Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor mehr als 100 Jahren haben mutige Frauen das Wahlrecht endlich erstritten, endlich durchgesetzt.
Die schon erwähnte Marie Juchacz kommentierte das in ihrer ersten Rede im Reichstag wie folgt:
„Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“
Leider fasst das die Situation 100 Jahre später auch noch ziemlich gut zusammen. Blicken wir jetzt, 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts, denn auf eine absolute Gleichstellung politischer Erfolgsgeschichte zurück? Ich glaube, davon kann auch im Jahr 2019 leider keine Rede sein.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
In den ersten Wahlen unter Beteiligung von Frauen am 19. Januar 1919 gaben rund 82 % der Frauen ihre Stimme ab. 37 Frauen – das waren ungefähr 8 % – wurden dann auch in den Reichstag gewählt.
Die Frage nach der gleichstellungspolitischen Erfolgsgeschichte beantwortet sich relativ gut, wenn man sich anschaut, wie sich der Anteil der Frauen in Parlamenten entwickelt hat. Bis in die 80er-Jahre hinein waren es nämlich immer nur ungefähr diese 8 % oder 9 % – mit dem negativen Highlight, dass im 7. Deutschen Bundestag die Frauen quasi fast die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt hätten; denn ihr Anteil betrug nur 5,8 %.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Geschichte der Gleichberechtigung – das wurde auch in der Vorrede von Frau Kopp-Herr deutlich – ist kein Selbstläufer. Selbst längst sicher geglaubte Erfolge müssen immer wieder verteidigt und immer wieder neu erstritten werden. Nicht zuletzt die vier Mütter des Grundgesetzes mussten die Erfahrung machen, dass einmal in der Weimarer Republik Erkämpftes bei der Aufsetzung des Grundgesetzes bei Weitem keine Selbstverständlichkeit war. Es kostete sie sehr viel Kraft und sehr viel Durchsetzungsstärke, um überhaupt und ohne Wenn und Aber die Gleichberechtigung im Grundgesetz zu verankern.
Vor 25 Jahren wurde der Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz dann durch einen weiteren wegweisenden Satz ergänzt:
„Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Wenn man sich den Anteil der Frauen im Landtag Nordrhein-Westfalen ansieht, der bei unter 28 % liegt und leider nach den letzten Landtagswahlen noch einmal gesunken ist, muss man sagen: Von tatsächlicher Durchsetzung und von Beseitigung bestehender Nachteile kann doch nicht ernsthaft die Rede sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Es reicht aber auch nicht, dies in Jubiläumsreden zu 100 Jahren Frauenwahlrecht, zu 70 Jahren Grundgesetz oder zu 25 Jahren Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 um Satz 2 zu bedauern. Wir brauchen endlich wieder die mutigen Frauen und auch die mutigen Männer, die dafür streiten, dass wir jetzt endlich gesetzliche Rahmenbedingungen bekommen, die tatsächlich auch die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern an politischen Entscheidungen ermöglichen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ursula von der Leyen hat einmal im Zusammenhang mit der Frage der Unterrepräsentanz von Frauen in Wirtschaftsgremien gesagt, dass es sich bei allem, was unterhalb von gesetzlichen Quotenregelungen ist, nur um weiße Salbe handeln würde.
Aber ich finde, sehr geehrte Damen und Herren, dass Frauen mehr verdienen als politische Placebos und Jubiläumsreden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Deshalb legen wir heute ein Paritätsgesetz vor, damit der bestehende Widerspruch aufgelöst wird. Denn das ist doch das entscheidende Problem. Wir haben nach wie vor einen Widerspruch zwischen formaler, auch durch die Verfassung garantierter Gleichheit und heute immer noch vorhandener materieller Ungleichheit von Frauen und Männern.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir brauchen gesetzliche Rahmenbedingungen, um diesen Widerspruch endlich zugunsten tatsächlicher gleichberechtigter Teilhabe aufzulösen.
Sehr geehrte Damen und Herren, Art. 3 Abs. 2 Satz 2 verpflichtet den Staat, Maßnahmen zur tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu ergreifen. Das unterscheidet ihn im Übrigen auch von anderen Verfassungsgrundsätzen; denn hier wird der Staat explizit aufgefordert, etwas zu tun. Regina Kopp-Herr hat es gerade schon angesprochen. Tut er dies nicht, könnte man mit Elisabeth Selbert sagen, dass die Unterrepräsentanz von Frauen dann ja wohl Verfassungsbruch in Permanenz ist.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ja, Paritätsgesetze sind juristisches Neuland. Deshalb sind sie juristisch umstritten – um schon einmal zu antizipieren, welche Argumente gleich vorgetragen werden. Ja, wir haben in Deutschland nur zwei Paritätsgesetze, und zwar in Brandenburg und in Thüringen, und es liegt noch keine abschließende Beurteilung durch ein Verfassungsgericht vor. Es ist aber bei allen juristischen Neuerungen so, dass es vorher keine Sicherheit darüber gibt; denn nur Verfassungsgerichte können am Ende des Tages entscheiden, ob etwas verfassungskonform oder auch nicht verfassungskonform ist.
Nimmt man sich aber die Verfassung dieses Landes, das Grundgesetz und Art. 3 Abs. 2 Satz 2 zu Herzen und schaut es sich ganz genau an, dann kann man aus meiner Sicht zu keinem anderen Ergebnis kommen als dem, dass Paritätsgesetze verfassungskonform sind, meine Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ja, Frauen sehen sich auch immer mit Vorurteilen konfrontiert. Das haben die Frauen leider während ihres gesamten Kampfes für ihre Gleichberechtigung immer wieder mit auf den Weg bekommen. Ein gängiges Vorurteil ist jetzt auch: Wenn wir eine Quotenregelung einführen, dann kommen ja lauter ungeeignete Frauen ins Parlament. – Das würde unterstellen, dass erstens Frauen selber schuld daran sind, dass sie unterrepräsentiert sind, und dass zweitens Frauen offenbar zu schlecht sind. Denn sonst wären ja nicht nur knapp 28 % der Abgeordneten in diesem Hause weiblich. Wenn sich Frauen nur ein bisschen mehr anstrengen würden, dann würden sie es vielleicht auch in die Parlamente schaffen.
Sehr geehrte Damen und Herren, das verschleiert offensichtliche strukturelle Benachteiligung, die in diesem Land leider auch 2019 immer noch Realität ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Klar ist auch, dass eine Quote noch keine Gleichberechtigung macht. Aber 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts, 70 Jahre nach Einführung des Grundgesetzes und 25 Jahre nach Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 müssen wir doch feststellen, dass eines klar ist: Keine Quote macht erst recht keine Gleichberechtigung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es einigermaßen erstaunlich, dass in diesen Debatten immer über ein Verfassungsgebot, nämlich das Gleichstellungsgebot, so einfach hinweggegangen wird. In jeder Debatte, in der es darum geht, in welcher Art und Weise man wirklich Frauen zur tatsächlichen Gleichberechtigung verhelfen kann, und in der man sich dann auf dieses Verfassungsgebot beruft, heißt es anschließend, dass fast jedes andere Verfassungsgut höherrangiger ist als das. Ich habe mal gelernt, dass Verfassungsgüter miteinander in Ausgleich zu bringen sind. Warum das für das Gleichstellungsgebot nicht gelten soll, ist mir nicht klar.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das haben Sie jetzt auch wieder gemacht. Sie konnten nicht darlegen, in welcher Art und Weise dieses Verfassungsgebot zum Ausdruck gebracht werden soll. Warum haben denn – Monika Düker hat gerade Elisabeth Selbert zitiert – die Frauen damals die Gleichstellung von Frauen und Männern in die Verfassung geschrieben? – Weil sie der Auffassung waren, dass das ein Staatsziel sein muss. Weil sie der Auffassung waren, dass es wichtig ist, genau das festzuschreiben.
Sie mussten aber auch feststellen – deswegen ist Art. 3 Abs. 2 1994 ergänzt worden –, dass es einen Unterschied zwischen formaler und materieller Gleichheit gibt. Weil das ein elementarer Unterschied ist und weil man der Auffassung war, dass der Gesetzgeber handeln muss und handeln darf, hat man die Verfassung ergänzt. Nichts anderes schlägt dieser Gesetzentwurf vor. Deshalb ist er verfassungskonform und eben nicht verfassungswidrig.
Noch eine Bemerkung zu der Frage, ob wir demnächst ein Ständeparlament haben. Dieses Argument habe ich schon öfters gehört. Es gibt aber einen Unterschied zwischen dem Minderheitenschutz in Art. 3 Abs. 3, der Gruppen definiert, und Art. 3 Abs. 2, wo es um eine gesellschaftliche Struktur geht. Frauen werden in Art. 3 Abs. 2 eben nicht als Gruppe definiert, anders als in Art. 3 Abs. 3. Das muss man doch mal zur Kenntnis nehmen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist ein materieller juristischer Unterschied. Auf den bezieht es sich. Deswegen läuft der Vorwurf eines Ständeparlaments absolut ins Leere und ist schlicht und ergreifend so nicht haltbar.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich nehme aber mit, Frau Erwin: Wir bilden demnächst gemeinsam eine Bande, und dann ergänzen wir den Gesetzentwurf um die Wahlkreise. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)