Josefine Paul: „Demokratie lebt von einer aktiven Zivilgesellschaft“

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN zur Demokratie

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Für die Geschichte von Demokratie und Freiheit in Deutschland ist dies ein ganz besonderes Jubiläumsjahr: 100 Jahre Weimarer Reichsverfassung und in Verbindung damit auch 100 Jahre Frauenwahlrecht, 70 Jahre Grundgesetz, aber eben auch 30 Jahre friedliche Revolution.
Das alles sind Anlässe, die Grund zur Freude und Grund zum Feiern sind; beschreiben sie doch den positiven Kampf für Freiheit und Demokratie, der in der ersten deutschen Demokratie, dem demokratischen Wiederaufbau nach der Barbarei der Nazis und nicht zuletzt im friedlichen Protest für eine Überwindung der deutschen Teilung zum Ausdruck kommt.
Das darf andererseits aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, welch tiefe Einschnitte diesen Ereignissen vorausgegangen waren: der Erste Weltkrieg als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts mit fast 10 Millionen toten Soldaten und noch einmal so vielen zivilen Opfern.
Die erste deutsche Demokratie von Weimar und der Völkerbund sollten die demokratische und humane Antwort auf übersteigerten Nationalismus und Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein.
Im Zweiten Weltkrieg, an dessen Beginn vor 80 Jahren wir auch in diesem Jahr erinnern, hat sich dieser Wunsch auf grausame Weise zerstreuen müssen. Er wurde auf grausame Weise zunichtegemacht.
Auch die erste deutsche Demokratie stand unter keinem guten Stern, und dabei – und es ist wichtig, das immer wieder zu unterstreichen – war ihr Ende keinesfalls eine historische Zwangsläufigkeit.
(Helmut Seifen [AfD]: Das ist richtig!)
Doch ihre Feinde waren mächtig, und ihre halbherzigen Verteidiger glaubten zu lange, dass antidemokratische Kräfte sich einhegen ließen. Weimar ist am Ende nicht an mangelnder Wehrhaftigkeit auch seiner Institutionen gescheitert, vor allem sind die Weimarer Republik und die erste deutsche Demokratie an mangelnder Haltung gescheitert.
Demokratie war und ist eine Frage klarer Haltung, und das dürfen wir auch und gerade in der aktuellen Situation nicht aus dem Blick verlieren.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Demokratie lebt von einer aktiven Zivilgesellschaft, sie lebt von den Menschen, die sie mit Leben füllen und, wenn es nötig ist, unsere Demokratie auch verteidigen.
Sehr geehrte Damen und Herren, der friedlichen Revolution vor 30 Jahren waren 40 Jahre deutscher Teilung vorausgegangen. Vor 30 Jahren gingen Menschen in der DDR für ihre Freiheit auf die Straße. Dieses Engagement für Freiheit und Demokratie war die einzige unblutige Revolution in der deutschen Geschichte.
Möglicherweise ist das in der wechselvollen und leider zu häufig blutigen Geschichte Deutschlands eine Gnade des historischen Schicksals. Es ist aber vor allem das Verdienst der Frauen und Männer, die mutig und gewaltlos für Meinungsfreiheit und freie Wahlen auf die Straßen gegangen sind.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Nicht zuletzt ist unser Grundgesetz eine Lehre aus dem Scheitern der Weimarer Demokratie und auch aus der unmenschlichen Grausamkeit des Nationalsozialismus. Art. 1 des Grundgesetzes beschreibt daher: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das muss Kern all unseres politischen Handelns sein.
Der Anspruch des Art. 1 aus unserem Grundgesetz ist absolut und allumfassend, und deshalb wehren wir uns gegen all diejenigen, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihrer sozialen Stellung, einer Behinderung oder ihrer sexuellen Identität abwerten, diskriminieren oder gar mit Gewalt bedrohen.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Der 70. Geburtstag unseres Grundgesetzes ist aber nicht nur Anlass zur Rückschau. Ich finde, es bietet einen sehr guten Anlass, auch nach vorne zu schauen. Demokratie verändert sich, weil sich Gesellschaften verändern. Demokratie bietet die Möglichkeit, dass Gesellschaften genau das tun können. Deshalb können sich auch Verfassungen verändern, weil sie unser Zusammenleben regeln. Dieses Zusammenleben muss an vielen Stellen immer wieder mit-einander ausgehandelt werden.
Vor 100 Jahren ist das Frauenwahlrecht eingeführt worden. Wir erleben leider, dass die Repräsentanz von Frauen im politischen Bereich, auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen nach wie vor nicht gleichberechtigt umgesetzt ist. Deswegen hat der Verfassungsgesetzgeber den Art. 3 Abs. 2 weiterentwickelt und ihn zu einem Auftrag zur Gleichberechtigung gemacht. Ich finde, 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechtes wäre auch eine gute Zeit, diesen Verfassungsauftrag endlich umzusetzen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Es wäre aber auch eine gute Zeit, um über eine weitere Erweiterung des Art. 3 um das Merkmal sexuelle Identität nachzudenken; denn Grundrechte gelten für alle. Es wäre ein wichtiges Zeichen, nicht zuletzt als Rehabilitierung für das Unrecht, was nach dem § 175 homosexuel- len Männern in der Bundesrepublik geschehen ist.
Es wäre auch Zeit dafür, Kinderrechte im Grundgesetz festzuschreiben; denn sie müssen besonders geschützt werden, sie müssen aber auch als aktiver Teil unserer Gesellschaft mit eigenen Rechten innerhalb unserer Gesellschaft anerkannt werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Unser Grundgesetz ist die Grundlage für eine offene Gesellschaft, es ist ein Dach für alle. Das heißt, wir sollten diesen 70. Geburtstag zum Anlass nehmen, dieses Dach für alle an den Stellen, die ich gerade genannt habe, zu erweitern.
Heute ist aber auch ein guter Tag, um über den Tellerrand zu blicken, denn das Grundgesetz garantiert uns Grundrechte, die weltweit leider keine Selbstverständlichkeit sind.
Dabei haben eigentlich alle Menschen weltweit das Recht, unter universell verbrieften Menschenrechten zu leben. Ein Anspruch, der leider in allzu vielen Regionen der Welt nicht eingelöst wird.
Aber auch innerhalb Europas werden demokratische Grundrechte infrage gestellt. Dabei ist Europa ein einzigartiges Projekt von Frieden, Verständigung, Freiheit, aber auch Toleranz und Akzeptanz von Unterschiedlichkeiten. Es ist das Projekt, was im Nachgang des leider auch gescheiterten Völkerbundes zu den 70 Jahren Frieden in einem sonst so zerrütteten Kontinent beigetragen hat.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)
Dieses Zeichen von Frieden und Freiheit wollen wir stärken. Wir wollen das vor allem auch mit einem Signal am Sonntag stärken. Denn ich glaube, uns eint hoffentlich in diesem Hohen Haus der Grundsatz, dass wir glauben können, dass Europa die beste Idee ist, die Europa je hatte. Die beste Idee ist, Frieden und Freiheit für alle Menschen, zumindest in Europa, aber in der Strahlkraft für die Menschen weltweit einzulösen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)