Johannes Remmel: „Wie können wir den Menschen Europa wieder näherbringen?“

Antrag der Fraktion der SPD zur Entsenderichtlinie

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Johannes Remmel (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die Debatte und insbesondere die Debattenredner der Koalitionsfraktionen hier aufmerksam verfolgt, beschleicht mich zumindest das Gefühl, dass das wahre Problem, um das die europäische Debatte derzeit kreist, woran Europa zurzeit krankt und bei dem viele fragen: „Wie können wir den Menschen Europa wieder näherbringen?“, bei Ihnen noch nicht angekommen ist. Umgangssprachlich würde ich sagen: Sie haben den Knall noch nicht gehört.
Zurzeit beschäftigt doch alle, die für eine verstärkte europäische Integration werben: Was kommt bei den Menschen eigentlich von Europa an? Was haben die Menschen von Europa? Wenn man dann nach dem letzten großen europäischen Projekt fragt: Achselzucken; und vielleicht fällt einem noch der Euro ein. Klar ist aber: Das Empfinden bei den Menschen in Europa ist, dass es so etwas wie eine Schieflage gibt. Das Kapital und der Wettbewerb haben überall Vorfahrt und freie Fahrt, aber die Menschen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sind einer bestimmten Linie, nämlich einer auf Binnenmarkt orientierten Linie, untergeordnet.
Das ist nicht gerecht, und deshalb steht die Frage im Raum: Wie kann Europa gerechter gestaltet werden? – Ich bin der festen Überzeugung, dass es eine der wichtigsten Gegenwartsfragen ist, wie die Schieflage in Europa wieder in eine gerade Linie gebracht werden kann.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Bürgerinnen und Bürger müssen das Gefühl und vor allem die Gewissheit haben, dass es die europäische Gemeinschaft ist, dass es unsere Gemeinschaft ist, in der es gerecht zugeht. Das betrifft insbesondere das alltägliche Arbeitsleben.
Welche Gerechtigkeit erleben inländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn Leihkräfte aus anderen EU-Ländern die gleiche Arbeit günstiger anbieten können, weil für sie eine geringere soziale Absicherung in ihrem Herkunftsland geleistet werden muss, oder wenn sie erleben müssen, dass Regelungen über die Verweildauer dieser entsendeten Arbeitskräfte einfach ausgehebelt werden können? Welche Gerechtigkeit erleben umgekehrt ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn sie bei ihrer Arbeit im EU-Ausland weniger Lohn als die Kräfte vor Ort erhalten und oftmals von Zuschlägen, Tagegeldern, Eingruppierungsbestimmungen oder Sonderzahlungen gar nicht profitieren?
Die bisherige Richtlinie hat es leider ermöglicht, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenseitig ausgespielt werden können. Es muss aber endlich Schluss damit sein, dass in Europa Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenseitig ausgespielt werden. In Europa gilt der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Das muss im Mittelpunkt der Debatte stehen.
(Beifall von den GRÜNEN und Josef Neumann [SPD])
Durch die bestehenden Regelungen wird seit Jahren die Axt an das Zusammengehörigkeitsgefühl der EU-Bürgerinnen und -Bürger gelegt. Diese Regelungen zerstören auch den Glauben der Bürgerinnen und Bürger, dass dieses Europa für bessere Lebensverhältnisse sorgt. Das ist aber doch genau das, was wir politisch brauchen: eine Hoffnung, eine Vision, eine Zukunft, dass dieses Europa eben bessere Lebensbedingungen für alle Menschen schafft, die hier leben. Deshalb braucht es gerade diese Regelung.
Deshalb sollten wir die Gelegenheit ergreifen, die in der Konstellation darauf hindeutet, dass es nach langen Diskussionen gelingen kann, diesen Grundsatz auch zur Wirklichkeit werden zu lassen, und das möglichst ohne Ausnahmen.
Es ist in der Tat nicht ganz einfach mit dem Transportgewerbe, aber die politischen Anstrengungen sollten zumindest in die Richtung gehen. Man sollte nicht von vornherein, wie gerade gehört, die Flinte ins Korn werfen und sagen: Es bringt sowieso nichts, sich zu engagieren. – Auch das Transportgewerbe gehört dazu, wenn es darum geht, diese Grundsätze entsprechend zu verankern.
(Beifall von den GRÜNEN und von Josef Neumann [SPD])
Wichtig ist auch, dass es keine Ausnahmen gibt und wir deshalb hier noch einmal nachlegen müssen.
Unsere Fraktion unterstützt Antrag der SPD. Er ist auch vor dem Hintergrund des anstehenden Sozialgipfels, der in Schweden stattfindet, ein wichtiger Schritt. Das ist eine weitere europäische Säule, um die sozialen Rechte zu stärken und mit mehr Substanz zu füllen. Es ist nicht nur ein wichtiges Symbol, der Inhalt ist wichtig, um Europa für die Menschen wieder lebendiger zu machen und als unsere gemeinsame Zukunft zu beschreiben.
Die SPD-Fraktion bemängelt in ihrem Antrag zu Recht, dass der Vertrag der neuen Koalition zumindest im Hinblick auf ein soziales Europa wenig Substanz bietet. Sie haben hier die Gelegenheit, nachzubessern. Ihre Reden allerdings haben bei mir Zweifel ausgelöst, dass Sie den festen Willen haben, genau das zu tun.
Wir sollten im Übrigen auch nicht dabei stehen bleiben, „nur“ endlich gleiche Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa zu schaffen. Ich denke, es ist noch wichtiger, auch ein zweites großes soziales Projekt mit allem Nachdruck anzugehen. Es muss in Zukunft unser gemeinsamer Wille sein, dass in diesem Europa jeder Jugendliche eine gute Ausbildung findet, dass ihm diese garantiert wird, damit endlich klar wird: Dieses Europa ist die Zukunft für die Menschen, die darin leben. – Vielen Dank.

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