Johannes Remmel: „Man kann bei den weltweiten Verflechtungen und den Handelsbeziehungen Klimaschutz und Nachhaltigkeit nicht ausklammern“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zum EU-Mercosure-Abkommen

Johannes Remmel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch bei diesem Antrag der Grünen könnte ich es mir – so wie eben bei dem SPD-Antrag – einfach machen und auf die aktuelle Meldung von heute verweisen: „Österreich will umstrittenes Freihandelsabkommen stoppen“. In Österreich ist es etwas anders als in Frankreich, Luxemburg und Irland, wo es bisher nur Regierungserklärungen dazu gab. In Österreich hat bereits der zuständige Parlamentsausschuss die Regierung aufgefordert, diesem Handelsabkommen nicht zuzustimmen. Damit ist von der Sache her eigentlich alles geklärt. Denn in Europa gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Wenn ein Land dem Vertrag über das Handelsabkommen nicht zustimmt, dann wird es nicht geschlossen. Insofern könnten wir jetzt die Bücher zuklappen und sagen: Okay; die Diskussion und die Zeit können wir uns sparen.
Ich möchte aber an dieser Stelle ein altes Sepp-Herberger-Zitat bemühen: Nach dem Abkommen ist vor dem Abkommen. – Die Diskussion über die Ausgestaltung von Handelsabkommen werden wir also weiterhin führen müssen.
(Henning Höne [FDP]: Ihr wollte doch gar keinen Freihandel!)
Ich halte es auch für notwendig, sie zielgerichtet mit klaren Orientierungen zu führen, weil insbesondere Deutschland und Nordrhein-Westfalen, wie ich gleich aufzeigen werde, von diesem Abkommen auch erheblich betroffen wären.
Zunächst möchte ich aber auf die Bundeskanzlerin zu sprechen kommen, die zum Thema „Klimaschutz“ erklärt hat, es komme jetzt darauf an, dass nicht mehr Pillepalle gespielt werde. Da hat sie völlig recht. Aber gleichzeitig wird von der Bundesregierung und insbesondere von der Bundeskanzlerin ein Handelsabkommen forciert, das das Thema „Nachhaltigkeit und Klimaschutz“ sozusagen in den Annex schiebt, ohne dass es eine gewisse Verbindlichkeit bekommt, während die Öffentlichkeit in Deutschland und Europa mit den schrecklichen Bildern der brennenden Regenwälder im Amazonas, die wir derzeit im Fernsehen sehen müssen, konfrontiert wird und zu Recht auf Zusammenhänge aufmerksam gemacht wird.
Das macht klar, dass Handelsabkommen dieser Art – Mercosur – und Klimapolitik zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Denn in der Tat kann man bei den weltweiten Verflechtungen und den Handelsbeziehungen Klimaschutz und Nachhaltigkeit nicht ausklammern. Vielmehr müssen diese im Zentrum internationaler Handelspolitik stehen.
Ich möchte die bestehenden Verflechtungen einmal in Zahlen deutlich machen. Nordrhein-Westfalen pflegt mit Brasilien Handelsbeziehungen in einem Volumen von ungefähr 3,4 Milliarden Euro. Das entspricht nach dem Königsteiner Schlüssel gut 20 % des gesamten Handelsvolumens zwischen Brasilien und Deutschland von 16,8 Milliarden Euro. Es ist auch paritätisch aufgeteilt: Auf den Import entfallen 1,7 Milliarden Euro, auf den Export ebenfalls 1,7 Milliarden Euro.
Das ist keine ganz große Handelsbeziehung, wie wir sie mit unseren wichtigsten Handelspartnern haben. Wenn wir uns aber die konkreten Importe und Exporte im Rahmen der Handelsbeziehung zwischen Brasilien und Nordrhein-Westfalen anschauen, kommen wir zu der Konstellation, die im Rahmen der Diskussionen um das Handelsabkommen eine zentrale Rolle gespielt hat: Wir importieren Rohstoffe und exportieren hochentwickelte industrielle Produkte. Das kann man nachvollziehen. Wir importieren Erze, Nahrungs- und Futtermittel, Metalle und Lederwaren, also Rohstoffe im weitesten Sinne. Diese verbergen sich hinter den Importen von 1,7 Milliarden Euro. Dafür exportieren wir chemische Erzeugnisse, Maschinen, pharmazeutische Erzeugnisse, Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeugteile. Diese verbergen sich hinter den Exporten von ebenfalls 1,7 Milliarden Euro.
Die Gleichung „hochwertige industrielle Produkte gegen Rohstoffe“ wird in unserer Handelsbeziehung mit Brasilien also noch einmal deutlich. Ich finde, dass wir hier keinen Handel auf gleicher Augenhöhe betreiben. Handelsabkommen sollten aber den Handel auf gleicher Augenhöhe beinhalten.
Im Übrigen ist diese Form von Handelsabkommen auch dazu geeignet, weitere Frevel an der Umwelt zu begehen – nämlich Rodungen im Amazonasgebiet –, um weitere Produkte für den Weltmarkt – insbesondere Soja – anbauen zu können oder noch stärker in die Fleischproduktion einzusteigen.
Die konkreten Zahlen des Abkommens machen ja auch deutlich, dass da die Schwerpunkte liegen. Auf der einen Seite sollen die Zölle für Rindfleisch gesenkt und die Mengen der erlaubten Importe angehoben und umgekehrt auf der anderen Seite die Absatzmärkte für deutsche und europäische Automobile in Südamerika gesteigert werden. Das ist ein Zusammenhang, der zumindest in den Bereichen der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes zu weiteren Verschärfungen der Situation führen wird und die Probleme nicht behebt.
So argumentierten auch der Deutsche Bauernverband und der Rheinische Landwirtschafts-Verband jüngst in einer Aufforderung an die Bundeslandwirtschaftsministerin.
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Zeit, Herr Kollege Remmel.
Johannes Remmel (GRÜNE): Im Übrigen argumentiert auch Gerd Müller als Bundesentwicklungsminister so.
Ich meine, es wäre an der Zeit und angemessen, dass wir in Nordrhein-Westfalen unsere eigenen Vorstellungen formulieren – auch im Dialog mit den in NRW Betroffenen, sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Chemie- und Stahlindustrie, indem wir sie an einen Tisch holen und miteinander über diese Kriterien diskutieren.
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Remmel.
Johannes Remmel (GRÜNE): Sinn und Zweck des heutigen Antrags ist, die Landesregierung aufzufordern, genau in diese Richtung zu gehen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

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