Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mädchen sind anders, Jungen auch. Unter dieses Motto könnte man vielleicht die beiden Tagesordnungspunkte zum Boys‘ Day und zum Girls‘ Day stellen, denn sie greifen ein wichtiges Thema auf.
Wie und warum entscheiden sich Jungen und Mädchen für einen Beruf oder eben auch nicht? – Klar ist, dass sich das Berufswahlverhalten junger Menschen bis heute nicht allein an persönlichen Interessen und individuellen Fähigkeiten orientiert, sondern oftmals noch stark von tradierten Rollenbildern beeinflusst und vor allem auch geleitet wird.
In der Mädchenarbeit ist das lange schon klar. Unterschätzt bleibt in der Diskussion und in der pädagogischen Arbeit aber oftmals, dass sich natürlich auch Jungen an Rollenbildern und Klischees orientieren und von ihnen beeinflusst werden. Umso wichtiger ist es, auch die Berufswahlorientierung von Jungen gendersensibel zu gestalten. Das Bild des männlichen Alleinernährers mag zwar eigentlich nicht mehr zeitgemäß sein. Trotzdem haben sich die Rollenbilder der Hausfrau und Mutter einerseits und des Ernährers der Familie andererseits als normatives Bild erhalten und entfalten auch und gerade bei Jungen ihre Wirkung.
Die Realität sieht aber oft ganz anders aus. Jungen und junge Männer sehen sich mit modernen Partnerschafts- und Familienmodellen konfrontiert und mit einer Arbeitswelt, die immer weiter von einer industriellen, männlich geprägten Arbeitswelt hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft – eher weiblich konnotiert – wandelt.
Daraus ergeben sich aber auch Chancen für Jungen und Männer. Schließlich wollen viele Männer überhaupt nicht in das enge gesellschaftliche Korsett passen, das ihnen eine Ernährerrolle zuweist. Auch im Erwerbsleben ergeben sich neue Möglichkeiten, die bislang vielleicht für Jungen noch nicht so in den Blick geraten sind.
Bislang entscheiden sich viel zu wenige Jungen für soziale, erzieherische oder pflegerische Berufe, selbst wenn es eventuell ihren Interessen entsprechen würde. Denn auch die Berufswahlorientierung ist geprägt von Rollenbildern. Ob bewusst oder unbewusst, werden Mädchen und Jungen oftmals weiterhin in sogenannte klassische Berufszweige gelenkt.
Ich stimme daher dem Antrag der FDP-Fraktion zu, dass der Boys‘ Day ein Beitrag zur geschlechtersensiblen Berufswahlorientierung und Lebensplanung leisten kann.
Aber genauso wenig wie der Girls’ Day darf der Boys‘ Day eine „Eintags-Ausflugs-Fliege“ in eine vielleicht andere Welt sein. Er muss eingebettet sein in ein Übergangssystem, das Geschlechtersensibilität als einen wichtigen Baustein zur Berufswahlorientierung sieht.
(Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])
Deshalb ist es wichtig, dass das neue Übergangssystem „Kein Abschluss ohne Anschluss“ die geschlechtersensible Berufswahlorientierung stärkt und so Jungen und Mädchen gleichermaßen hilft, Potenziale zu heben, die sonst vielleicht unentdeckt bleiben würden.
Meine Damen und Herren, Sorgeberufe gelten hierzulande weiterhin als sogenannte Frauenberufe. Sie sind schlecht bezahlt, bieten schlechte Aufstiegschancen und sind oft genug nur in unfreiwilligen Teilzeitarbeitsverhältnissen zu machen. Mit dem Bild des männlichen Alleinernährers scheint das wenig kompatibel. Das schlägt sich auch in den Zahlen nieder. Gerade einmal knapp 16 % des Personals in den Gesundheitsberufen ist männlich. Auch in den Sozial- und Erziehungsberufen ist die Quote mit knapp 25 % durchaus ausbaufähig. Dabei ist immerhin erfreulich, dass der Anteil männlicher Beschäftigter in absoluten Zahlen in den letzten Jahren angestiegen ist. Scheinbar erkennen auch Jungs und Berufsberaterinnen und Berufsberater langsam, dass Care-Tätigkeiten ein Zukunftsfeld sind. Diese Entwicklung gilt es, konsequent zu unterstützen.
Wo ich Ihnen allerdings eindeutig widersprechen möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP – und ganz konfliktfrei kann so eine Diskussion auch nicht laufen –, ist Ihre Formulierung, nach der soziale, erzieherische und pflegerische Berufe aufgewertet und eine höhere Wertschätzung erfahren müssen, damit sich mehr Jungen dafür entscheiden.- Es ist eine Frage gesellschaftlicher Wertschätzung und Anerkennung erbrachter Leistungen, um die es gehen muss. Diese haben sich Frauen, die überwiegend in diesen Bereichen arbeiten, schon lange mehr als verdient.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Mädchen und Jungen brauchen geschlechtersensible Angebote bei der Überstützung ihrer Lebensplanung, die Differenzen zwar benennt, sie aber nicht zementiert und vor allem noch Platz für Individualität und die Vielfalt innerhalb der Geschlechtergruppen lässt. Girls’ Day und Boys‘ Day können dabei wichtige und sinnvolle Bausteine sein.
Noch eine kurze Anmerkung zu Ihrer Forderung, die nicht explizit in Ihrem Antrag auftaucht, nach dem Boys‘ Day im Landtag. Dagegen habe ich nicht grundsätzlich etwas. Es ist nur eine Frage der Ausgestaltung. Denn es geht auch darum, das Abgeordnetendasein als ein Tätigkeitsfeld vorzustellen. Ich würde doch sagen, dass die Erhöhung des Männeranteils im Landtag bei einer momentanen 2/3-Mehrheit männlicher Abgeordneter vielleicht nicht ganz die sinnvollste Fördermaßnahme ist.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU)