Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Leider – möchte man fast sagen – überrascht es einen ja nicht, dass Sie hier einen solchen Antrag einbringen. Trotzdem muss ich sagen – wie Frau Kollegin Kopp-Herr –, dass auch mich der erste Absatz noch einmal nachgerade fassungslos gemacht hat, wenn da der „Zugang zu sicheren Verhütungsmitteln“ und die „voranschreitende Agenda der Gleichstellung“ als jahrzehntelange Fehlentwicklung beschrieben werden und mithin ja das Selbstbestimmungsrecht von Frauen generell. Dass Sie sich trauen, ein derart antiquiertes Frauenbild, ein derart rückwärtsgewandtes Bild hier so offen vorzutragen, das überrascht einen dann doch ein Stück weit.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Susanne Schneider [FDP])
Entscheidungsfreiheit nicht zuletzt von Frauen mag Ihnen fremd sein. Aber das ist auch ein ganz, ganz wichtiger Grundpfeiler unserer Demokratie, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Dazu gehört auch die Entscheidungsfreiheit von Frauen. Diese Entscheidungsfreiheit wird in Ihrem Antrag problematisiert als „neue Ansprüche und eine veränderte Lebensplanung“. Da kann ich nur sagen: Willkommen im 21. Jahrhundert. Glücklicherweise leben wir hier in einer emanzipierten Gesellschaft, die ein deutlich anderes Bild von der Vielfalt der Lebensformen hat.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das Gesellschaftsbild, das sich durch diesen Antrag zieht, ist reaktionär, es ist rückwärtsgewandt, und es hat mit der Vielfalt der Lebensformen, mit der Vielfalt der Formen des Zusammenlebens, mit der Vielfalt von Familienformen nichts zu tun. Es hat auch mit den Bedarfen von Familien in diesem Land überhaupt gar nichts zu tun. Denn Sie gehen ja gar nicht darauf ein, welche unterschiedlichen Bedarfe Familien in diesem Land haben, weil Sie ja eine sehr festgefügte Meinung haben, dass Elternschaft gefälligst in einem jungen Alter zu passieren hat. Alles andere wird ja in diesem Antrag auch diskreditiert.
Sehr geehrte Damen und Herren, Vereinbarkeit in den unterschiedlichsten Lebensphasen – darüber wird in diesem Antrag übrigens auch kein Wort verloren – ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die mit unterschiedlichsten Maßnahmen unterstützt werden muss. Dass Ihr Antrag in den Beschlusspunkten so dünn bleibt, dass er mal allgemein formuliert „Da müsste mal was gemacht werden“, zeigt doch ganz deutlich, wie durchsichtig dieses politische Manöver hier ist und worum es Ihnen eigentlich wirklich geht. Es geht Ihnen nur um Ihr antiquiertes Gesellschaftsmodell.
(Beifall von den GRÜNEN und Regina Kopp-Herr [SPD])
Um die Unterstützung junger Eltern in Ausbildung, aber auch im Studium muss es natürlich gehen. Dann muss es auch um die Frage gehen, wie wir auch Teilzeitausbildungen weiter unterstützen können. Wie können wir dieses System ausbauen? Wo sind gegebenenfalls Hemmnisse? Wie können auch Beratung und Begleitung von jungen Eltern in der Teilzeitausbildung noch verbessert werden? Da gibt es ganz sicher noch weitere Ansatzmöglichkeiten.
Die Vereinbarkeit hat aber vor allem etwas mit Rahmenbedingungen zu tun. Darauf wird in dem Antrag ja auch nicht eingegangen. Wir erleben insbesondere in der aktuellen Phase, dass es die soziale Infrastruktur ist, die vor allem auch junge Familien unterstützt, zum Beispiel nicht nur über die Kitas, aber auch und gerade über die Familienzentren, über eine Stärkung der sozialen Arbeit auch in den Quartieren.
Wir müssen auch über die Frage von Hilfen aus einer Hand reden. Also: Wo können Familien hingehen und bekommen aus einer Hand Hilfe und Richtungsweisendes durch den Dschungel der familienbezogenen Leistungen?
Wir müssen auch reden – das möchten Sie wahrscheinlich eher nicht; ich möchte das schon – über flexiblere Eltern-, aber auch Pflegezeitmodelle, Pflegezeit im Übrigen auch samt Lohnersatzleistungen statt Darlehensangeboten.
Wir müssen reden über flexiblere Arbeitszeitmodelle samt Rückkehrrecht auf Vollzeit.
Der öffentliche Dienst beispielsweise hat ja auch eine Vorbildfunktion, was Arbeitszeitkonten beispielsweise angeht, was aber auch die Frage von Führen in Teilzeit angeht, was eine familienorientierte Personalpolitik angeht, die im Übrigen nichts mit dem Alter der Eltern zu tun hat, sondern schlicht und ergreifend damit, dass ein öffentlicher Dienst und auch Wirtschaftsunternehmen ein Interesse daran haben, eine familienorientierte Personalpolitik zu betreiben, um auch morgen noch gute Fachkräfte gewinnen zu können.
(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])
Reden müssen wir auch über die Zukunft der Kompetenzzentren Frau und Beruf. Richtig, ja, das haben Sie zwar erwähnt in Ihrer Rede, aber warum wir darüber reden müssen, kommt weder in Ihrer Rede noch in diesem Antrag vor. Ja, die Kompetenzzentren Frau und Beruf kümmern sich vor allem auch darum, dass kleine und mittelständische Unternehmen bei der frauen- und familienorientierten Personalpolitik unterstützt werden.
Sie sehen: Es gibt vielfältige Ansätze und vielfältige Herausforderungen, die durch Vereinbarkeit und eine familienorientierte Politik beantwortet werden müssen. Sie haben aber offenkundig gar kein Interesse daran, wirklich ernsthaft auf diese Fragen einzugehen.
Vereinbarkeit setzt einen verlässlichen Rahmen für eine tatsächliche Wahlfreiheit für individuelle Lebensentwürfe voraus, weil Menschen in diesem Land selber entscheiden können, wann und ob sie Kinder haben wollen.
Sie haben vorhin gesagt, diese Entwicklungen wären schlecht für das Land. Das von Ihnen hier propagierte Gesellschaftsbild wäre schlecht für das Land. Doch zum Glück ist dieses Land bunter, emanzipierter und gleichberechtigter. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)