Josefine Paul: „Die deutsche Teilung und ihre Überwindung haben einen festen Platz in unserer Erinnerungskultur“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zur DDR-Erinnerungskultur

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die deutsche Teilung ist untrennbar verbunden mit den Wirrungen und Verheerungen des 20. Jahrhunderts.

Wie kaum ein anderes Datum steht der 9. November symbolisch für einerseits Terror und andererseits Freude über die Ausrufung der ersten deutschen Republik und der ersten deutschen Demokratie mit all dem, was danach an Irrungen und Wirrungen und dem schlimmen Ende kam, aber eben auch für die friedliche Revolution.

Am 9. November 1989 fiel die Mauer als das Symbol – Kollege Bergmann hat es eben gesagt – für die deutsche Teilung in Beton und Stahl. 161 km war die Berliner Mauer lang, aber insgesamt teilten 1.378 km Stacheldraht und Todesstreifen beide deutschen Staaten.

Heute kann man diese Grenze auch erleben, nur ganz anders: Was früher ein Todesstreifen gewesen ist, ist heute ein grünes Band, das die Menschen von Ost nach West bzw. Nord nach Süd verbindet, wenn man dort zum Beispiel entlangradeln würde. Es liegt heute zwischen Ost und West und ist ein verbindendes Element geworden.

Ich bin in Helmstedt an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze geboren und aufgewachsen. Wenn wir auswärtigen Besuch bekommen haben, sind wir oftmals an die Grenze gefahren, weil dort der Ort war, an dem, um ehrlich zu sein, auch für Westdeutsche endlich einmal erlebbar und sichtbar geworden ist, was diese deutsche Teilung eigentlich bedeutet.

Als Kind war es für mich selbstverständlich kaum oder gar nicht begreifbar. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt, mehr als 30 Jahre später, die Erinnerung und das Gedenken an die Teilung, an das Unrecht und an die Opfer, aber eben auch an die Überwindung dieser Teilung wachhalten.

Wir müssen das für junge Menschen verständlich machen, aber auch erlebbar machen durch Austausch, durch Begegnung und selbstverständlich auch durch Orte, die durch das Begehen im wahrsten Sinne des Wortes diesen Teil deutscher Geschichte nachvollziehbar machen.

Der Fall der Mauer ist eben nicht nur untrennbar mit ihrem Bau am 13. August verbunden, wie Sie richtigerweise in Ihrem Antrag schreiben, sondern auch mit den mutigen Menschen, die für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen sind – auch im Wissen um das Risiko für die eigene Freiheit, die eigene Gesundheit und schlimmstenfalls für das eigene Leben.

Ich finde es schade, dass dieser Aspekt in Ihrem Antrag ein bisschen zu kurz kommt. Selbstverständlich ist der Mauerbau untrennbar mit ihrem Fall verbunden, aber ich hätte mir gewünscht, dass Sie in Ihrem Antrag noch ein bisschen stärker darauf eingehen, welch ein Glücksfall der deutschen Geschichte mit ihren Irrungen, Wirrungen und Verheerungen es gewesen ist, dass diese friedliche Revolution als Akt der Selbstbestimmung und der Demokratie auch mit dem 9. November und damit mit der Geschichte der deutschen Teilung sowie ihrer Überwindung verbunden ist.

Sie schreiben in Ihrem Antrag zu Recht, dass die Erinnerung an DDR-Unrecht eine gesamtdeutsche Aufgabe ist. Das ist so, aber genauso ist die Erinnerung an die Bürgerrechtsbewegung und die friedliche Revolution eine gesamtdeutsche Aufgabe. Es sollte ein gesamtdeutsches Symbol für Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung sein, ausgehend von den friedlichen Protesten und dem Aufbruch der Menschen in Ostdeutschland als Beitrag zu unserer gesamtdeutschen Demokratie und auch im Kontext der europäischen Demokratie und Freiheit.

Ich hätte mir gewünscht, dass auch das einen breiteren Platz in Ihrem Antrag einnimmt, denn es geht um die Frage, diesen Akt der friedlichen Revolution für Demokratie und Freiheit, der durch die Menschen in der ehemaligen DDR mutig auf die Straße getragen wurde, als gesamtdeutschen Beitrag für unsere Demokratie zu würdigen – auch und gerade durch uns als Westdeutsche.

Die deutsche Teilung und ihre Überwindung haben einen festen Platz in unserer Erinnerungskultur, und doch ist es wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass wir politische und historische Bildung selbstverständlich auch mit Leben füllen müssen.

Das gilt genauso für historische Orte: nicht einfach nur einen Ort zu haben, der nicht auch mit Leben und Veranstaltungen gefüllt wird, sondern ihn zu einem Ort der Begegnung zu machen, was mit das Entscheidende ist. Sie haben gerade angedeutet, dass das der Plan ist.

Es ist gut, dass Sie das Betonsegment der Berliner Mauer aufwerten wollen, denn es ist auch unsere Geschichte und unsere Erinnerung, genau hier im Bereich unserer Demokratie. Dabei darf es aber nicht stehen bleiben, denn das Entscheidende ist doch, dass wir Erinnerung und Erinnerungskultur mit Leben, Auseinandersetzung und Begegnung füllen.

Das darf nicht erstarren – weder in Beton noch in Ritualen. Deshalb werden wir uns enthalten, aber beobachten selbstverständlich weiterhin sehr wohlwollend, was damit passiert und wie die Konzeptionierung weiter ausgestaltet werden soll.

(Beifall von den GRÜNEN)