Johannes Remmel: „Wir stehen am Anfang eines tiefgreifenden Umbruchs unserer Städte“

Aktuelle Stunde u.a. auf Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Schließungswelle bei Kaufhof-Karstadt

Johannes Remmel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht so ganz einfach, nach dieser eindrucksvollen Debatte, die auch mich bewegt hat, den Übergang ins Tagesgeschäft zu finden. Aber ich habe jetzt diese Aufgabe und werde es versuchen.
Was liegt bei dem Thema „Galeria Karstadt Kaufhof“ eigentlich näher, als nostalgisch zu werden. Ich bin Jahrgang 1962 und kenne es nicht anders, als beim Einkaufen in der Innenstadt meiner Heimatstadt auch bei Kaufhof und Karstadt vorbeizugehen. Das gilt bis heute. Die Kolleginnen und Kollegen, die jüngeren Datums sind, müssen das so verstehen: Was Sie heute im Internet als Marktplatz der Möglichkeiten und der unbegrenzten Warenwelt erleben, waren und sind für uns Karstadt und Kaufhof.
Aber es geht eben nicht um Nostalgie und Vergangenheit. Man könnte sagen: Für die Älteren lassen wir ein paar Kaufhäuser denkmalgeschützt stehen, damit sie auch noch was im Leben haben. – Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen am Anfang eines tiefgreifenden Umbruchs unserer Städte. Wir stehen deshalb am Anfang, weil das, was Jahrtausende Stadt ausgemacht hat, nämlich Markt und Handel, Stadt nicht mehr braucht.
Handel findet zunehmend virtuell statt. Deshalb sind die Städte herausgefordert, diese Herausforderung mit neuen Möglichkeiten, die die Stadt bietet, zu beantworten. Dabei kann man achselzuckend am Rande stehen und sagen, wie es ein Teil des Parlaments wahrscheinlich tun wird: Das ist die Marktentwicklung. – Nein, sage ich dagegen, wir müssen den Anspruch haben, dies zu gestalten, und zwar demokratisch und mit Mitsprache.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es ist schon verrückt, was derzeit passiert. Wir befinden uns in der Hochphase einer weltweiten Krise, gleichzeitig aber sind die Börsen in Feierlaune.
Aus der Realwirtschaft hören wir allerdings täglich Hiobsbotschaften. Am Freitag letzter Woche kam dann die Ankündigung von Galeria Karstadt Kaufhof, auf einen Schlag 62 der 172 Filialen dichtzumachen, davon 18 – also mehr als nach dem Königsteiner Schlüssel – in NRW. Am Sonntag setzte der Konzern noch eines drauf: 20 der 30 Sporthäuser stehen zur Disposition, insbesondere auch wieder in Nordrhein-Westfalen.
Man muss sich das mal vorstellen: Mitten in der Coronakrise will eines der größten deutschen Einzelhandelsunternehmen 6.700 Beschäftigten einfach den Stuhl vor die Tür stellen. Ich frage da nur mal ganz vorsichtig. Ich habe mir die Presseschau der letzten Tage angeschaut. Wo, bitte schön, ist da die Landesregierung? Kein Ministerpräsident,
(Beifall von Monika Düker [GRÜNE])
kein Wirtschaftsminister – ein kleiner Artikel im „Handelsblatt“ –, keine Städtebauministerin! Wo bleibt an dieser Stelle die Landesregierung mit ihrer Initiative?
(Beifall von den GRÜNEN)
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Arbeitsminister, sehr geehrter Herr Pinkwart, sehr geehrte Frau Scharrenbach, jetzt gilt es, unmissverständlich persönlich zur Verfügung zu stehen, mit allen Mitteln an der Seite der Beschäftigten, an der Seite der Kommunen und Städte, an der Seite der Gewerkschaften zu stehen. Zwingen Sie den Konzern an den Tisch, ringen Sie um jeden Arbeitsplatz, ringen Sie um jeden Standort, ringen Sie um jede Immobilie und die Zukunft unserer Städte!
Das Mindeste, was wir den Beschäftigten jetzt schuldig sind, ist ein Sozialplan, der seinen Namen verdient, ist eine Auffanggesellschaft, die die Menschen qualifiziert und verpflichtet, für die Dauer dieser Krise niemanden einfach auf die Straße zu setzen. Man muss sich das mal bewusst machen: Während Tausende kleine Einzelhändler seit Monaten versuchen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft aus dem privaten Vermögen durch die Krise zu ziehen, nutzt ein Großkonzern hier ganz offensichtlich auf zynische Weise die Gunst der Stunde. Um es klar zu sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Ich glaube, das Ganze hat Methode.
Seit der Übernahme durch die SIGNA Holding im Jahr 2018 war die Strategie klar abzusehen. Nicht einen Tag lang ging es darum, Traditionskaufhäuser zu erhalten. Alles, woran dieser Konzern interessiert ist, sind konzerneigene Immobilien. Allesamt bezahlt, allesamt in A-Lagen, Spekulationsobjekte, wie gemacht für jede erdenkliche Schweinerei – sage ich da mal – am Immobilienmarkt!
Die Erfahrungen mit früheren Schließungen in Innenstädten dürfen sich einfach nicht wiederholen. Klar ist, in Düsseldorf wird es wahrscheinlich keine Probleme geben. Aber denken wir an Witten, denken wir an Brühl und an Gummersbach. Aber auch in größeren Städte wie Dortmund wird es genauso wie in Essen Probleme geben.
Neben diesen Beschäftigten sind es gerade die Städte mit ihren Möglichkeiten und zukünftigen Chancen in den Innenstädten, die unsere Solidarität brauchen. Wir brauchen Solidarität mit der kommunalen Familie. Holen Sie die Städte an einen Tisch, machen Sie schnell, und machen Sie dem Konzern vor allem eines klar: Spekuliert wird in Nordrhein-Westfalen nicht. Und wenn es nötig ist, dann werden wir alle Möglichkeiten des Baugesetzbuches einsetzen, um das zu verhindern!
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich meine, dass es durchaus sinnvoll ist, das Baugesetzbuch mal bis zum Ende anzusehen, wenn es um die Probleme in unseren Innenstädten geht. Es ist allerhöchste Zeit, auch die Innenstadtentwicklung und die Politik der Stadtentwicklung vom Kopf auf die Füße zu stellen. Es ist eben nicht mehr der Einzelhandel, der für attraktive Innenstädte sorgt, wie das von Ihnen immer noch mit ein paar Veränderungen in Richtung Digitales angedacht wird. Es sind attraktive Innenstädte, die überhaupt erst ein Mindestmaß an stationärem Einzelhandel ermöglichen. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht trivial. Es geht darum, dass unsere Städte und Gemeinden auch finanziell für die Zukunft handlungsfähig werden. Deshalb gehört zum Beispiel ein Altschuldenfonds dazu,
(Beifall von den GRÜNEN)
um diese Option für die Zukunft zu ermöglichen. Es geht nicht darum, das Vergangene besser zu machen, sondern es geht darum, die Chancen der Zukunft zu nutzen. Das geht nur mit Investitionen. Wenn man kein Geld in der Tasche hat, kann man eben nicht investieren. Es geht darum, nicht nur Folklore und Fachwerk zu betreiben, sondern sich auch mit Vorkaufsrechten, Sanierungssatzungen und Neuordnungsverfahren zu beschäftigen. Dafür brauchen die Kommunen Ihre und unsere Unterstützung.
Kommen Sie mir nicht mit dem, was Sie möglicherweise nächste Woche im Coronahaushalt verkünden. Ein paar Informationsveranstaltungen für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker helfen da nicht weiter. Wir brauchen neue Prioritäten in der Städtebauförderung, die gerade diese Attraktivität unserer Innenstädte ermöglichen und unterstützen.
Präsident André Kuper: Herr Kollege, die Redezeit ist abgelaufen.
Johannes Remmel (GRÜNE): Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, dass das heute der Anfang einer Initiative des Landes ist, die die Städte und Gemeinden, die derzeit in Not sind, und vor allem die Beschäftigten unterstützt. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Johannes Remmel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte hat gezeigt: Sie sind kalt erwischt worden.
(Lachen von Thorsten Schick [CDU])
Was macht man, wenn man kalt erwischt worden ist? – Man findet erst einmal warme Worte für die Beschäftigten und für die Städte. Aber von Ihnen kommt nichts Konkretes – kein einziger Vorschlag.
Was macht man, wenn die warmen Worte nicht reichen? – Dann versucht man, den Schwarzen Peter an andere zu schieben.
(Zuruf Ralph Bombis [FDP])
Die Gewerkschaften, Herr Bombis, die zu viel fordern, sind auch mit schuld.
(Ralph Bombis [FDP]: Ach, bitte!)
Das Management ist schuld. Aber sagen, was man selbst tun will? – Fehlanzeige. Stattdessen kommt man auf alte Kamellen wie verkaufsoffene Sonntage. Wenn man in der Sackgasse ist, muss man also noch mal richtig Gas geben, damit man auch vor die Wand fährt. Genau das brauchen wir in der jetzigen Situation eben nicht.
(Zurufe von Ralph Bombis [FDP] und Franziska Müller-Rech [FDP])
Was macht man also, wenn man kalt erwischt worden ist? – Man macht ein Sofortprogramm, wie die Ministerin verkündet. Jetzt legt man aber richtig los.
Das Ganze zeigt aber doch, dass Sie drei Jahre lang ein Versprechen nicht eingelöst haben. Manche haben es als billige Propaganda kritisiert, dass Sie immer den Begriff „NRW-Koalition“ vor sich hertragen. Es sei sozusagen der Versuch, eine erfolgreiche Marke für sich zu vereinnahmen.
Ich habe das ernst genommen. Ich habe es als Versprechen verstanden, sich für das ganze Land einzusetzen. Sich für das ganze Land einzusetzen, heißt aber, auch die Städte im Programm zu haben und nicht nur den ländlichen Raum.
(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])
Was haben Sie stattdessen gemacht? – Sie haben „Städtebauförderung“ aus dem Namen des Ministeriums gestrichen und durch den Begriff „Heimat“ ersetzt. Die Städte kamen nicht mehr vor. Quartiersförderung? – Gestrichen. Stattdessen: Heimatförderung, Gießkanne für alle, 2.000-Euro-Schecks über das ganze Land verteilt.
Wo ist die Städtebauförderung in der Konzeption und nach vorne gerichtet, um Fragen zu beantworten, die die Zeit stellt? – Nichts ist passiert.
Man muss sich doch nur Ihren Antrag anschauen, mit dem Sie die Innenstädte mit zusätzlichen Initiativen im Handel stärken wollen. Er ist in der Anhörung durchgerasselt.
Alle Expertinnen und Experten haben Ihnen ins Stammbuch geschrieben: Wir müssen außerhalb des Handels schauen, wie wir die Innenstädte stärken, und zwar im Bereich des Wohnens, im Bereich der Bildung, im Bereich der Kultur.
Null Initiativen gab es bisher von der Ministerin. Jetzt kommt sie auf einmal um die Ecke. Das heißt nicht, dass Ihr Ministerium nicht arbeitet; Sie haben die Fachleute. Die Sammlung, die sie zusammengestellt haben, zeigt in der Tat auf, in welche Richtung es geht.
Hier reicht ein Sofortprogramm – jetzt und ad-hoc – eben nicht, sondern man muss Konzeptionen haben, wie sich unsere Innenstädte zukünftig entwickeln sollen. Das ist nicht für jede Stadt gleich; jede Stadt muss den Weg für sich selbst finden. Dazu müssen die Städte aber auch in der Lage sein.
Insofern kommen auch die Finanzen ins Spiel. Eine Stadt, die Zukunft gewinnen will, muss in die Innenstädte investieren. Wenn man verschuldet ist, wird am Ende die Kommunalaufsicht schon den Daumen draufhalten, wenn es um Investitionen geht, die nicht möglich sind.
Wir brauchen eine solide Grundlage in den Kommunalhaushalten – jedenfalls der größeren Städte. Das steht auf der Tagesordnung, aber dazu habe ich heute überhaupt keinen Ansatz gehört. Hier ducken Sie sich weg, und auch das schönste Sofortprogramm wird nicht helfen, wenn die Grundlage nicht stimmt.
Mehr als die Hälfte der Menschen in Nordrhein-Westfalen wohnt in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern. Das ist etwas anderes als in Niedersachsen, in Bayern oder in anderen Flächenländern. Wir sind hier in Nordrhein-Westfalen in einer ganz besonderen Situation.
Deshalb noch einmal die Aufforderung: Lassen Sie uns gemeinsam dieses Versprechen, für NRW und vor allem für die Städte zu arbeiten, umsetzen. – Herzlichen Dank.

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