Josefine Paul: „Der organisierte Sport muss die Verantwortung für die Menschenrechte ernst nehmen.“

Antrag von SPD und Grünen zu Fairplay bei Sportveranstaltungen

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sotschi ist in den letzten Wochen und Monaten viel berichtet und debattiert worden. Da ist die Frage nach Gigantismus gestellt worden. Nie haben Olympische Spiele mehr gekostet als die Olympischen Winterspiele in der Sommerfrische von Sotschi. Es ist über Umweltzerstörung diskutiert worden; jüngst ist über die Sicherheitslage diskutiert worden, und natürlich ist auch über die Rechte von Oppositionellen diskutiert worden.
Ein Thema aber dominiert die Berichterstattung wie kein anderes, das ist der Umgang mit Minderheiten – ganz speziell mit den Rechten von Lesben und Schwulen in Russland. Dass der verwerfliche Umgang mit Homosexuellen im Zuge der Spiele von einigen demokratischen Vertretern und Vertreterinnen scharf angefochten wird und Politiker – wie beispielsweise Barack Obama oder auch Bundespräsident Gauck – die Teilnahme an den Olympischen Spielen abgesagt haben, macht schon einen gewissen Eindruck. Dass das offensichtlich auch auf den russischen Präsidenten Putin einen gewissen Eindruck gemacht hat, lässt sich daran ablesen, dass er den Versuch gestartet hat, die ganze Geschichte positiv aus seiner Sicht zu wenden. Er äußerte nämlich, Homosexuelle könnten ruhig nach Sotschi kommen und sich dort wohlfühlen, wenn sie die Kinder in Frieden lassen würden.
Ich finde, das zeigt: Homophobie ist in der russischen Gesellschaft und offensichtlich in der russischen Staatsführung tief verankert; denn hier werden bestimmte Assoziationen aufgerufen – wie beispielsweise, dass Homosexualität eine Krankheit ist, dass sie auch eine gewisse staatszerstörerische Ideologie darstellt. Mit dem „Kinder in Frieden lassen“ wird nicht zuletzt assoziiert, dass Homosexualität und Pädophilie irgendwie in eine Kategorie gehören. Das ist zynisch von Präsident Putin und in keiner Art und Weise ein Bekenntnis zur Olympischen Charta. Das sollte man ihm so auch nicht durchgehen lassen. Wir sollten das sehr eindeutig benennen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Weiterhin erklärt Präsident Putin, dass die Olympischen Spiele in voller Übereinstimmung mit der Olympischen Charta ohne irgendwelche Diskriminierung veranstaltet werden. Wenn ich mir das Zitat von vorhin anschaue, frage ich mich, was das eigentlich heißen soll. Und was heißt eigentlich „in voller Übereinstimmung mit der Olympischen Charta“?
Wenn wir uns ansehen, was zum einen in den letzten Jahren in Russland – Kollege Bischoff hat es bereits erwähnt – passiert ist und zum anderen, welche staatliche Repression Lesben und Schwule durch das „Gesetz gegen Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen“ zu erwarten haben, erkennen wir, dass das nicht nur mit staatlicher Diskriminierung zu tun hat, sondern dadurch wurde auch eine gesellschaftliche Atmosphäre geschaffen, in der durch Menschenrechtsorganisationen immer wieder über offene Anfeindungen und Angriffe berichtet wird. In dieser Atmosphäre kann man sicherlich nicht davon sprechen, dass Lesben und Schwule dort ohne Diskriminierung und mit Offenheit empfangen werden.
Außerdem stehen diese Aussagen auch im Widerspruch zur offiziellen russischen Seite. Das heißt, wir stehen nach wie vor vor der Situation, dass es keine Klarheit für die Sportlerinnen und Sportler gibt; denn wir wissen noch nicht einmal genau, was unter „Propaganda“ fällt. Wenn ich jetzt zu den Olympischen Spielen hinfahren würde – gesetzt den Fall, ich hätte das Talent, dort irgendwie teilzunehmen – und anschließend, weil ich mich so freue oder weil ich so traurig bin, meine Frau küssen und Trost oder gemeinsames Jubeln suchen würde, müsste ich mich fragen: Ist das schon „Propaganda“? Oder ist das vielleicht einfach ein Ausdruck meiner Lebensweise? Das ist nicht geklärt. Dementsprechend wissen die Sportlerinnen und Sportler auch nicht, ob sie sich dort nun wohlfühlen können, sofern sie die Finger von Kindern lassen, oder ob sie vielleicht doch der Strafverfolgung durch den russischen Staat ausgesetzt sind.
Das Ganze wird leider auch nicht durch die Olympische Charta aufgeklärt. In Punkt 4 der grundlegenden Prinzipien – Kollege Bischoff hat es gerade schon gesagt – wird der Sport als Menschenrecht und diskriminierungsfreier Raum deklariert. Auch das Ausleben meiner sexuellen Orientierung und der sexuellen Identität ist eigentlich durch die Menschenrechte geschützt. Allerdings ist das der Punkt, wo auch wir als Sportpolitik gefordert sind, Klarheit vor den Sportverbänden und auch vom Internationalen Olympischen Komitee einzufordern. Das IOC verweist immer gerne auf Regel 50, wonach jede Form von Werbung auch politischer Natur und Propaganda bei Olympischen Spielen bzw. an olympischen Austragungsstätten verboten ist.
Nun frage ich mich allerdings – ich habe es gerade schon gesagt – an der Stelle: Ist eigentlich meine Lebensweise per se politische Propaganda? Ist Homosexualität politische Propaganda? Oder ist es vielleicht doch eher eine Lebensweise, die den Schutz durch die Menschenrechte verdient?
Aus meiner Sicht korrumpiert das IOC – deshalb haben wir diesen Antrag auch so gestellt – an der Stelle seine eigene Charta.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Für uns steht fest: Die Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Homosexualität ist keine politische Ideologie, sondern Teil der Persönlichkeit und einer Lebensweise.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Der organisierte Sport muss die Verantwortung für die Menschenrechte ernst nehmen. Das gilt für den DOSB, für das IOC und auch für seinen deutschen Präsidenten Dr. Thomas Bach.
Regel 50 der Olympischen Charta darf nicht dazu herhalten, Regime zu schützen, die sich gegenüber Minderheiten diskriminierend verhalten, wie das im Moment der Fall ist. Er schützt im Moment das diskriminierende und menschenverachtende Regime eines Wladimir Putin gegenüber der von Menschenrechtsorganisationen zu Recht eingeforderten Menschenrechtspolitik. Das darf nicht sein. An dieser Stelle muss das IOC klarstellen, was es meint.
Zum Abschluss möchte ich noch ein kurzes Zitat von Theo Zwanziger im aktuellen „Cicero“ bringen. Er hat nämlich – und dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen – geschrieben:
„Sportereignisse zählen zu den Kernbereichen der Gesellschaft, werden von Millionen Menschen auf der ganzen Welt gesehen und haben damit Bezug zu deren Alltagsleben. Abstinenz in Menschenrechtsfragen ist deshalb nicht nur ethisch, sondern auch praktisch völlig unsinnig.“
(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

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