Josefine Paul: „Computerspiele sind heute ein modernes Kulturgut“

Antrag der Piraten zum e-Sport

Portrait Josefine Paul

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Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich auch einmal der Bewertung der Kolleginnen und Kollegen anschließen und zum Ausdruck bringen, dass ich es sehr schade finde, dass wir diesen Antrag heute direkt abstimmen. Denn ich denke – das hat die Debatte bislang, glaube ich, schon durchaus deutlich gemacht –, dass dieses Thema viel Anlass zu intensivem Austausch bietet und es auch noch intensiven Anlass dazu gibt, also es notwendig ist, dieses Thema eingehender zu diskutieren. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass Sie den Antrag überweisen. Das wollen Sie so nicht. Das ist schade. Das stellen wir an der Stelle erst einmal so fest.
Wir können aber auch feststellen, dass eSport ein wachsender Markt mit einer wachsenden Profiszene, aber auch ein wachsender Bereich der Freizeitgestaltung ist. Vor wenigen Wochen – Herr Kollege Lamla hat es schon erwähnt – ist auch der traditionsreiche FC Schalke 04 in den Profi-eSport eingestiegen. Also, aus S 04 wird wohl nun „Königsblau 4.0“.
Unbestritten ist also, dass eSport viele Menschen begeistert, ob als aktiver Spieler oder Spielerin oder aber als Zuschauerin und Zuschauer. Ich denke, wir können auch davon sprechen, dass eSport eine eigene Jugendkultur ist. Jugendkulturen zeichnet allerdings auch aus, dass sie nicht immer mit den gängigen Formen von Strukturen usw. kompatibel sind, sodass sie sich nicht immer ganz so leicht in diese Formen pressen lassen.
Das wiederum macht aber auch einen gewissen Grad ihres Innovationspotenzials aus, mit dem sie oftmals auch gesellschaftliche Entwicklungen befördern. Wir werden beobachten, in welche Richtung sich der eSport weiterentwickelt, und wir werden auch weiter diskutieren, was das für die Struktur und Organisation des eSports bedeutet und damit eben auch für möglicherweise strukturelle Einbindung und Einbettung des eSports.
Kernfrage der heutigen Debatte ist aber, ob es sich beim eSport auch um einen Sport im Sinne der Anerkennung durch den organisierten Sport bzw. der Anerkennung als gemeinnützig handelt. Sport, das hat der Kollege Lamla ja richtigerweise schon gesagt, ist als Begriff nicht genau definiert. Der DOSB hat einige Kriterien in seiner Aufnahmeordnung definiert, unter anderem, dass die jeweilige Sportart eine eigene sportbestimmende motorische Aktivität zum Ziel haben muss. Weiter führt er aus, ich zitiere:
„Diese eigenmotorische Aktivität liegt insbesondere nicht vor bei Denkspielen, Bastel- und Modellbautätigkeit, Zucht von Tieren, Dressur von Tieren ohne Einbeziehung der Bewegung des Menschen und Bewältigung technischen Gerätes ohne Einbeziehung der Bewegung des Menschen.“
Damit wären wir auch bei einem ersten Problem, nämlich der Fragestellung: Wie viel ist beim eSport technisches Gerät und wie viel ist tatsächlich motorische Aktivität der Spielenden? Auch der vom Kollegen Lamla schon erwähnte Prof. Ingo Froböse der Sporthochschule in Köln kommt zu dem Schluss, dass vor allem im Bereich des Profisports bzw. der intensiven leistungsbezogenen Ausübung des eSports tatsächlich eine körperliche Anspannung und nervliche Belastung typisch für Sportler und Sportlerinnen anzutreffen ist, beispielsweise vergleichbar mit der Belastung beim Bogenschießen.
Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, das von Ihnen im Antrag aufgegriffene Beispiel des Schachs finde ich persönlich kein ganz so treffendes Beispiel. Zwar ist Schach tatsächlich als Sportart anerkannt, aber ich denke, das ist eher zurückzuführen auf die Gnade der frühen Anerkennung. Denn nach den geltenden Kriterien würde Schach heute auch nicht mehr so einfach als Sport anerkannt werden.
Prof. Froböse stellt allerdings auch fest, und das finde ich in der Tat interessant auch mit Blick auf Ihren Antrag, dass es im Bereich des eSports an Transparenz und Organisation fehlt. Die Tatsache, dass Unternehmen oftmals als Veranstalter großer Turniere auftreten, erschwert dabei die Anerkennung durch den traditionellen Sport. Auch bei der Frage der Gemeinnützigkeit muss die Frage erlaubt sein, welche Rolle Spielehersteller etc. eigentlich spielen.
Dass sich eine Demokratisierung der Strukturen aus der Anerkennung als gemeinnützige Sportart ergeben würde, darf in diesem Zusammenhang durchaus als gewagte These bezeichnet werden. Und vielmehr müsste doch aus meiner Sicht andersherum ein Schuh daraus werden. Das heißt, wir brauchen doch eine transparente demokratische Organisation auch der Gamer-Szene, um anschließend sagen zu können: Hier handelt es sich möglicherweise auch um eine Organisationsform, die gemeinnützig ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das aktive Spielen ist sicherlich weit weniger dröge als die recht bürokratische Debatte über die Anerkennungsfähigkeit als gemeinnützig im Sinne des Sports. Trotzdem kann ich uns ein paar rechtliche Anmerkungen nicht ersparen; denn das von der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus beim wissenschaftlichen Dienst in Auftrag gegebene Gutachten kommt zu dem Schluss, dass es sich bei eSports nicht um Sport im Sinne der Aufnahmeordnung des DOSB handelt. Es kommt aber auch zu dem Schluss, dass die Handlungsmöglichkeiten – und darauf ist ja bereits hingewiesen worden – der Landespolitik mehr als begrenzt sind: Zum einen haben die Länder gar keine Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Abgabenordnung des Bundes, und zum anderen gilt es auch immer, die Autonomie des Sports zu beachten. Das heißt, und darauf wurde ja auch bereits hingewiesen, dass eine Anerkennung konträr zur Auffassung des DOSB, was eben die Sportmäßigkeit des eSports angeht, wenn man diesem Gutachten folgen würde, einen unzulässigen Eingriff in die Autonomie des Sports darstellen würde. Und die ist immerhin auch verfassungsrechtlich verbrieft.
Und Sie, liebe Piraten, fordern die Landesregierung ja lediglich – das will ich Ihnen mal zugutehalten – auf, sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen – was auch immer das in seiner Unzielgerichtetheit heißen mag. Trotzdem glaube ich nicht, dass es mit diesem wohlfeilen Appell getan ist. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema erfordert breiteren Raum zur Debatte. Das ist jetzt schon oft gesagt worden: Diesen Raum wollen Sie uns zu dieser Auseinandersetzung, zu dieser notwendigen Debatte, ja nicht geben.
Ich komme an dieser Stelle noch einmal darauf zurück, dass ich denke, dass es eine intensive Diskussion dazu braucht. Und der Antrag in der von Ihnen vorgelegten Form überspringt schlicht und ergreifend diese aus meiner Sicht notwendige Debatte. Dazu will ich Ihnen auch fünf Punkte nennen, die ich noch für sehr diskussionswürdig halte:
Erstens. Computerspiele sind heute ein modernes Kulturgut. Ich denke, darüber können wir uns soweit einig sein. Das wirft für mich aber die Frage auf, ob wir die Diskussion um die Gemeinnützigkeit rein über § 52 Abs. 2 Nr. 21 Abgabenordnung, also den Bereich des Sports, führen sollten, oder ob wir nicht auch – ich meine, das wäre durchaus ein, zwei Gedanken wert – über Nr. 5, also Kunst und Kultur, in diesem Zusammenhang sprechen sollten.
Zweiter Punkt. Wie sieht es denn überhaupt aus mit dem Diskussionsstand mit dem Landessportbund? Haben Sie hinsichtlich dieser Frage auch schon einmal Gespräche mit dem Landessportbund geführt? – Denn die Aufnahmerichtlinien des DOSB besagen, dass eine Sportart von mindestens acht Landessportverbänden anerkannt werden muss, bevor eine Anerkennung beim DOSB beantragt werden kann. Das heißt im Umkehrschluss, dass dem Landessportbund Nordrhein-Westfalen in diesem Zusammenhang wesentlich mehr Handlungsspielräume zukommen, als sie die Landesregierung hat.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Lamla zulassen?
Josefine Paul (GRÜNE): Ja, natürlich.
Lukas Lamla (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. Ich sitze hier und frage mich – das ist eine relativ einfache Frage, vielleicht können Sie mir die beantworten: Wenn Sie doch so gerne im Ausschuss darüber sprechen wollen, wieso haben Sie oder die Grünen diesen Antrag noch nicht gestellt?
Josefine Paul (GRÜNE): Das ist ungefähr die witzigste Verkehrung von Ursache und Wirkung, die ich heute gehört habe.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie stellen einen Antrag, wollen nicht darüber debattieren, wollen eine Schaufensterdebatte führen, damit Sie sich bei den Gamern auf der gamescom lieb Kind machen können.
(Michele Marsching [PIRATEN]: Das können wir auch so! Dafür brauchen wir keinen Antrag!)
Wenn Sie so gerne debattieren wollen, dann stellen Sie den Antrag doch gleich selber. So viele parlamentarische Spitzfindigkeiten muss man erst einmal bringen, Herr Kollege Lamla.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich hätte durchaus noch drei weitere Punkte, die ich Ihnen für den nächsten Antrag, den Sie vielleicht dann zur Überweisung stellen, mit auf den Weg geben möchte, damit wir miteinander noch weiter reden können:
Dritter Punkt. Wir brauchen mehr valide Daten. Die Debatte bewegt sich auf der rein motorischen Ebene doch zwischen der anspruchsvollen körperlichen Tätigkeit – wie die einen und auch Sie sagen. Da spricht durchaus etwas für. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die sagen, dass die Kids, die heute vor dem Computer sitzen, morgen die Übergewichtigen mit Diabetesproblemen sind. – Diese Debattenlage haben wir. Ich finde, wir brauchen mehr valide Daten, wir brauchen mehr Forschung zu diesem Bereich.
Vierter Punkt. Wenn wir davon ausgehen, dass eSport eine Jugendkultur ist, was heißt das dann für die Jugendarbeit in den Vereinen und Teams? Gibt es diese Jugendarbeit schon oder gehen auch Sie in diesem Punkt davon aus, dass man erst einmal die Gemeinnützigkeit feststellen müsste, und dann würden sich diese Strukturen schon von selber ergeben? – Auch darüber würde ich gerne noch eingehender debattieren.
Der letzte Punkt ist die Frage, welche Rolle wirtschaftliche Akteure in der Organisation des eSports spielen. Denn die Abgabenordnung schreibt ja im § 52 Abs. 1 fest, dass eine Körperschaft dann gemeinnützige Zwecke verfolgt, ich zitiere:
„wenn Ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.“
Diese Frage der Selbstlosigkeit stellt sich im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Unternehmen aus meiner Sicht durchaus. Auch das gilt es zu klären.
Insofern appelliere ich noch einmal an Sie: Lassen Sie uns die offenen Fragen gemeinsam diskutieren, und zwar auf Basis Ihres Antrags; denn Sie können uns doch nicht sagen, wenn wir gerne diskutieren würden, sollten wir den Antrag selber stellen. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich hier nur um politische Spielchen handelt, damit Sie bei der gamescom etwas in der Hand haben. Dem werden wir so nicht folgen können. Das ist schade und auch nicht im Sinne der Gamerinnen und Gamer. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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