun ist sie allerdings erheblich ins Stocken geraten.

Noch immer ist die Impflücke insbesondere bei den über 60‑Jährigen zu groß. Gerade bei den Erstimpfungen müssen wir leider konstatieren, dass es nicht mehr wirklich vorangeht.

Um zielgruppenspezifische Angebote machen zu können, dahin zu gehen, wo Menschen noch überzeugt werden müssen und noch überzeugt werden können, brauchen die Kommunen genauere Erhebungen über die Impfquote. Doch die Landesregierung weigert sich beharrlich – einmal mehr –, hierfür wichtige Erhebungen durchzuführen. Herr Gesundheitsminister, so bleibt die Imagekampagne allerdings Stückwerk.

(Beifall von den GRÜNEN)

Länder mit hoher Impfquote sind einen anderen Weg gegangen. Sie haben die persönliche Ansprache gesucht, und sie haben ihre Bevölkerung angeschrieben, um Impftermine zu vergeben, wie wir es auch konkret vorgeschlagen haben.

Wir müssen jetzt die Impflücken schließen. Das geht nur mit einer besseren Datengrundlage und nur über die persönliche, direkte Ansprache von Nichtgeimpften. Ansonsten wird diese Pandemie zu einer erschreckenden Dauerschleife. Dem wollen wir mit diesen Maßnahmen etwas entgegensetzen. Dafür aber muss die Imagekampagne wieder mehr Fahrt aufnehmen.

Dazu gehört auch – das will ich deutlich sagen – etwas mehr als laue Plakate. Es ist gut, dass sich die Bundesregierung auf den Weg gemacht hat, aber die Kampagne könnte sicherlich ein bisschen mehr Pep vertragen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir brauchen mehr Kreativität, wir brauchen mehr aufsuchende Impfangebote, und, Herr Minister, wir brauchen mehr direkte Ansprache.

Das Land Rheinland-Pfalz beispielsweise hat ein Programm für Impflotsen aufgelegt, die speziell dort hingehen, wo die Impfbereitschaft niedrig ist. Niedrigschwellige Angebote und eine persönliche Ansprache in verschiedenen Sprachen sollen dazu beitragen, Menschen zu überzeugen, die sich bislang – aus welchen Gründen auch immer – noch nicht durchringen konnten, ein Impfangebot wahrzunehmen. Die Stadt Bochum unterstützt ebenfalls ehrenamtliche Impflotsen.

Ich finde, es ist an der Zeit, dass die Landesregierung alles daransetzt, solche Initiativen zu unterstützen, und ihre Bemühungen durch direkte Ansprache und aufsuchende Impfungen verstärkt. Wenn Ihnen dann noch etwas Kreatives für eine Plakatkampagne einfällt, nehmen wir selbstverständlich auch das, Herr Gesundheitsminister.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Ministerpräsident hat für seine Unterrichtung Verlässlichkeit, Verantwortung und einen klaren Kurs in der Pandemie angekündigt. Die Antworten ist er leider schuldig geblieben. Das ist klar, denn man fragt sich schon, Herr Ministerpräsident, wie Ihre Pandemiepolitik mit dieser FDP an Ihrer Seite überhaupt aussehen soll.

Herr Kutschaty hat es als Wimmelbild beschrieben. Man kann aber auch sagen: Diese FDP zwingt Sie weiter in den Schlingerkurs der Pandemiepolitik. Dies ist bereits in den letzten zwei Jahren der falsche Weg gewesen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Pandemie ist eine immense Herausforderung für unsere Gesellschaft und für jeden Einzelnen von uns. Sie ist auch für jeden Einzelnen von uns frustrierend. Ich verstehe, dass viele Menschen nach zwei Jahren einfach pandemiemüde sind.

Sorgen aber bereitet mir eine zunehmende Radikalisierung von Demonstrationen und sogenannten Spaziergängen, die die Coronamaßnahmen und die zur Debatte stehende Einführung der Impfpflicht betreffen. Selbstverständlich darf auch dieser Protest stattfinden; die Versammlungsfreiheit ist einer der Grundpfeiler unserer Demokratie.

Sorgen bereiten mir die Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus, die antisemitisch und rassistisch gefärbten Verschwörungsnarrative, die Wissenschaftsfeindlichkeit und die Beteiligung von Rechtsextremen bei diesen Demonstrationen und sogenannten Spaziergängen.

Ebenso besorgt es mich, wenn Politikerinnen und Politiker vor ihren Häusern oder in ihren Häusern bedroht werden, wenn Arztpraxen angegriffen werden oder in Telegram-Gruppen Gewalt- und Mordaufrufe kursieren.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Ich bin daher froh über die vielen Gegenproteste der demokratischen Zivilgesellschaft, die deutlich machen, dass diese Positionen nicht mehrheitsfähig sind. Sie entsprechen nicht der Mehrheit in dieser Gesellschaft. Die Mehrheit der Bevölkerung ist solidarisch.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)

Nur in dieser Gemeinsamkeit und mit dieser Solidarität werden wir aus der Krise kommen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)

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