Johannes Remmel: „Es kommt darauf an, dafür werben, für ein demokratisches Europa abzustimmen“

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN im Landtag zur Europawahl

Johannes Remmel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kollegen haben schon darauf hingewiesen, ich will es aber noch etwas anders ausdrücken. Mit Blick auf die Europawahl gibt es eine sehr einfache Rechnung: Jede abgegebene Stimme trägt dazu bei, den Prozentanteil derjenigen, die Europa abschaffen wollen, zu minimieren. So einfach ist das.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Christian Loose [AfD]: Nicht den Kontinent!)
Deshalb kommt es darauf an, dass wir (Zuruf von Christian Loose [AfD])
für die Teilnahme an dieser Wahl werben, dass wir dafür werben, für ein demokratisches Europa abzustimmen.
(Zurufe von Dr. Christian Blex [AfD] und Sven Werner Tritschler [AfD]) Das ist das, worum es heute geht und was im Mittelpunkt des Antrags steht.
Dabei ist es meines Erachtens notwendig, auch das eine oder andere aus der Erinnerung hervorzukramen, was viele vielleicht schon vergessen haben. Es ist bei jedem anders, was er Positives mit Europa verbindet.
Ich kann es mal für mich sagen: Wenn ich an die 80er-Jahre zurückdenke, dann erinnere ich mich, dass man, wenn man beispielsweise eine Fahrradtour durch Griechenland oder Spanien machen wollte, sein Fahrrad vorher zum Zoll bringen und es dann vor Ort nach Vorzeigen des Reisepasses beim dortigen Zoll wieder abholen musste. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen, aber es ist trotzdem wieder real. Durch den Brexit wird es möglicherweise wieder solche Zollgrenzen in Europa geben.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber für mich ist es auch ein erhebendes Gefühl, im Europäischen Parlament unterwegs zu sein. Man kann ja sehr viel Kritik an Interessenvertretungen und Lobbyismus üben, aber welch ein zivilisatorischer Fortschritt ist es, dass da Menschen aus ganz Europa in ganz verschiedenen Sprachen friedlich für ihre Interessen lobbyieren! Auf diesem Boden sind sich die Menschen vor 70 bis 80 Jahren noch mit Bajonett und Kanonen begegnet.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Man muss doch an dieser Stelle auch mal sagen dürfen, dass es aktuell in Europa eine Zeit des Friedens ist, die wir nicht verlieren wollen.
Gestatten Sie mir bitte noch einen letzten Punkt: Ich bin stolz auf diese Europäische Union – dafür, dass sie maßgeblich dazu beigetragen hat, den multilateralen Vertrag in Paris zustande zu bringen. Ohne die Europäische Union gäbe es dieses Klimaabkommen nicht, weil lange Einübungszeiten in der Diplomatie maßgeblich dazu geführt haben, dass die Europäische Union das Klimaziel in Paris verankert hat. Das sind positive Dinge, die wir den Menschen immer wieder erzählen müssen, um für dieses Europa zu streiten.
Natürlich gibt es auch neue Aufgaben, und Veränderungen sind wichtig. Die Aufgaben sind vorhin bereits skizziert worden. In der Tat ist die Welt bipolarer geworden. Das amerikanische Interesse hat sich in den Pazifik verlagert. China hat neue Interessen, die es mit breiter Brust geltend macht. Die antidemokratischen Herrschaftssysteme, die es auf der Welt gibt, sind scheinbar in der Mehrheit und werden ihre Interessen deutlich machen. Deshalb ist ein vereinigtes Auftreten von Europa umso wichtiger.
Dafür müssen wir in der Tat streiten; denn auch intern gibt es Fragestellungen, und die Europäische Union wird gerade von den Nationalisten als Projektionsfläche benutzt, um Europa und die Demokratie schlechtzumachen.
Und dann kommen Sie heute mit einem Entschließungsantrag daher, bei dem Sie sich noch nicht einmal trauen, Ihr Parteiprogramm hineinzuschreiben.
(Helmut Seifen [AfD]: Bitte?)
–  Ja, Sie haben in Ihrem Parteiprogramm beschlossen, das Europäische Parlament abzuschaffen.
(Helmut Seifen [AfD]: Das stimmt nicht! – Sven Werner Tritschler [AfD]: Zu ersetzen!)
–  Das schreiben Sie in Ihrem Antrag nicht.
(Heike Gebhard [SPD]: Der Wolf im Schafspelz!)
Sie schreiben in Ihrem Antrag auch nicht, dass Sie Europa und die Europäische Union abschaffen wollen,
(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Das stimmt doch! – Helmut Seifen [AfD]: Wollen wir doch gar nicht abschaffen!)
sondern Sie sprechen von einem „Europa der Vaterländer“.
Ich kann nur warnen: Das ist der Schafspelz, den sich der Wolf übergezogen hat.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Helmut Seifen [AfD]: Ach!
–  Lachen von der AfD – Weitere Zurufe von der AfD)
Und ich sage Ihnen auch: Ich brauche keinen Verfassungsschutz, (Sven Werner Tritschler [AfD]: Warum setzen Sie ihn dann ein?)
um klarzustellen, dass Sie verfassungsfeindlich agieren – auch mit dem Begriff „Europa der Vaterländer“.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP) Wir haben eindeutige Aussagen in unserer Verfassung.
(Zurufe von Sven Werner Tritschler [AfD] und Helmut Seifen [AfD])
Es gibt einen Verfassungsauftrag, für ein vereintes Europa und nicht für ein „Europa der Vaterländer“ zu streiten. Und Sie sind gegen diesen Verfassungsauftrag.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Zurufe von Sven Werner Tritschler [AfD] und Helmut Seifen [AfD])
Sie stehen nicht auf der Grundlage des Grundgesetzes. Dafür lohnt es sich, zu kämpfen. Ich fordere alle auf, die völkischen Nationalisten beim Thema „Europa“ entschieden zu bekämpfen. – Herzlichen Dank.
 (Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Zurufe von Helmut Seifen [AfD] und Markus Wagner [AfD])
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Remmel, ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass es eine angemeldete Kurzintervention von Herrn Kollegen Seifen gibt. – Herr Kollege Seifen, das Mikro ist frei.
Helmut Seifen (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wir haben gerade von Ihnen und Ihren Vorrednern wirklich überzeugende Beispiele dafür gehört, was Sie unter Gemeinsamkeit verstehen. Ich halte Ihren dauernden Appell an Gemeinsamkeit für vollkommen unglaubwürdig, vollkommen unglaubwürdig; ich hätte jetzt fast noch ein anderes Wort gebraucht.
Was Ausgrenzung ist, haben Sie mit Ihren beleidigenden Diffamierungen der AfD als Euro- pafeinde gezeigt. Wenn hier einer Europafreund ist, Freund der europäischen Nation, dann ist es die AfD, ganz klar.
(Lachen von der SPD – Zuruf von der SPD: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten! – Weitere Zurufe von der SPD – Unruhe – Glocke)
–  Ich kann mir vorstellen, dass Sie Ihre Beschämung mit Lachen übertönen, das kann ich alles verstehen.
(Jochen Ott [SPD]: Das ist zum Lachen, so traurig ist das!)
Wer die Nationen abschaffen will, beraubt die Menschen in den verschiedenen Ländern ihrer Freiheit, und das wollen wir nicht.
Sie sind keine Freunde, und das kann ich jetzt belegen. Schauen Sie sich doch mal Ihre Politik an; mit „Ihre“ meine ich die Politik Ihrer Parteien.
(Zuruf von Michael Hübner [SPD])
Was ist in Europa im Augenblick los? Ich bin ja schon etwas älter als die meisten von Ihnen. So einen Krach in Europa hatten wir in den 80er- und 90er-Jahren nie.
(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])
Warum gibt es jetzt einen Brexit? Den gibt es doch nur, weil die jetzt Regierenden eine Politik betreiben, die die Menschen auseinandertreibt.
(Zurufe von Michael Hübner [SPD] und Jochen Ott [SPD])
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Helmut Seifen (AfD): Ein Letztes: Gerade hat ein Vorredner Macron gelobt. (Unruhe – Glocke)
Dann schauen Sie sich mal die Gedenkfeiern zum Ende des Ersten Weltkriegs an und wie Herr Macron dieses Ende gefeiert hat.
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Helmut Seifen (AfD): Wenn das kein Nationalismus war, dann weiß ich nicht, was Nationalismus ist.
(Beifall von der AfD)
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank für die Kurzintervention. – Herr Kollege Remmel hat jetzt entsprechend Zeit.
Johannes Remmel (GRÜNE): Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte darauf antworten, indem ich die entsprechenden Passagen unseres Grundgesetzes vortrage.
(Zuruf von der AfD: Ach du meine Güte! – Weitere Zurufe von der AfD)
–  Warum stöhnen Sie bei der Erwähnung des Grundgesetzes?
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Helmut Seifen [AfD]: Weil wir auf dem Boden des Grundgesetzes stehen!)
–  Das wollen wir jetzt mal miteinander klären. Ich lese Ihnen die entsprechenden Passagen vor:
„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
(Helmut Seifen [AfD]: So ist es!)
Da ist klar ausgedrückt: Nie wieder Nationalismus,
(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP) weil Nationalismus Krieg bedeutet. – Und Sie stehen nicht auf diesem Boden.
(Helmut Seifen [AfD]: Sie treiben es doch dahin!) Ich will Ihnen außerdem Art. 23 vorlesen:
„Zur Verwirklichung eines vereinten Europas“
–  eines vereinten Europas! –
„wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union“
–  der Europäischen Union! –
„mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet.“
(Zurufe von Helmut Seifen [AfD] und Christian Loose [AfD])
Das heißt: keine Abschaffung des Europäischen Parlaments. Stellen Sie sich hierhin, und erklären Sie, dass Sie auf dem Boden des Grundgesetzes und dieser beiden Paragrafen stehen.
(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Markus Wagner [AfD]: Das ist doch gar kein Parlament! – Weitere Zurufe von der AfD)

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